Entfesselte Popstars

Von Markus Frenzel |
Nach der Unabhängigkeit 1965 hat sich Singapur zum wirtschaftlichen Musterknaben Asiens gemausert, doch eine freie Kulturszene existierte lange Zeit nicht. Im Zeitalter weltweiter Kommunikation lassen sich auch die Künstler Singapurs nicht mehr an die Leine nehmen. Seine Musikszene strahlt inzwischen auf ganz Südostasien aus.
Schwarze Springerstiefel, zerfetzte Jeans mit aus den Hosentaschen hängenden Eisenketten, Piercings und Tätowierungen am ganzen Körper, den Kopf kahl rasiert - Chris Ho ist das enfant terrible der Musikszene Singapurs.

Ho: "Es ist wirklich verrückt. Früher wurden jeden Monat massenhaft CDs verboten. Aber seit dem Siegeszug des Internet wurde kein einziger Titel mehr verboten. Die Situation hat sich enorm verändert."

Sicherheitshalber verschlüsseln Ho und seine Funk-Elektro-Band ihre Botschaften noch. Schon der Bandname provoziert die Staatsmacht - Zircon Gov. Pawn Starz - leicht anders betont wird daraus schnell - Singapore Gov. Porn Stars - die Pornohelden der Regierung.

Ho: " Ich weiß, was gerade noch geht. Ich bewege mich hart an der Grenze. Aber früher wurden auch von mir Sachen verboten. Ein Video zum Beispiel durfte nicht im Fernsehen gezeigt werden und das obwohl ich damit für die MTV Asia Awards nominiert war. Aber ich trug damals lange Haare. Und lange Haare durften im Fernsehen nicht gezeigt werden."

Über Jahrzehnte betrieb die Regierung Singapurs eine brutale Politik der Unterdrückung. Clubs mussten enorm hohe Gebühren zahlen, wenn sie einheimische Gruppen auftreten ließen, keine Radioanstalt spielte Musik aus Singapur, Breakdancer wurden ausgepeitscht. Grund dafür war die Angst der Mächtigen, aus der Rock- und Pop-Szene könnte ein Aufstand drohen. Drogenkonsum und Easy Living als innere Bedrohung für die strenge Ordnung im Stadtstaat.

Seit einigen Jahren fegt ein Tropenwind der Erneuerung durch die Stadt: Junge Politiker rücken in Ämter nach, die Pop-Kultur wird als Wirtschaftsfaktor erkannt, Singapur will zur Medienhauptstadt Südost-Asiens werden.

In Chinatown, dem alten Chinesenviertel Singapurs, treffen sich Yuppies und Szeneleute in kleinen Clubs. Privatparty im Dachstuhl eines alten, kolonialen Geschäftshauses, wie sie hier die Straßen säumen.

Eric: "Ich heiße Eric. Ich komme von den Philippinen. Die Szene entwickelt sich richtig gut. Aber sie braucht irgendwie noch eine Richtung."

In den großen Clubs der Stadt regiert noch House oder Tribal-Musik von DJs aus den USA oder Europa. Abseits der Massen basteln Künstler jedoch bereits an ihrem ganz eigenen Stil. Paul T ist einer der größten Musikproduzenten Singapurs. Bislang brachte er vor allem Konventionelles heraus. Doch nun plant er eine kleine, musikalische Revolution.

Paul T: "Es gibt jetzt in Asien einige Musiker, die einen neuen asiatischen Klang schaffen wollen. Wir wollen Ost und West zusammen bringen. Es gibt keine feste Form, unsere Stücke entwickeln sich aus sich selbst heraus immer weiter. Die Leute mögen das. Auch Europäer nehmen uns wahr."

Paul T kommt viel herum in Asien. Mit einem kleinen Rekorder nimmt er auf seinen Reisen traditionelle Musikstile auf - Trommeln aus Thailand oder Indonesien, Geigen aus Indien. In seinem Studio mischt er Altes mit Neuem. Nicht wie seine Kollegen im Westen - für die chinesisches Geigengezirpe als exotischer Touch ausreicht. Paul T mischt behutsam alte, asiatische Rhythmen mit seiner künstlichen Klangwelt.

Singapur besteht vor allem aus drei Volksgruppen - die Chinesen stellen die Mehrheit, dann gibt es noch Malaysier und Inder. Jede Ethnie hat ihre eigene Musik. Grob gesagt. Chinesen mögen Techno, die Malaysier lieben Hardrock und die Hiphop-Szene der Stadt wird von Indern dominiert.

Nadesh gilt als talentierte Nachwuchshoffnung in der Rapszene. Bis vor Kurzem trat er mit der Band Rapsody auf. Jetzt startet er eine Solokarriere.

Nadesh: "Die meisten Leute hier sind immer noch konservativ. Für die bin ich ein Schlafwandler. Die verstehen nicht, wovon ich rede. Ein paar Intellektuelle kapieren das vielleicht. Es ist noch ein langer Weg."

Doch Nadesh gibt nicht auf. Er spielt in Malaysia oder Indien. Der zierliche Inder sieht sich als eine Art Hiphop-Missionar für Südostasien.

Nadesh: "Singapur ist wie ein kleines New York. In dieser Region - auf diesem Archipel. Zwischen Malaysia und Indonesien sind wir New York City. Hier fängt der Trend an und fließt überall hin. Wir sind die Pioniere."