Entlassungen am Flughafen Frankfurt

Die Kündigung als Weihnachtsgeschenk

07:07 Minuten
Airbus A 319 "Rüsselsheim" der Lufthansa beim Start am Frankfurter Flughafen "Fraport". Im Hintergrund, Tower, Terminal 1 und der große Hangar.
Eines von wenigen Flugzeugen, das zurzeit in Frankfurt startet. Nur ein Bruchteil der Flüge findet noch statt. © picture alliance / Daniel Kubirski
Von Anke Petermann · 05.01.2021
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Wenn nicht geflogen wird, brauchen Firmen kein Personal. Ein Dienstleister am Frankfurter Flughafen kündigte kurz vor Weihnachten einem Viertel der Mitarbeiter. Sie und die Gewerkschaft vermuten dahinter nur einen Vorwand, Personal loszuwerden.
Jahreswechsel, Weihnachtsferien, Hauptreisezeit. Üblicherweise würden sich Passagiere in den beiden Frankfurter Abflughallen drängeln. Auf die großen Anzeigetafeln würden die Abflüge für ein, zwei Stunden passen. Doch derzeit sind es so wenige, dass sie morgens einen Überblick bis in den Nachmittag hinein liefern. Terminal 2 mit täglich mehr als 30.000 Passagieren im Durchschnitt ist geschossen - und der Betrieb in Terminal 1 überschaubar.
Ein deutsch-mexikanisches Paar sitzt auf dem Boden vor einer Pizzeria – die Schnellrestaurants sind immerhin noch offen. Sie fliegt gleich nach Mexiko zurück. Er hat die Maske unters Kinn gezogen, schluckt ein Stück Pizza runter. "Wir haben gerade eingecheckt, es gibt eigentlich keine Person mehr, die das Gepäck entgegennimmt, es geht alles vollautomatisch. Ansonsten ist wenig los. Wir haben gerade oben geschaut wegen der Sicherheitskontrolle, da ist halt wenig los."
Und allgemein: Die ganzen Läden sind derzeit zu - wie im restlichen Deutschland auch.

Viele Kollegen in Kurzarbeit

Zollfreier Handel am Drehkreuz Frankfurt: Fehlanzeige, bedauert Matthias Venema, Landesfachbereichsleiter der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Hessen:
"Alles, was an Duty-free-Handel nicht stattfindet oder die ganzen hochpreisigen Luxuslabel im Sicherheitsbereich gerade bei den Umsteigern. Die Duty-Free-Bereiche im Terminal 1 A, wo die Intercont-Abflüge abgehen, da war ja richtig Umsatz, das findet im Moment alles nicht statt. Auch dort sind viele Kollegen in Kurzarbeit."
Terminal 1. Treffpunkt für ein Interview mit Martin Leutke, Konzernsprecher der Lufthansa. Die parkt derzeit erneut Flieger auf der stillgelegten Nordwest-Landebahn. Anders als im Frühjahr sind es jetzt die Großraumjets. Bis zu zehn Jumbos von Boeing und Airbus lassen sich dort abstellen, nahe an den Wartungseinrichtungen, so dass sie bei Bedarf zügig wieder flottgemacht werden könnten.

Möglichst viele Mitarbeiter an Bord halten

Die Lufthansa hat soeben mit der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Krisentarifverträge festgezurrt.
"Wir haben mit allen Berufsgruppen, die wir haben, jetzt eine Einigung erzielt, um die nächste Zeit gemeinsam auf den Weg zu bringen, Restrukturierungs- und Kostensenkungsmaßnahmen, damit wir diese Krise gemeinsam meistern können. Weil das große Ziel ist, möglichst viele Mitarbeiter an Bord zu halten, sichere Arbeitsplätze zu bieten. Dazu müssen wir die Kosten senken, und über die Kostensenkung haben wir zumindest für die nächste Zeit mit den Gewerkschaften Einigung erzielt."
Verlängerte Kurzarbeit, Gehaltseinbußen, ausgesetzte Tariferhöhungen. Das Lufthansa-Personal erbringt Sparleistungen von mehreren hundert Millionen Euro und bekommt dafür Kündigungsschutz bis März 2022, beim Kabinenpersonal bis Ende 2023.

Arbeitsplätze werden abgebaut

"Aber die Krise wird länger dauern als ein, zwei Jahre. Deshalb müssen wir schauen, wie wir auch längerfristig Kosten senken können, dazu müssen die Gespräche weitergehen, zum Beispiel über kreative Teilzeit-Modelle", ergänzt Konzernsprecher Leutke. 30.000 Beschäftigte hat Lufthansa 2020 weltweit schon abgebaut.
"Die meisten Mitarbeiter, die uns verlassen haben, sind Mitarbeiter aus dem Ausland, es werden aber auch Mitarbeiter aus dem Inland, also aus Deutschland, dazukommen."
10.000 Stellen sollen hier in den kommenden Jahren wegfallen. Und das, obwohl die Cargo-Sparte boomt. Flaute in den Passagierterminals, Hochbetrieb in den Frachthallen, und zwar rund um die Uhr, berichtet Martin Leutke.
"Die Fracht hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich. Lieferketten müssen aufrechterhalten werden, Lebensmittel müssen transportiert werden. Und demzufolge war die Nachfrage nach Fracht auch 2020 sehr hoch. Aber das wird natürlich nicht im Gesamtbild die Verluste auffangen können, die durch die Passagier-Airlines entstanden sind."

Entlassung kam kurz vor Weihnachten

Milliarden-Verluste machte das vom Staat gerettete Unternehmen und reduzierte sein Flugangebot deutlich. Wie andere Airlines auch. Das wiederum gefährdet Arbeitsplätze beim Flughafen-Betreiber Fraport. 4000 von 22.000 Stellen in Frankfurt am Main will er mit Abfindungen und Altersteilzeit sozialverträglich abbauen, er nutzt außerdem die verlängerte Kurzarbeit bis Ende 2021.
Eine Boeing 777 wird auf dem Rollfeld des Frankfurter Flughafens von Technikern gewartet. 
Eine Boeing 777 wird gewartet. Zurzeit stehen zahlreiche Maschinen herum und warten auf ihren nächsten Einsatz.© dpa / Alexander Heinl
Der Bodenverkehrsdienstleister der Wisag-Gruppe tut das nicht und hat einem Viertel seiner 850 Beschäftigten betriebsbedingt gekündigt, mit Fristen bis maximal Ende März. Ein Ausbilder in der Flugzeug-Abfertigung auf dem Vorfeld klagt mit Hilfe der Industriegewerkschaft Luftverkehr gegen seine Entlassung. Er möchte anonym bleiben und schildert seine Lage via Sprachnachricht.
"Mein Arbeitsverhältnis wurde in Zusammenhangmit der Massenentlassung bei der Pandemie gekündigt. Seit 2019 ist das meine zweite Klage um meinen Arbeitsplatz. Bei der ersten ist die Wisag gescheitert. Ich möchte mein Arbeitsverhältnis beibehalten. Mit mir sind über 200 Mitarbeiter gekündigt worden. Das Ganze kam kurz vor Weihnachten als Weihnachtsgeschenk."
Die Industriegewerkschaft Luftverkehr weist das unfreundliche Geschenk zurück. IGL-Vize Daniel Wollenberg sieht die Politik, namentlich den Bundeswirtschaftsminister, gefordert.

"Es geht um unsere Existenz"

"Minister Altmaier hat einen Schutzschild für Beschäftigte rausgegeben und klar gesagt, dass die Phase der Kurzarbeit genutzt werden solle, damit die Unternehmen die Personalkosten sparen können, um für die Zeit nach der Krise gewappnet zu sein. Wir leben ja nicht in einer Traumwelt, wir sehen klar, dass der Markt in Bewegung ist und keiner weiß, wo es hingeht, aber das jetzt als Vorwand zu nutzen, um sich des Personals zu entledigen, ist einfach eine Schweinerei, und da muss auch die Politik mal ein Machtwort sprechen."
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unterstützt die Entlassenen bei Kündigungsschutz-Klagen. Sollte die Wisag Fristen versäumt oder Fehler bei der Sozialauswahl gemacht haben, könnte das für den ein oder anderen ein paar Monate Weiterbeschäftigung bringen. "Wir kämpfen um unsere Arbeitsplätze", sagt das anonyme Mitglied der kleineren IGL: "Letztendlich geht es hier um unsere Existenz."
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