Entzündliche Darmerkrankungen

Vorsicht mit Breitbandantibiotika

05:59 Minuten
Ein plastisches Modell des Darms liegt in den Händen einer liegenden menschlichen Figur aus Holz, drumherum sind Tabletten verteilt.
Wer selten Antibiotika einnimmt, sollte sich um die Darmflora keine Sorgen machen, meint der Wissenschaftler Jonas Ludvigsson. © Getty Images / iStock / Andrii Zastrozhnov
Von Christine Westermann · 17.09.2020
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Antibiotika retten Menschenleben. Jetzt verdichten sich aber die Hinweise darauf, dass Antibiotika sich äußerst negativ auf die Darmflora auswirken. Und im schlimmsten Fall eine entzündliche Darmerkrankung auslösen können.
Durchfall und Magenkrämpfe, die immer wieder in Schüben auftreten, sind die typischen Symptome von Morbus Crohn, einer der häufigsten chronisch entzündlichen Darmerkrankung weltweit. 3,5 Millionen Menschen in Nordamerika und Europa leiden darunter. Und ihre Zahl hat in den letzten 20 Jahren stark zugenommen. Vor allem in Ländern, in denen sich der Lebensstandard und damit auch die medizinische Versorgung deutlich verbessert hat.
"Warum ist das so? Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder ein erhöhtes Risiko für solche Darmerkrankungen haben, wenn sie häufig Antibiotika einnehmen. Gleichzeitig wissen wir, dass die natürliche Bakteriengemeinschaft im Darm beeinträchtigt ist, wenn jemand eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hat."


Um endlich Klarheit zu bekommen, wertete Jonas Ludvigsson vom Karolinska Institut in Stockholm zusammen mit seinem Team die Daten von 24.000 Schwedinnen und Schweden aus. Sie alle leiden unter einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Und weil in Schweden in einem nationalen Register sämtliche Informationen darüber gespeichert sind, wer wann welche Medikamente bekommt und an welcher Krankheit diese Person leidet, konnten die Forschenden so erkennen, welche Rolle Antibiotika tatsächlich spielen.
"Wir haben gesehen, dass Antibiotika das Risiko für chronisch entzündliche Darmerkrankungen erhöhen. Umso häufiger jemand diese Medikamente einnimmt, desto größer ist die Gefahr. Allerdings scheint es kein großes Problem zu sein, wenn jemand sehr selten Antibiotika einnimmt. Diese Menschen sollten sich also keine Sorgen machen, denke ich."

Breitbandantibiotika sind ein Risiko

Besonders großen Effekt auf die Darmgesundheit hatten die Breitbandantibiotika. Diese Medikamente wirken unspezifisch: Sie töten also nicht nur die Krankheitserreger, sondern auch viele nützliche Bakterien, die im Darm leben, mit ab. Und sie bringen so die Mikrobengemeinschaft im Darm stärker durcheinander als ein Antibiotikum, das spezifisch, also ganz gezielt wirkt.
Was genau im Darm passiert, wenn ein Mensch Antibiotika schluckt, haben Sofia Forslund vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin und ihre Kolleginnen und Kollegen untersucht. Dafür haben sie zwölf gesunden Männern einen Mix aus verschiedenen Antibiotika verabreicht. Ein solcher Cocktail wird zum Beispiel immer dann eingesetzt, wenn sich jemand mit einem resistenten Krankheitserreger angesteckt hat.
"Diese Antibiotikakombination hat fast alle Bakterien im Darm ausgerottet. Doch nach sechs Monaten ungefähr pendelte sich die Mikrobengemeinschaft wieder nahezu auf ihr ursprüngliches Niveau ein."

Bakteriengemeinschaft im Darm wird durcheinandergebracht

Aber während dieser sechs Monate herrschte ein ziemliches Durcheinander im Darm, so die aus Schweden stammende Forscherin.
"Überraschend war, dass die ersten Keime, die sich nach der Antibiotikabehandlung wieder ansiedelten, zu ganz anderen Bakterienstämmen gehörten, als diejenigen, die wir erst nach sechs Monaten fanden. Es war in etwa so wie nach einem Waldbrand, nach dem sich ja auch erst andere Pflanzen ansiedeln und später dann wieder die Bäume. Und diese ersten Darmbesiedler waren eher Mikroben, die potenziell auch Krankheiten auslösen können," sagt Sofia Forslun.
In einer unbehandelten Darmflora sorgen spezielle Bakterien dafür, dass Mikroben und schädliche Stoffe die Darmbarriere gar erst nicht überwinden können. Gerade sie aber scheinen nach einer Behandlung mit Breitbandantibiotika nicht mehr so wirksam zu sein. Mit der Folge, dass sich die Darmschleimhäute schneller entzünden, ergänzt Sofia Forslun weiter.
"Ein paar Bakterienstämme blieben nach der Antibiotikabehandlung dauerhaft verschwunden. Und von einigen dieser Mikroben wissen wir, dass sie die Darmwand schützen und damit verhindern, dass schädliche Stoffe ins Innere des Körpers gelangen. Es lässt sich also definitiv sagen, dass eine solche Antibiotikabehandlung die Bakteriengemeinschaft im Darm durcheinanderbringt. Auch wenn der Darm anschließend wieder besiedelt wird."

Wechselspiel zwischen Bakterien und Pilzen

Ähnliches hat gerade ein Forschungsteam vom Leibniz Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie beobachtet. Auch ihre Untersuchung zeigte, dass nach einer Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum das Wechselspiel zwischen Bakterien und im Darm lebenden Pilzen durcheinandergerät.
"Dreißig Tage nach Behandlungsende hat sich das bakterielle Mikrobiom weitgehend regeneriert. Wir konnten jedoch noch 90 Tage nach der Behandlung Veränderungen bei mehr als einem Drittel der Pilzspezies im Darm nachweisen. Dabei beobachteten wir, dass sich die Pilzgemeinschaften gemeinsam mit denen der Bakterien veränderten."
Was zeigt, wie dringend Lösungen gesucht werden müssen, um die Darmgesundheit auch nach einer Antibiotikabehandlung zu erhalten. Momentan untersuchen Forschende, ob sich die Darmflora bei von einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung Betroffenen mithilfe einer Stuhltransplantation regenerieren lässt. Dabei werden die Bakterien eines Gesunden in den Darm des Kranken gespült. Mit ersten Erfolgen.
Doch bislang wird diese Therapie nur bei Menschen mit schweren Durchfallerkrankungen eingesetzt. Konkret bedeute das, wer seinen Darm gesund halten will, der sollte Antibiotika generell nur selten einnehmen. Und wenn doch: Dann sollte es kein Breitbandantibiotikum sein.
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