Entführung, Raub und Mord auf See
Piraterie sei heute vor allem dort verbreitet, wo rechts- und polizeifreie Räume existierten, erklärt Hartmut Roder, Leiter der Handelskundeabteilung im Bremer Überseemuseum. Besonders gefährlich sei die Meeresstraße von Malakka in Südostasien. Gut organisierte Clans überfielen dort auch große Containerschiffe, um die Mannschaft zu erpressen.
Liane von Billerbeck: Entführung, Raub, Mord, das sind die Delikte, die man mit moderner Piraterie verbindet. Nichts mehr von Freibeuterromantik, die uns so lange vorgegaukelt wurde. Ein deutsches Handelsschiff, eine französische Jacht und vor wenigen Tagen ein deutscher Segler vor der Küste Somalias, die wurden überfallen und deren Besatzung entführt. 263 Schiffe wurden nach der offiziellen Statistik im vorigen Jahr auf dem Meer, vor den Küsten und in engen Passagen angegriffen und beraubt. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit höher liegen. Die Herren der sieben Weltmeere und die globalen Folgen der Piraterie sind unser Thema im Gespräch mit Hartmut Roder. Er leitet die Handelskundeabteilung im Bremer Überseemuseum und hat zudem ein Buch über die Piraten geschrieben. Ich grüße Sie!
Hartmut Roder: Schönen guten Tag!
von Billerbeck: Es ist in vielen Artikeln, die in jüngster Zeit erschienen sind, immer wieder die Rede von einer Renaissance der Piraterie, das heißt, es gab mal eine Zeit ohne Piraten?
Roder: Ja, die hat es gegeben, aber auch immer nur kurzfristig. Piraten ist so ein Opportunitätsgeschäft. Seit der Seerechtskonvention von 1856 war eigentlich die Piraterie, das heißt das Kaperwesen, völkerrechtlich verboten. Aber bereits schon im Ersten Weltkrieg wie auch im Zweiten Weltkrieg gab es dann die Piraten des Kaisers, und es gab auch die Piraten des Führers, die eben sozusagen das als ein Teil der Kriegführung wieder eingeführt haben, also Hilfskreuzer, die dann aus ehemaligen Handelsschiffen existierten. Aber im Großen und Ganzen gesehen können Sie davon ausgehen, Piraterie ist ja immer etwas, wo rechtsfreie und polizeifreie Räume sind. Und die hat es eigentlich mit der Stabilisierung der Nationalstaaten ab 1850/1860 in dem Sinne nicht mehr gegeben. Von daher gesehen können wir in gewisser Weise tatsächlich von einer Renaissance sprechen. Aber nur vom Begriff, denn das heutige Piratenwesen ist was völlig anderes, als es sozusagen über viereinhalbtausend Jahre vorher der Fall war.
von Billerbeck: Wer wurde denn früher eigentlich Pirat und was waren die Motive?
Roder: Die Motive waren eigentlich ziemlich einfach. Wir stellen uns immer diese Hollywood-Piraten alle vor, das verdeckt ja vieles. Das ist sozusagen die Zwischenzeit, das sind die Piraten der Zwischenzeit, 20er-Jahre, 30er-Jahre und dann noch mal nach 1950. Früher war es einfach schlichtweg so, dass schon zu Zeiten der Pharaonen im alten Ägypten gab es halt Piraten, das waren zum Teil Seeleute, das waren aber auch von Städten, die mit Ägypten im Konflikt lagen, angeheuerte Seeleute, die dann eine Art von Kaperbrief erhielten und die dann im Grunde genommen so eine Art Kriegszustand erklärten, aber ohne dass man eine feste Navy hatte, eine feste Marine oder eine feste Armee. Und man hat unter dieser Oberfläche versucht, den Gegner zu bekämpfen. Es waren meistens in der Regel Seeleute, später in der Hansezeit waren es angesehene Kaufleute, die von ihren Städten einfach mit so einem Kaperbrief ausgestattet wurden. Der Kaperbrief besagte, wir sind also nicht irgendwie rechtlose Piraten, nein, nein, wir sind sozusagen Teil der Armee von Hamburg oder von Bremen. Und als dieser Teil, der jetzt auf eigene Kosten sich entlohnt, indem er nämlich die Hälfte dessen, was er da ergattert, mit nach Hause nehmen kann, und noch viele andere Geschenke, sind wir jetzt im Dienste unserer Städte tätig. Das heißt also, Staat und Piraterie, das ist sozusagen zweieinig. Das sind Dinge, die sich irgendwie ergänzen. Häufig waren sie Söldner auf See, die dann besonders entlohnt wurden. Der berühmte Störtebeker, von dem wir eigentlich gar nicht wissen, ob es ihn richtig schon mal gegeben hat, der war im Grunde genommen für seinen Landesherrn aktiv, der gerne die Krone Dänemarks haben wollte. Hat natürlich nachher nicht so richtig hingeguckt und hat alles dann im Prinzip überfallen, alles geentert, was ihm da vor den Schiffsbug kam. Später, als sie sich geeinigt haben, als die Hanse so einen Vertrag machte, waren die Piraten, diese Kaperer nicht mehr gewünscht. Und da haben eigentlich auf eigene Faust das gemacht, was sie gelernt hatten. Und dann wurden sie rechtlose, böse Piraten.
von Billerbeck: Wie müssen wir uns eigentlich so ein Piratenleben vorstellen? War das tatsächlich irgendwie frei und romantisch, wie uns die Hollywood-Schinken immer so vorgaukeln?
Roder: Im seltensten Falle. Sie müssen das einfach abheben von dem ganz normalen Seemann. Und Seemann-Dasein damals im Mittelmeer, in diesen Hochzeiten oder auch später in der Karibik im 18. Jahrhundert oder im 17. Jahrhundert, das waren eigentlich die ärmsten Teufel, die das machten. Die hatten die geringste Lebenserwartung. Überlegen Sie einmal, die englische Marine hat mal festgestellt, dass zwischen 1600 und 1800 etwa 50 Prozent aller, die auf Schiffen waren, nicht länger dort als drei Jahre überlebt haben. Entweder sie sind halt über Bord gefallen oder sie hatten einen Unfall oder irgendetwas anderes. Und dann die Aussicht zu haben, Mensch, ich könnte jetzt illegal beispielsweise schnell zu Reichtum kommen, schnell Beute machen, das ist natürlich eine super Aussicht, wenn man vor allen Dingen nur eine Lebenserwartung von 35 oder 40 oder 30 hat. Und dieser Traum, auf relativ schnelle Art und Weise Wohlstand ohne viel Arbeit, aber einmal kräftig zuschlagen, den träumten natürlich viele arme Schweine der damaligen Zeit, denn man musste sozusagen, wenn man in die Marine kam, wurde man dazu quasi gepresst. Keiner hat sich freiwillig dahin begeben, um die Romantik von Freddy zu erleben, Weite des Meeres und eine wunderschöne Braut zu Hause. Das sind alles Fiktionen. Und von daher gesehen können Sie sich vorstellen, wenn dann Gold-Schiffe aus Lateinamerika nach Spanien gehen und Sie haben die Chance, diese Schiffe in irgendeiner Form in Ihre Gewalt zu bekommen, na, dann haben Sie Ihren Mallorca-Traum.
von Billerbeck: Waren das eigentlich immer Männer, weil bisher war immer nur von Männern die Rede? Oder gab es auch Piratinnen?
Roder: Offiziell gab es nur Männer.
von Billerbeck: Aber?
Roder: Das hing einfach damit zusammen, die Piraten hatten ja einen Vertrag. Man musste so eine Art Eintrittsvertrag unterschreiben. Wir glauben alle, das ging da chaotisch an Bord zu, nichts dergleichen. Wenn es um Geld geht, wurde schon früher, auch selbst auf Piratenschiffen, auch wenn man nicht schreiben konnte, wurden Verträge abgeschlossen. Und da stand drauf auf Nummer drei, Frauen sind dort nicht zugelassen. Stellen Sie sich vor, 50 wild gewordene Männer kloppen sich da um zwei Frauen. Na, halleluja, da ist ja dann letztendlich die Golddukate nichts mehr wert. Aber es gab schon auch im Mittelalter, weil es die einzige Möglichkeit war, für Frauen aus der Bedrückung der Ehe, aus diesem letzten Status, den sie hatten, in der damaligen Zeit, also als Gebärmaschine und als Arbeitskraft, herauszukommen, im Grunde genommen ja als Transvestiten dort aufzutreten, als Männer aufzutreten. Und die neueren Ergebnisse sagen, dass selbst in der Handelsmarine zirka 10 bis 15 Prozent aller Mannschaften aus Frauen bestanden. Und so gab es eben auch Frauen an Bord, einige sind ja noch bekannt, Anne Bonny, Mary Reed usw. usf., die da spektakulär Geschichte geschrieben haben.
von Billerbeck: Entführung, Raub, Mord – das Piratenleben ist offenbar doch nicht ganz so romantisch, wie uns das im Film immer vorgemacht wurde. Hartmut Roder über die Piraterie in Geschichte und Gegenwart. Zur Gegenwart der Piraterie, die klingt noch viel weniger komisch als das, was wir aus der Geschichte oder aus Hollywood-Filmen kennen: In welchen Regionen sind denn Piraten, die jetzt, wie wir hören, auch Containerschiffe und Rohöltanker überfallen, besonders aktiv?
Roder: Die Hot Spots, wie man heute sagt, der Piraterie sind im Grunde genommen in Asien in bestimmten rechtsfreien Räumen. Das ist vor allen Dingen um die Straße von Malakka herum, also zwischen Malaysia, den Philippinen und Indonesien. Lange, sehr, sehr lange Küsten, die da sind, große Versteckmöglichkeiten, viele Inseln. Die Schiffe müssen langsamer fahren. Denken Sie mal die Straße von Malakka, über 800 Kilometer lang, da müssen die Schiffe ihre Geschwindigkeit reduzieren, die Ufer sind nicht so weit entfernt, und dort geht im Grunde genommen drei Viertel des asiatischen Welthandels durch. Das heißt also, dort kommen diese ganzen glitzernden Containerschiffe mit Ware beladen durch, und da sind dann eben und waren vor allen Dingen Piraten aktiv. Weitere Hot Spots sind um Afrika, ohne jeden Zweifel, das ist jetzt gerade der Fall Somalia, das wissen wir ja schon seit geraumer Zeit. Ein Staat, der im Prinzip überhaupt nicht existiert. War Lords regieren dort.
von Billerbeck: Und der der Piraterie demzufolge auch Vorschub leistet?
Roder: Absolut, die davon auch profitieren. Es sind ja Clans, die dort Somalia untereinander aufgeteilt haben, und die profitieren davon ja auch in diesem Falle, den wir haben jetzt gerade mit der deutschen Segeljacht. Die haben ja eine spezielle Art von Piraterie, die wollen eigentlich nur Lösegeld erpressen, also Geld haben. Geld sieht man nachher nicht an, aus welcher Bank und von welchem Unternehmen es kommt.
von Billerbeck: Sie haben die Straße von Malakka angesprochen, da fahren ja jedes Jahr 60.000 Schiffe durch, habe ich gelesen …
Roder: 90 …
von Billerbeck: 90.000 sogar.
Roder: Ja.
von Billerbeck: Und wenn wir jetzt diese Zahl von 263 offiziellen Piraterie-Überfällen nehmen, dann ist das ja relativ wenig. Weshalb ist dieser Schaden auch so groß? Beschreiben Sie uns doch auch mal, wie man so ein Containerschiff kapert, das ist ja ein Riesending. Wie kann man denn das einfach überfallen und irgendwo verstecken? Das kann ich mir ganz schwer vorstellen.
Roder: Bei den Containerschiffen ist es auch meistens so, das verstecken sie nicht, sondern da ist es meistens so, sie kommen an diese Schiffe ran, die Überfälle finden ja meistens zwischen zwei Uhr nachts und sechs Uhr morgens statt. Sie kommen an diese Schiffe heran, die Schiffe haben ein unheimlich hohes Freibord, sodass sie diese hölzernen Schiffe, die mit 30-Seemeilen-Außenbordern behaftet sind, die kommen an sie ran, entern sie noch wie in früheren Zeiten mehr oder weniger, mit Stangen und mit Wurfankern etc., und wollen dann eigentlich nur eins: Sie wollen dann schnell ins Deckshaus, wollen den Safe des Käptens und die persönlichen Belongings der Besatzungsmitglieder haben und verschwinden auch wieder. Also bei Containern. Es sei denn, man weiß von ganz bestimmten Containern, wo die stehen, die werden aufgebrochen. Diese Überfälle dauern ja nicht mehr als höchstens zehn Minuten bis eine Viertelstunde.
von Billerbeck: Weshalb sind solche Überfälle durch Piraten eigentlich so wirksam und schädigen die globale Wirtschaft so stark?
Roder: Sie schädigen sie ja noch nicht genug, sonst würde man ja viel mehr dagegen machen. Also vom Volumen her gesehen, man spricht so von zwölf bis 15 bis 18 Milliarden Dollar, das ist beim Welthandelsvolumen und 90 Prozent des gesamten Welthandels, der sich in mehreren Billionen-Größen bewegt, 90 Prozent laufen über die Meere ab. Und von daher gesehen, ist er ja anscheinend noch nicht groß genug. Aber hier ist es einfach so, dass in diesen engen Straßen tatsächlich, nichts ist mehr sicher. Und weil dort die Gelegenheit sich bietet, es ist eine Armutsbevölkerung dort im weitesten Sinne, und es ist in dieser Armutsbevölkerung, dahinter steht eine ganze Organisation, da ist eine Infrastruktur vorhanden, die eben bis in die großen Städte hineinreicht. Die Drecksarbeit machen ehemalige Seeleute und auch Fischer, während hier zum Teil gezielt eben auch einfach Schiffe entführt werden. Sie werden dann in kleine Häfen gebracht oder auch in größeren Häfen versteckt. Es werden dann Massengüter entladen, und die werden auf dem Hehlermarkt verkauft. Im Moment ist das Volumen noch absehbar, aber der Schaden, der beispielsweise für die Gesamtschifffahrt natürlich existiert, ist viel größer, und die Gefahren, die dort aufkommen. Nehmen Sie mal die Straße von Malakka, eine der wichtigsten Straßen überhaupt der Welt. Wenn dort Schiffe zum Beispiel eben ausgeraubt werden …
von Billerbeck: Dann steigen ja vor allen Dingen auch die Versicherungsprämien für so einen Seeweg … und wenn es, das kann ich mir auch vorstellen …
Roder: Das ist schon so. Lloyds hat ja die Straße von Malakka schon zu einem Notstandsgebiet erklärt, und damit gleichzeitig tatsächlich die Versicherungsprämie erhöht. Das ist das eine. Aber das Ansehen der Reederei, keine Reederei möchte doch sagen, unsere Schiffe sind unsicher, die sind schon von Piraten überfallen. Deswegen wird das alles unter dem Deckel gehalten, und diese Zahl ist sehr euphemistisch, die ist sehr runtergedrückt worden. Die Überfälle, die Zahl der wirklichen Überfälle ist ja viel, viel höher. Die Dunkelziffer ist ja so was von hoch.
von Billerbeck: Das romantisierte Bild des Freibeuters und die moderne Piraterie. Wir sprachen darüber mit Hartmut Roder. Er leitet die Handelskundeabteilung des Bremer Überseemuseums. Und falls Sie sich noch weiter informieren wollen, dann lesen Sie in seinem Buch nach, "Piraten, Herrscher der sieben Weltmeere" heißt es. Ich danke Ihnen schön!
Roder: Bitte schön!
Hartmut Roder: Schönen guten Tag!
von Billerbeck: Es ist in vielen Artikeln, die in jüngster Zeit erschienen sind, immer wieder die Rede von einer Renaissance der Piraterie, das heißt, es gab mal eine Zeit ohne Piraten?
Roder: Ja, die hat es gegeben, aber auch immer nur kurzfristig. Piraten ist so ein Opportunitätsgeschäft. Seit der Seerechtskonvention von 1856 war eigentlich die Piraterie, das heißt das Kaperwesen, völkerrechtlich verboten. Aber bereits schon im Ersten Weltkrieg wie auch im Zweiten Weltkrieg gab es dann die Piraten des Kaisers, und es gab auch die Piraten des Führers, die eben sozusagen das als ein Teil der Kriegführung wieder eingeführt haben, also Hilfskreuzer, die dann aus ehemaligen Handelsschiffen existierten. Aber im Großen und Ganzen gesehen können Sie davon ausgehen, Piraterie ist ja immer etwas, wo rechtsfreie und polizeifreie Räume sind. Und die hat es eigentlich mit der Stabilisierung der Nationalstaaten ab 1850/1860 in dem Sinne nicht mehr gegeben. Von daher gesehen können wir in gewisser Weise tatsächlich von einer Renaissance sprechen. Aber nur vom Begriff, denn das heutige Piratenwesen ist was völlig anderes, als es sozusagen über viereinhalbtausend Jahre vorher der Fall war.
von Billerbeck: Wer wurde denn früher eigentlich Pirat und was waren die Motive?
Roder: Die Motive waren eigentlich ziemlich einfach. Wir stellen uns immer diese Hollywood-Piraten alle vor, das verdeckt ja vieles. Das ist sozusagen die Zwischenzeit, das sind die Piraten der Zwischenzeit, 20er-Jahre, 30er-Jahre und dann noch mal nach 1950. Früher war es einfach schlichtweg so, dass schon zu Zeiten der Pharaonen im alten Ägypten gab es halt Piraten, das waren zum Teil Seeleute, das waren aber auch von Städten, die mit Ägypten im Konflikt lagen, angeheuerte Seeleute, die dann eine Art von Kaperbrief erhielten und die dann im Grunde genommen so eine Art Kriegszustand erklärten, aber ohne dass man eine feste Navy hatte, eine feste Marine oder eine feste Armee. Und man hat unter dieser Oberfläche versucht, den Gegner zu bekämpfen. Es waren meistens in der Regel Seeleute, später in der Hansezeit waren es angesehene Kaufleute, die von ihren Städten einfach mit so einem Kaperbrief ausgestattet wurden. Der Kaperbrief besagte, wir sind also nicht irgendwie rechtlose Piraten, nein, nein, wir sind sozusagen Teil der Armee von Hamburg oder von Bremen. Und als dieser Teil, der jetzt auf eigene Kosten sich entlohnt, indem er nämlich die Hälfte dessen, was er da ergattert, mit nach Hause nehmen kann, und noch viele andere Geschenke, sind wir jetzt im Dienste unserer Städte tätig. Das heißt also, Staat und Piraterie, das ist sozusagen zweieinig. Das sind Dinge, die sich irgendwie ergänzen. Häufig waren sie Söldner auf See, die dann besonders entlohnt wurden. Der berühmte Störtebeker, von dem wir eigentlich gar nicht wissen, ob es ihn richtig schon mal gegeben hat, der war im Grunde genommen für seinen Landesherrn aktiv, der gerne die Krone Dänemarks haben wollte. Hat natürlich nachher nicht so richtig hingeguckt und hat alles dann im Prinzip überfallen, alles geentert, was ihm da vor den Schiffsbug kam. Später, als sie sich geeinigt haben, als die Hanse so einen Vertrag machte, waren die Piraten, diese Kaperer nicht mehr gewünscht. Und da haben eigentlich auf eigene Faust das gemacht, was sie gelernt hatten. Und dann wurden sie rechtlose, böse Piraten.
von Billerbeck: Wie müssen wir uns eigentlich so ein Piratenleben vorstellen? War das tatsächlich irgendwie frei und romantisch, wie uns die Hollywood-Schinken immer so vorgaukeln?
Roder: Im seltensten Falle. Sie müssen das einfach abheben von dem ganz normalen Seemann. Und Seemann-Dasein damals im Mittelmeer, in diesen Hochzeiten oder auch später in der Karibik im 18. Jahrhundert oder im 17. Jahrhundert, das waren eigentlich die ärmsten Teufel, die das machten. Die hatten die geringste Lebenserwartung. Überlegen Sie einmal, die englische Marine hat mal festgestellt, dass zwischen 1600 und 1800 etwa 50 Prozent aller, die auf Schiffen waren, nicht länger dort als drei Jahre überlebt haben. Entweder sie sind halt über Bord gefallen oder sie hatten einen Unfall oder irgendetwas anderes. Und dann die Aussicht zu haben, Mensch, ich könnte jetzt illegal beispielsweise schnell zu Reichtum kommen, schnell Beute machen, das ist natürlich eine super Aussicht, wenn man vor allen Dingen nur eine Lebenserwartung von 35 oder 40 oder 30 hat. Und dieser Traum, auf relativ schnelle Art und Weise Wohlstand ohne viel Arbeit, aber einmal kräftig zuschlagen, den träumten natürlich viele arme Schweine der damaligen Zeit, denn man musste sozusagen, wenn man in die Marine kam, wurde man dazu quasi gepresst. Keiner hat sich freiwillig dahin begeben, um die Romantik von Freddy zu erleben, Weite des Meeres und eine wunderschöne Braut zu Hause. Das sind alles Fiktionen. Und von daher gesehen können Sie sich vorstellen, wenn dann Gold-Schiffe aus Lateinamerika nach Spanien gehen und Sie haben die Chance, diese Schiffe in irgendeiner Form in Ihre Gewalt zu bekommen, na, dann haben Sie Ihren Mallorca-Traum.
von Billerbeck: Waren das eigentlich immer Männer, weil bisher war immer nur von Männern die Rede? Oder gab es auch Piratinnen?
Roder: Offiziell gab es nur Männer.
von Billerbeck: Aber?
Roder: Das hing einfach damit zusammen, die Piraten hatten ja einen Vertrag. Man musste so eine Art Eintrittsvertrag unterschreiben. Wir glauben alle, das ging da chaotisch an Bord zu, nichts dergleichen. Wenn es um Geld geht, wurde schon früher, auch selbst auf Piratenschiffen, auch wenn man nicht schreiben konnte, wurden Verträge abgeschlossen. Und da stand drauf auf Nummer drei, Frauen sind dort nicht zugelassen. Stellen Sie sich vor, 50 wild gewordene Männer kloppen sich da um zwei Frauen. Na, halleluja, da ist ja dann letztendlich die Golddukate nichts mehr wert. Aber es gab schon auch im Mittelalter, weil es die einzige Möglichkeit war, für Frauen aus der Bedrückung der Ehe, aus diesem letzten Status, den sie hatten, in der damaligen Zeit, also als Gebärmaschine und als Arbeitskraft, herauszukommen, im Grunde genommen ja als Transvestiten dort aufzutreten, als Männer aufzutreten. Und die neueren Ergebnisse sagen, dass selbst in der Handelsmarine zirka 10 bis 15 Prozent aller Mannschaften aus Frauen bestanden. Und so gab es eben auch Frauen an Bord, einige sind ja noch bekannt, Anne Bonny, Mary Reed usw. usf., die da spektakulär Geschichte geschrieben haben.
von Billerbeck: Entführung, Raub, Mord – das Piratenleben ist offenbar doch nicht ganz so romantisch, wie uns das im Film immer vorgemacht wurde. Hartmut Roder über die Piraterie in Geschichte und Gegenwart. Zur Gegenwart der Piraterie, die klingt noch viel weniger komisch als das, was wir aus der Geschichte oder aus Hollywood-Filmen kennen: In welchen Regionen sind denn Piraten, die jetzt, wie wir hören, auch Containerschiffe und Rohöltanker überfallen, besonders aktiv?
Roder: Die Hot Spots, wie man heute sagt, der Piraterie sind im Grunde genommen in Asien in bestimmten rechtsfreien Räumen. Das ist vor allen Dingen um die Straße von Malakka herum, also zwischen Malaysia, den Philippinen und Indonesien. Lange, sehr, sehr lange Küsten, die da sind, große Versteckmöglichkeiten, viele Inseln. Die Schiffe müssen langsamer fahren. Denken Sie mal die Straße von Malakka, über 800 Kilometer lang, da müssen die Schiffe ihre Geschwindigkeit reduzieren, die Ufer sind nicht so weit entfernt, und dort geht im Grunde genommen drei Viertel des asiatischen Welthandels durch. Das heißt also, dort kommen diese ganzen glitzernden Containerschiffe mit Ware beladen durch, und da sind dann eben und waren vor allen Dingen Piraten aktiv. Weitere Hot Spots sind um Afrika, ohne jeden Zweifel, das ist jetzt gerade der Fall Somalia, das wissen wir ja schon seit geraumer Zeit. Ein Staat, der im Prinzip überhaupt nicht existiert. War Lords regieren dort.
von Billerbeck: Und der der Piraterie demzufolge auch Vorschub leistet?
Roder: Absolut, die davon auch profitieren. Es sind ja Clans, die dort Somalia untereinander aufgeteilt haben, und die profitieren davon ja auch in diesem Falle, den wir haben jetzt gerade mit der deutschen Segeljacht. Die haben ja eine spezielle Art von Piraterie, die wollen eigentlich nur Lösegeld erpressen, also Geld haben. Geld sieht man nachher nicht an, aus welcher Bank und von welchem Unternehmen es kommt.
von Billerbeck: Sie haben die Straße von Malakka angesprochen, da fahren ja jedes Jahr 60.000 Schiffe durch, habe ich gelesen …
Roder: 90 …
von Billerbeck: 90.000 sogar.
Roder: Ja.
von Billerbeck: Und wenn wir jetzt diese Zahl von 263 offiziellen Piraterie-Überfällen nehmen, dann ist das ja relativ wenig. Weshalb ist dieser Schaden auch so groß? Beschreiben Sie uns doch auch mal, wie man so ein Containerschiff kapert, das ist ja ein Riesending. Wie kann man denn das einfach überfallen und irgendwo verstecken? Das kann ich mir ganz schwer vorstellen.
Roder: Bei den Containerschiffen ist es auch meistens so, das verstecken sie nicht, sondern da ist es meistens so, sie kommen an diese Schiffe ran, die Überfälle finden ja meistens zwischen zwei Uhr nachts und sechs Uhr morgens statt. Sie kommen an diese Schiffe heran, die Schiffe haben ein unheimlich hohes Freibord, sodass sie diese hölzernen Schiffe, die mit 30-Seemeilen-Außenbordern behaftet sind, die kommen an sie ran, entern sie noch wie in früheren Zeiten mehr oder weniger, mit Stangen und mit Wurfankern etc., und wollen dann eigentlich nur eins: Sie wollen dann schnell ins Deckshaus, wollen den Safe des Käptens und die persönlichen Belongings der Besatzungsmitglieder haben und verschwinden auch wieder. Also bei Containern. Es sei denn, man weiß von ganz bestimmten Containern, wo die stehen, die werden aufgebrochen. Diese Überfälle dauern ja nicht mehr als höchstens zehn Minuten bis eine Viertelstunde.
von Billerbeck: Weshalb sind solche Überfälle durch Piraten eigentlich so wirksam und schädigen die globale Wirtschaft so stark?
Roder: Sie schädigen sie ja noch nicht genug, sonst würde man ja viel mehr dagegen machen. Also vom Volumen her gesehen, man spricht so von zwölf bis 15 bis 18 Milliarden Dollar, das ist beim Welthandelsvolumen und 90 Prozent des gesamten Welthandels, der sich in mehreren Billionen-Größen bewegt, 90 Prozent laufen über die Meere ab. Und von daher gesehen, ist er ja anscheinend noch nicht groß genug. Aber hier ist es einfach so, dass in diesen engen Straßen tatsächlich, nichts ist mehr sicher. Und weil dort die Gelegenheit sich bietet, es ist eine Armutsbevölkerung dort im weitesten Sinne, und es ist in dieser Armutsbevölkerung, dahinter steht eine ganze Organisation, da ist eine Infrastruktur vorhanden, die eben bis in die großen Städte hineinreicht. Die Drecksarbeit machen ehemalige Seeleute und auch Fischer, während hier zum Teil gezielt eben auch einfach Schiffe entführt werden. Sie werden dann in kleine Häfen gebracht oder auch in größeren Häfen versteckt. Es werden dann Massengüter entladen, und die werden auf dem Hehlermarkt verkauft. Im Moment ist das Volumen noch absehbar, aber der Schaden, der beispielsweise für die Gesamtschifffahrt natürlich existiert, ist viel größer, und die Gefahren, die dort aufkommen. Nehmen Sie mal die Straße von Malakka, eine der wichtigsten Straßen überhaupt der Welt. Wenn dort Schiffe zum Beispiel eben ausgeraubt werden …
von Billerbeck: Dann steigen ja vor allen Dingen auch die Versicherungsprämien für so einen Seeweg … und wenn es, das kann ich mir auch vorstellen …
Roder: Das ist schon so. Lloyds hat ja die Straße von Malakka schon zu einem Notstandsgebiet erklärt, und damit gleichzeitig tatsächlich die Versicherungsprämie erhöht. Das ist das eine. Aber das Ansehen der Reederei, keine Reederei möchte doch sagen, unsere Schiffe sind unsicher, die sind schon von Piraten überfallen. Deswegen wird das alles unter dem Deckel gehalten, und diese Zahl ist sehr euphemistisch, die ist sehr runtergedrückt worden. Die Überfälle, die Zahl der wirklichen Überfälle ist ja viel, viel höher. Die Dunkelziffer ist ja so was von hoch.
von Billerbeck: Das romantisierte Bild des Freibeuters und die moderne Piraterie. Wir sprachen darüber mit Hartmut Roder. Er leitet die Handelskundeabteilung des Bremer Überseemuseums. Und falls Sie sich noch weiter informieren wollen, dann lesen Sie in seinem Buch nach, "Piraten, Herrscher der sieben Weltmeere" heißt es. Ich danke Ihnen schön!
Roder: Bitte schön!