Entwurzelung, Heimatlosigkeit und Vertreibung
Der britische Künstler Robert Koenig hat 41 Holzskulpturen über den Ärmelkanal nach Leutkirch im Kreis Ravensburg verschifft, die nun in der Innenstadt aufgestellt sind. Das Projekt "Odyssey" widmet sich der Flucht und Vertreibung von Menschen. In Leutkirch hat er eine 42. Figur geschnitzt, die er Lilo nennt - in Anlehnung an Lilo Gollowitsch, eine Leutkircher Jüdin, die 1942 im Alter von 16 Jahren abtransportiert wurde und in Auschwitz umkam.
Wenn Robert Koenig arbeitet, dann hat das ganze etwas Meditatives. Der Bildhauer schaut konzentriert auf die Linde, hämmert auf das Holz, sein Schlag ist fest und gleichmäßig. Fünf Tage lang arbeitet er an der Figur, dann ist sie fertig: Lilo Gollowitsch, eine der sieben Juden, die in Leutkirch lebten und im Holocaust ermordet wurden. Die Linde, aus der Robert Koenig die Figur der Lilo Gollowitsch formt, war 120 Jahre alt.
"Diese Linde muss Lilo Gollowitsch gekannt haben. Es ist ein schöner Baum, ein gutes Holz, um daraus die Figur der Lilo zu schnitzen."
Mit der Lilo-Figur hat Robert Koenigs Kunstwerk Nachwuchs bekommen. Insgesamt 42 Skulpturen aus Holz thronen zurzeit vor dem Leutkircher Rathaus. Sie sind zwei Meter 50 groß, haben unterschiedliche Gesichtsausdrücke, aber alle die gleiche Körperhaltung. Die Figuren stellen Erniedrigte dar. Sie sollen ihre Würde zurückerhalten, sind übermenschlich groß und werden so symbolisch erhöht. Die Figuren erinnern an Entwurzelung, Heimatlosigkeit und Vertreibung. Ein zeitloses Thema – das Kunstwerk heißt "Odyssey".
"Die Odyssey handelt vom Reisen. Es geht um die Reisen von Menschen durch ihr Leben, durch ihre Höhen und Tiefen und die Tragödien, die sie erleben. Es handelt auch von meiner eigenen Reise, aber viele Leute sprechen mich an: das ist auch unsere Reise, das Kunstwerk spricht auch von unserem Leben."
Für Robert Koenig hat das Werk "Odyssey" begonnen als Reise zu sich selbst – und zu seiner Mutter. Die musste eine schlimme Irrfahrt durchmachen. Geboren in Polen, wurde sie vom nationalsozialistischen Deutschland zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zwei Jahre lang schuftete sie in Speyer, magerte auf 25 Kilo ab, später wanderte sie nach England aus. Dort schlug sie Wurzeln, heiratete und bekam sechs Kinder. Auch wenn die Odyssee seiner Mutter ein gutes Ende gefunden hat, hinterließ sie tiefe Wunden. Flucht und Vertreibung, sagt Robert Koenig, sorgen für entsetzliches Leid.
"Für mich ist es unmöglich zu begreifen, wenn es heißt, dass sechs Millionen Juden im Holocaust umgekommen sind. Das können wir weder rational noch emotional nachvollziehen. Aber wenn du eine Person kennst, dann bekommt man die Abscheulichkeit zu fassen und man versteht, was im Holocaust passiert ist. Ich habe das Schicksal von Lilo Gollowitsch kennen gelernt, sie war Jüdin, und ihre Geschichte ergreift mich – allein die Angst, die Isolation und der Psychoterror."
Leutkirch, eine idyllische Kleinstadt im Allgäu – auch hier machte der Nazi-Terror nicht Halt, und tyrannisierte selbst Kinder und Jugendliche. In der Schule musste sich Lilo Gollowitsch in die letzte Bankreihe setzen, weil sie Jüdin war. Später durfte sie nicht mehr am Kinderfest teilnehmen – und 1938 wurde ihr der Schulbesuch verboten. Das Schicksal der Lilo Gollowitsch geht Robert Koenig unter die Haut.
"Das Foto von Lilo Gollowitsch, das ich gesehen habe, war ein Passfoto – es hat sich bei mir sofort tief eingeprägt. So ein kurzes Leben, so eine Tragödie, aber so ein hübsches Gesicht – das hat mich tief bewegt. Ich wollte mehr über sie herausfinden und ich wollte mit ihr als Symbol auf alle menschlichen Tragödien hinweisen."
Seit 16 Jahren arbeitet Robert Koenig an dem Kunstwerk "Odyssey", er war mit "Odyssey" bereits in vielen europäischen Ländern unterwegs – nun ist er zum ersten Mal in Deutschland. Eigentlich wollte er nach Speyer, an den Ort, wo seine Mutter als Zwangsarbeiterin so viel Leid erfahren hatte – doch sein Wunsch nach einer Ausstellung wurde in Speyer bislang nicht erfüllt. Zufällig lernte er in London Claudia Bühler aus Leutkirch kennen – sie brachte die "Odyssey" ins Allgäu:
"Die Menschen, die direkt involviert waren, waren noch beladen von Schuld. Die jungen Menschen möchten eine Kultur der Erinnerung, in der die Bitternis und die Schuld zur Seite kommen darf, weil die menschlichen Werte zuvorkommen."
Die Ausstellung wird von Workshops an Schulen begleitet und sorgt auch über Leutkirch hinaus für großes Aufsehen. Die Besucher sind angetan:
"Es berührt mich wahnsinnig. Wenn ich hier sitze und diesen Ausdruck von diesen Figuren – ich finde keine Worte dafür."
"Wenn wir die Gegenwart sehen, dann sind ja sehr viele Menschen auf Wanderschaft. Wenn ich an die Schulen denke, wo jetzt Kinder aus Syrien zum Beispiel da sind, die sind auch nicht freiwillig gekommen. Drum sollte man das auf die Gegenwart beziehen und nicht nur in der Vergangenheit beharren lassen."
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Robert Koenig möchte zeitlich in alle Richtungen schauen. Seine Kunst ist politisch. Mit "Odyssey" will er erinnern und wachrütteln zugleich – damit das, was Frauen wie seiner Mutter oder der Jüdin Lilo Gollowitsch widerfahren ist, nicht mehr passiert. Damit künftig gilt: hinschauen statt wegschauen und eingreifen, wenn Unrecht geschieht. Und dass die Odysseen und Irrfahrten der Menschen endlich ein Ende finden.
"Diese Linde muss Lilo Gollowitsch gekannt haben. Es ist ein schöner Baum, ein gutes Holz, um daraus die Figur der Lilo zu schnitzen."
Mit der Lilo-Figur hat Robert Koenigs Kunstwerk Nachwuchs bekommen. Insgesamt 42 Skulpturen aus Holz thronen zurzeit vor dem Leutkircher Rathaus. Sie sind zwei Meter 50 groß, haben unterschiedliche Gesichtsausdrücke, aber alle die gleiche Körperhaltung. Die Figuren stellen Erniedrigte dar. Sie sollen ihre Würde zurückerhalten, sind übermenschlich groß und werden so symbolisch erhöht. Die Figuren erinnern an Entwurzelung, Heimatlosigkeit und Vertreibung. Ein zeitloses Thema – das Kunstwerk heißt "Odyssey".
"Die Odyssey handelt vom Reisen. Es geht um die Reisen von Menschen durch ihr Leben, durch ihre Höhen und Tiefen und die Tragödien, die sie erleben. Es handelt auch von meiner eigenen Reise, aber viele Leute sprechen mich an: das ist auch unsere Reise, das Kunstwerk spricht auch von unserem Leben."
Für Robert Koenig hat das Werk "Odyssey" begonnen als Reise zu sich selbst – und zu seiner Mutter. Die musste eine schlimme Irrfahrt durchmachen. Geboren in Polen, wurde sie vom nationalsozialistischen Deutschland zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zwei Jahre lang schuftete sie in Speyer, magerte auf 25 Kilo ab, später wanderte sie nach England aus. Dort schlug sie Wurzeln, heiratete und bekam sechs Kinder. Auch wenn die Odyssee seiner Mutter ein gutes Ende gefunden hat, hinterließ sie tiefe Wunden. Flucht und Vertreibung, sagt Robert Koenig, sorgen für entsetzliches Leid.
"Für mich ist es unmöglich zu begreifen, wenn es heißt, dass sechs Millionen Juden im Holocaust umgekommen sind. Das können wir weder rational noch emotional nachvollziehen. Aber wenn du eine Person kennst, dann bekommt man die Abscheulichkeit zu fassen und man versteht, was im Holocaust passiert ist. Ich habe das Schicksal von Lilo Gollowitsch kennen gelernt, sie war Jüdin, und ihre Geschichte ergreift mich – allein die Angst, die Isolation und der Psychoterror."
Leutkirch, eine idyllische Kleinstadt im Allgäu – auch hier machte der Nazi-Terror nicht Halt, und tyrannisierte selbst Kinder und Jugendliche. In der Schule musste sich Lilo Gollowitsch in die letzte Bankreihe setzen, weil sie Jüdin war. Später durfte sie nicht mehr am Kinderfest teilnehmen – und 1938 wurde ihr der Schulbesuch verboten. Das Schicksal der Lilo Gollowitsch geht Robert Koenig unter die Haut.
"Das Foto von Lilo Gollowitsch, das ich gesehen habe, war ein Passfoto – es hat sich bei mir sofort tief eingeprägt. So ein kurzes Leben, so eine Tragödie, aber so ein hübsches Gesicht – das hat mich tief bewegt. Ich wollte mehr über sie herausfinden und ich wollte mit ihr als Symbol auf alle menschlichen Tragödien hinweisen."
Seit 16 Jahren arbeitet Robert Koenig an dem Kunstwerk "Odyssey", er war mit "Odyssey" bereits in vielen europäischen Ländern unterwegs – nun ist er zum ersten Mal in Deutschland. Eigentlich wollte er nach Speyer, an den Ort, wo seine Mutter als Zwangsarbeiterin so viel Leid erfahren hatte – doch sein Wunsch nach einer Ausstellung wurde in Speyer bislang nicht erfüllt. Zufällig lernte er in London Claudia Bühler aus Leutkirch kennen – sie brachte die "Odyssey" ins Allgäu:
"Die Menschen, die direkt involviert waren, waren noch beladen von Schuld. Die jungen Menschen möchten eine Kultur der Erinnerung, in der die Bitternis und die Schuld zur Seite kommen darf, weil die menschlichen Werte zuvorkommen."
Die Ausstellung wird von Workshops an Schulen begleitet und sorgt auch über Leutkirch hinaus für großes Aufsehen. Die Besucher sind angetan:
"Es berührt mich wahnsinnig. Wenn ich hier sitze und diesen Ausdruck von diesen Figuren – ich finde keine Worte dafür."
"Wenn wir die Gegenwart sehen, dann sind ja sehr viele Menschen auf Wanderschaft. Wenn ich an die Schulen denke, wo jetzt Kinder aus Syrien zum Beispiel da sind, die sind auch nicht freiwillig gekommen. Drum sollte man das auf die Gegenwart beziehen und nicht nur in der Vergangenheit beharren lassen."
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Robert Koenig möchte zeitlich in alle Richtungen schauen. Seine Kunst ist politisch. Mit "Odyssey" will er erinnern und wachrütteln zugleich – damit das, was Frauen wie seiner Mutter oder der Jüdin Lilo Gollowitsch widerfahren ist, nicht mehr passiert. Damit künftig gilt: hinschauen statt wegschauen und eingreifen, wenn Unrecht geschieht. Und dass die Odysseen und Irrfahrten der Menschen endlich ein Ende finden.