"Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung ist gescheitert"

Winfried Pinger im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 03.09.2008
Winfried Pinger, der Vorsitzende der Aktion 2015 zur Förderung der Milleniumsziele, hat die Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung kritisiert. Angesichts der Zahlen von über einer Milliarde Menschen in extremer Armut und 850 Millionen täglich hungernden Menschen sei die Entwicklungspolitik gescheitert, sagte Pinger.
Birgit Kolkmann: Im westafrikanischen Ghana wird derzeit wieder einmal der weiße Elefant gejagt. Das ist nicht wörtlich zu nehmen, denn der weiße Elefant, der in der Natur extrem selten vorkommt, steht in der Sprache der Entwicklungshilfe-Politiker für Projekte, die unsinnig sind: Teuere Straßen, die im Nichts enden, gigantische Staudamm-Projekte, an denen korrupte Clans verdient haben, die den Menschen aber kein Wasser, keinen Wohlstand brachten. Die Entwicklungspolitik ist in einer Sackgasse. Milliarden wurden vergeudet, aber Hilfe zur Selbsthilfe war das meist nicht, sondern Hilfe zur Bereicherung korrupter Clans und ihrer Nummernkonten in der Schweiz.
In Accra, der Hauptstadt Ghanas, soll bis morgen diese Politik überprüft und auch Auswege gesucht werden. Professor Winfried Pinger ist CDU-Politiker und engagiert sich seit langem in der Entwicklungshilfe-Politik. Er ist Vorsitzender der "Aktion 2015" zur Förderung der Milleniumsziele zur Bekämpfung der Armut. Ihn begrüße ich nun hier im Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Morgen!

Winfried Pinger: Guten Morgen!

Kolkmann: Professor Pinger, ist die Entwicklungshilfe, wie wir sie bislang betrieben haben, auf ganzer Linie gescheitert?

Pinger: Sie ist gescheitert. Das sehen wir an den Zahlen. Wenn immer noch über eine Milliarde Menschen in extremer Armut und Elend leben, wenn immer noch 850 Millionen Menschen täglich hungern, dann ist das das Zeichen, dass die Entwicklungspolitik gescheitert ist.

Kolkmann: Schon in den 80er Jahren hat aber die damalige Staatssekretärin im Ministerium Brigitte Erler von einer tödlichen Hilfe gesprochen. Die Kritik ist also doch nicht neu. Warum hat sich trotzdem so lange gar nichts geändert?

Pinger: Man hat immer noch gehofft, durch Korrekturen zu besseren Ergebnissen zu kommen. Irgendwann muss man ja aus den leidvollen und bitteren Erfahrungen die Konsequenzen ziehen, und das ist nun höchste Zeit.

Kolkmann: Macht denn die Bundesregierung, anstatt dieses nun wirklich auf den Weg zu bringen, immer wieder alte Fehler, dass zum Beispiel Gelder von Staat zu Staat verteilt werden und nicht direkt an Projekte?

Pinger: Ja. Das ist das Hauptproblem, dass wir eine Entwicklungszusammenarbeit haben – übrigens auch international -, die immer wieder auf den Staat setzt, die auf den Staat und seine Bürokratie setzt, auf die ineffizienten und meist ja auch korrupten Strukturen. Immer das Geld von oben rein und unten bei den Menschen, bei denen es ankommen soll, da kommt dann tatsächlich doch nichts an.

Kolkmann: Wie könnte es besser gemacht werden? Wo gibt es positive Beispiele?

Pinger: Das ganze System ändern, nämlich nicht Entwicklungshilfe von oben, sondern eben von unten. Das ist eine alte Forderung, uralte Forderung der Hilfe zur Selbsthilfe. Aber diese Selbsthilfe ist in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit nie wirklich praktiziert worden.

Kolkmann: Wie könnte diese Hilfe von unten sehr konkret aussehen? Wenn man Gelder zum Beispiel an Kleinbauern gibt, wie kann man sicher sein, dass dieses Geld gut angelegt ist?

Pinger: Ich nehme als Beispiel die Mikrobanken, das heißt diejenigen Banken, die Geld geben nur an Arme und Ärmste, an Kleinbauern zum Beispiel. Das sind Spezialbanken und die bekommen dann das Geld – zum Beispiel auch vom deutschen Staat – und diese Banken sind echte Banken, die natürlich nichts zu verschenken haben, die aber überall auf der Welt, wo sie bestehen und richtig gemanagt werden, über 98 Prozent Rückzahlungsquote haben, ohne jede Sicherheit über 98 Prozent Rückzahlungsquote, und die meisten der Kreditnehmer sind Frauen.

Kolkmann: Wäre das – das ist ein Beispiel aus Asien – eines, das man auch auf Afrika übertragen könnte, so dass Afrika irgendwann dann ein Kontinent ist, der sich selbst ernähren kann?

Pinger: Ja. In Bangladesch - übrigens auch ein sehr, sehr korruptes Land – hat es sich ja bewährt. Der Nobelpreisträger Professor Yunus hat jetzt 7,5 Millionen Kunden, davon 93 Prozent Frauen – und zwar arme und ärmste. Ich habe mit ihm im vergangenen Jahr über die Frage gesprochen, ob dies auch in Afrika möglich ist. Es ist für ihn gar keine Frage, dass dem so ist. Er ist sogar bereit, mit uns Deutschen in Afrika im ländlichen Raum solche Mikrobanken aufzubauen. Ich habe diesen Vorschlag an die Bundesregierung, an die Abgeordneten herangetragen, bisher noch ohne Erfolg.

Kolkmann: Wie erklären Sie sich, dass Sie dort offensichtlich kein Gehör finden? Ist das zu kompliziert, ein solches System von unten erst einmal aufzubauen, dann zu finanzieren und auch zu kontrollieren? Ist es einfacher, einfach dem Staat ein paar hundert Millionen zu geben und zu sagen "macht mal"?

Pinger: Im Gegenteil. Die Kontrolle ist ja viel einfacher, weil die Menschen es selbst machen. Diese Menschen lassen ja nicht zu, dass sich dort irgendeiner was in die Tasche steckt. Wohl aber ist es schwierig, die Fülle der oft kleinen Selbsthilfegruppen und Selbstverwaltungsorganisationen aufzufinden, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, festzustellen welche Probleme sie haben, welche Probleme sie selbst lösen können und müssen, um dann Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Das ist natürlich dann schon ein komplizierter Prozess, aber wir haben ja Tausende von Experten, die dort helfen könnten. Die Botschaften könnten mehr eingeschaltet werden; das ist möglich. Es ist allerdings der schwierigere Prozess. Wenn ich Geld oben reinschütte, bei der Regierung in einem Entwicklungsland abliefere, dann habe ich keine Probleme.

Kolkmann: Sie üben ja starke Kritik an der Politik, auch an der Bundesregierung. Glauben Sie, dass vor diesem Hintergrund möglicherweise die Milleniumsziele, nämlich die Halbierung der Armut bis 2015, nicht umgesetzt werden können?

Pinger: Wir haben ja die Halbzeit jetzt oder sie ist gerade vorbei und müssen feststellen, dass in der ersten Halbzeit jedenfalls wir in Deutschland uns auf die Milleniumsziele überhaupt nicht konzentriert haben. Wir hatten ein Aktionsprogramm, ein Programm ohne Aktionen. Da war ein Umsetzungsplan angekündigt; der ist nie verabschiedet worden. Es ging immer nach dem Motto "weiter so".

Kolkmann: Vielen Dank! – Das war Professor Winfried Pinger, CDU-Politiker, seit langem engagiert in der Entwicklungshilfe-Politik, und er ist Vorsitzender der "Aktion 2015" zur Förderung der Milleniumsziele zur Bekämpfung der Armut.


Das Gespräch mit Winfried Pinger können Sie bis zum 3. Februar in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio