Entscheidungen in der Politik

"Die Möglichkeit, rational zu entscheiden, wird überschätzt"

Andrea Nahles, Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, SPD, steht mit offenen Armen an einem Rednerpult vor einem roten Hintergrund mit SPD-Logo.
Ja oder Nein zu "Transitzentren" an der deutschen Grenze: Es ist an der SPD unter Parteichefin Nahles, den Asylkompromiss von CDU/CSU und damit den Fortbestand der Bundesregierung zu retten. © dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka
Barbara Stollberg-Rilinger im Gespräch mit Ute Welty · 05.07.2018
Nach dem heutigen Koalitionsausschuss wird eine Entscheidung der SPD zum Asylkompromiss der Union erwartet. Angesichts des wochenlangen Streits: Sollte diesmal einfach das Los entscheiden? Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über Vernunft und Zufall.
Die gut durchdachte Entscheidung gilt in der Politik als Maßstab aller Dinge. Doch wie weit ist es damit her? "Ich denke, es wird die Möglichkeit, tatsächlich immer rational zu entscheiden, in der Regel überschätzt", sagt Stollberg-Rilinger. Man wisse aus der Forschung, dass meist gar nicht nach rationaler Erwägung entschieden werden könne. Denn man habe entweder nicht alle Informationen oder nicht genug Zeit, alles zu erwägen. Tatsächlich werde "sehr oft aufgrund ganz anderer, teilweise emotionaler Bauchgefühle" entschieden: "Man rationalisiert die Entscheidung dann anschließend nach, die man tatsächlich aber in ganz anderer Weise intuitiv gefällt hat."
Die Autorin Barbara Stollberg-Rilinger wird am 23.03.2017 auf der Buchmesse in Leipzig (Sachsen) mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik ausgezeichnet.
Barbara Stollberg-Rilinger ist Geschichtsprofessorin an der Universität Münster. Zum 1. September 2018 wird sie Rektorin des Berliner Wissenschaftskollegs. © picture alliance / dpa / Jan Woitas

Irrationalität der vergangenen Tage

In der Geschichte habe es viele Fälle gegeben, in denen das Los entschieden habe, so die designierte Rektorin des Berliner Wissenschaftskollegs. Eine Option für die SPD? "Eher nicht", meint Stollberg-Rilinger - obwohl das bei der "Irrationalität in den letzten Tagen" fast schon vernünftiger sei. Aber:
"Losen heißt natürlich, auf das Abwägen von Gründen zu verzichten. Das kann man sich in solchen zentralen Fragen nicht leisten, weil da gibt es natürlich gute Gründe für die eine oder andere Entscheidung, und man kann nicht einfach darauf verzichten, sie gegeneinander abzuwägen. Man kann immer nur in sehr kleinen, einzelnen Punkten losen und nur dann, wenn wirklich die verschiedenen Optionen in jeder Hinsicht völlig gleich sind."
(bth)
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