Entdämonisierung einer kalten Schönheit

Gerüchte und Vorurteile will die Historikerin Christiane Kunst mit ihrer Biografie über die römische Kaiserin Livia zerstreuen. Die Monarchin soll etliche Männer in den Tod getrieben haben, um ihrem Sohn Tiberius auf den Thron zu verhelfen. Endgültige Aufklärung verschafft auch dieses Werk nicht, der Leser bleibt etwas ratlos zurück.
Erfreulicherweise ist die neue Biografie der römischen Kaiserin Livia seriösere und lohnenswertere Lektüre, als es der Hollywood-würdige Untertitel verspricht: Das Buch handelt von weit mehr als nur "Macht und Intrigen am Hof des Augustus".

Der Autorin Christiane Kunst ist es vielmehr darum zu tun, jahrtausendealte Vorurteile gegen Livia und eine Vielzahl wilder Gerüchte, die bis heute über sie kursieren, zu kritisieren.

Die "kalte Schönheit", wie der berühmte englische Althistoriker und Tacitus-Biograf Ronald Syme sie nannte, soll einiges verbrochen haben, um Tiberius, ihrem Sohn aus erster Ehe, dazu zu verhelfen, der nächste Kaiser zu werden. Angeblich hat Livia dafür Marcellus, einen Neffen ihres kaiserlichen Gatten Augustus, über die Klinge springen lassen. Außerdem soll sie die Fäden gezogen haben, die zur Verbannung der Julia führten, die aus Augustus' erster Ehe stammte.

Christiane Kunst, die seit 1995 alte Geschichte an der Universität Potsdam lehrt, wiegelt hier ab, wohingegen sie Livias Schuld am Tod des Agrippa, des letzten Enkels ihres Mannes, für wahrscheinlich hält und durchaus in Betracht zieht, dass Livia womöglich Augustus selbst früher die Reise ins Totenreich hat antreten lassen.

Wie dem auch sei: Ein wichtiges Anliegen des Buches ist es, zu zeigen, dass jede Zeit ihre eigenen Urteile über die Geschichte und deren mächtigste Protagonisten fällt, und dies nicht allein deshalb, weil neuere Forschungsergebnisse zum Umdenken zwingen.

Was für Caligula spätestens seit der ausgezeichneten Biografie von Aloys Winterling gilt - dass die gegenwärtige Forschung ihn eher entdämonisiert - gilt auch für Livia, die vielleicht einflussreichste Frau der römischen Geschichte. Weder war sie eine mörderische Intrigantin, noch war sie, wie in Theodor Mommsens milder Zeichnung, die ideale Matrone.

Sicher, sie beschränkte ihr Wirken traditionellen römischen Rollenmustern gemäß auf den häuslichen, höfischen Kreis. Aber natürlich gingen durch den Thronsaal der Kaiserin die bedeutenden Senatoren und die einflussreichsten Männer des alten Adels. Und diese konnten sich darauf verlassen, dass sie in ihrer Zuhörerin eine Frau vor sich hatten, die von ihrem Mann als seine beste Ratgeberin betrachtet wurde.

Zweiundfünfzig Jahre lang war Livia mit Augustus, der zum Zeitpunkt der Trauung 39 vor Christus noch Octavian genannt wurde, verheiratet. Sie selbst war in eine aristokratische Familie hineingeboren worden und erlernte früh die in ihren Kreisen typische Einstellung, alles für den Bestand der eigenen Dynastie zu tun. So fand sie es selbstverständlich, ihren Einfluss geltend zu machen - zumal sie in eine Zeit hineingestellt wurde, die einen immensen Umbruch erlebte.

Das alte oligarchische System der Republik war zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit im Niedergang begriffen. Ihrem Bräutigam Octavian, damals einer der regierenden Triumvirn sollte die Aufgabe zufallen, den Umbau zur monarchischen Ordnung, dem Prinzipat, zu vollziehen.

Für den Leser ohne althistorischen Abschluss stellt Christiane Kunsts Buch über viele Passagen eine faszinierende Lektüre dar. Allein die Vorstellung, dass Livias erster Mann Tiberius Claudius Nero die schwangere Zwanzigjährige quasi als Brautvater dem militärischen Befehlshaber Octavian zuführte, ist ein befremdliches Bild, das uns warnt, vorschnelles Verständnis für die Figuren der römischen Weltgeschichte entwickeln zu wollen.

Wenn man als Leser am Ende etwas ratlos zurückbleibt, liegt das weniger an der Autorin als an der unüberwindbar schwierigen, nämlich äußerst spärlichen historischen Quellenlage.

Außer wenigen Brieffragmenten ist nichts aus Livias Hand erhalten. Münzen und Porträts zeigen über die Jahrzehnte den äußerlichen Wandel in Aussehen, Habitus und Status der öffentlichen Person Livia. Allgemeines Wissen über weibliche Lebensumstände zwischen Kindererziehung, Kult und Gesellschaftspolitik zu Livias Lebzeiten sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass man über ihre genauen Motive Gewissheit nicht mehr wird erlangen können.

Rezensiert von Wiebke Hüster

Christiane Kunst: Livia. Macht und Intrigen am Hof des Augustus, Stuttgart 2008
352 Seiten, 24,50 Euro