Entbindung

"Frauen vor denen schützen, die sie unter Druck setzen"

Babyklappe
Babyklappe in Potsdam © dpa / picture alliance / Bernd Settnik
Bernd Wacker im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 30.04.2014
Der Leiter der Kölner Karl-Rahner-Akademie, Bernd Wacker, begrüßt das Gesetz zur vertraulichen Geburt, da es die Rechte des Kindes und der Mutter berücksichtige. Er fordert darüber hinaus das Verbot von Babyklappen.
Matthias Hanselmann: Morgen, am 1. Mai, tritt ein Gesetz in Kraft, dass Schwangeren die vertrauliche Geburt in einem Krankenhaus ermöglicht. Die Neuerung sieht vor, dass Frauen ein Kind, das sie nicht bei sich behalten wollen, im Krankenhaus zur Welt bringen können und ihre persönlichen Daten dann nach der Entbindung in einem Umschlag versiegelt beim Bundesamt für Familie aufbewahren. Dort kann das zur Adoption freigegebene Kind dann nach 16 Jahren Einsicht in die Unterlagen nehmen und so den Namen seiner Mutter erfahren. Die Behörden und die Familiengerichte erfahren die Identität der Mutter nicht. Völlig anonyme Geburten, bei denen die Mutter nie ermittelt werden kann und auch die bundesweit eingerichteten Babyklappen sollen parallel dazu bestehen bleiben, die gibt es ja schon länger.
Ich spreche mit Bernd Wacker, er ist der Leiter der Karl-Rahner-Akademie in Köln, die sich an Menschen wendet, die unter anderem an theologischen, philosophischen und gesellschaftlichen Fragestellungen interessiert sind. Bernd Wacker ist außerdem der Berater von Terre des hommes, der weltweiten Kinderhilfsorganisation. Guten Tag, Herr Wacker!
Bernd Wacker: Guten Tag!
Hanselmann: Wir werden ab morgen zur Babyklappe und der anonymen Geburt noch die vertrauliche Geburt haben. Ich habe eben geschildert, was das bedeutet. Wie beurteilen Sie diesen dritten Weg?
Wacker: Ja, ich begrüße die Idee der vertraulichen Geburt sehr. Allerdings, glaube ich, hat dem Gesetzgeber der Mut gefehlt, diese Idee wirklich konsequent umzusetzen, denn dazu hätte es meines Erachtens des Verbots von Babyklappen und Möglichkeiten zur anonymen Geburt bedurft. Das hat sich der Gesetzgeber leider nicht getraut, das zu tun, und so haben wir eben drei Möglichkeiten, die den Anschein bieten, als wären alle diese drei Möglichkeiten gleich gut – und das sind sie eben nicht.
Nach 16 Jahren Einsicht in die Akten
Hanselmann: Genau, das wollte ich gerade fragen: Was kann denn eine vertrauliche Geburt leisten im Vergleich zur Babyklappe oder zur anonymen Geburt?
Wacker: Was die vertrauliche Geburt leistet, ist eben die Vereinbarkeit... oder zwei Dinge zu vereinbaren, um die immer gestritten wurde, nämlich einerseits das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft zu wahren, und andererseits auch die Interessen der Mütter in den Blick zu nehmen, Mütter, die offensichtlich sich in einer Situation fühlen, von der sie glauben, dass sie bedroht sind und deswegen ihr Kind nicht aufziehen können. Wie vereinbart man das, einerseits den Schutz der Mutter und andererseits das Recht des Kindes, das ihm ja grundgesetzlich gewährt ist, irgendwann seine Herkunft erfahren zu können? Und das gelingt auf dem Weg der vertraulichen Geburt, wo dieses Recht des Kindes nach 16 Jahren gewahrt bleibt, Einsicht in seine Akten zu nehmen, etwas über seine Eltern und die Umstände seiner Abgabe zu erfahren, wo gleichzeitig aber auch die Frau insofern geschützt ist, als sie ihre wahre Identität nur der Schwangerenberatungsstelle, die sie unterstützt, bekannt gibt.
Hanselmann: Nun haben Sie eben gesagt, man hat versäumt, die Babyklappen und die anonymen Geburten abzuschaffen. Der Deutsche Ethikrat hat das ja im Jahr 2009 gefordert. Warum ist es nicht passiert?
Wacker: Ja, es gab halt starke Kräfte in der Koalition, die dieses Gesetz beschlossen hat, die sich dazu nicht durchringen konnten, aus mir völlig unerfindlichen Gründen. Es gibt meines Erachtens keinen Grund, der dafür spricht, Babyklappen und anonyme Geburten weiterhin zu betreiben. Im Gesetz, in dem neuen Gesetz, da heißt es ganz schön – ich darf nur einen Satz zitieren: "Vorrangiges Ziel der Beratung ist es, der Schwangeren eine medizinisch betreute Entbindung zu ermöglichen und Hilfestellung anzubieten, sodass sie sich für ein Leben mit dem Kind entscheiden kann." Wenn das das Ziel ist und wenn es darum gehen muss, wie kann man dann gleichzeitig Einrichtungen bestehen lassen, die genau das nicht bieten?
Eine Frau, oder wenn es dann überhaupt die Frauen sind, Menschen, die Kinder in Klappen ablegen, haben natürlich das Kind vorher geboren, ohne medizinische Assistenz. Sie sind zu dieser Klappe gegangen, ohne beraten worden zu sein. Sie stehen unter großem Druck. Und ich denke, wenn etwas auf keinen Fall sein darf, dann ist es das: Mütter unter Druck zu setzen bei der Frage, ob sie sich für ihr Kind und das Bei-sich-Behalten des Kindes entscheiden wollen oder ob sie dieses Kind zur Adoption geben. Und das Gesetz zur vertraulichen Geburt ermöglicht das, die Babyklappen aber nicht und die anonyme Geburt eben auch nicht. Die Zeiten sind viel zu kurz. Es geht darum, Frauen auch vor denen zu schützen, die sie unter Druck setzen durch das Angebot, das vermeintlich ihre Probleme löst, wie Klappe und anonyme Geburt, der Faktor aber an der Situation, die dazu geführt hat, dass eine Frau ihr Kind abgibt, überhaupt nichts ändert.
Hanselmann: Befürworter der Babyklappe sagen, sie würde Leben retten. Sehen Sie das anders?
Wacker: Ich sehe das sehr anders. Terre des hommes hat seit mehr als zehn Jahren die jährlichen Statistiken, die es ja sonst nicht gibt, gemacht über die Zahl der jährlich zum Tode ausgesetzten oder direkt nach der Geburt getöteten Kinder, und es hat sich gezeigt, dass die Zahl, über die wir diskutiert haben in diesen letzten 15 Jahren, seit es die Klappe gibt, nämlich die Zahl von jährlich etwa 20 bis 40 ausgesetzten oder getöteten Kindern, also neu geborenen Kindern, dass diese Zahlen in den letzten Jahren, obwohl die Zahl der Babyklappen immer mehr wurden, nicht zurückgegangen ist. Wir haben jedes Jahr genau zwischen 20 und 40 Neonatiziden.
Hanselmann: Wer kann in Deutschland eigentlich eine Babyklappe aufmachen?
Wacker: Im Grunde kann das jeder, der sich dazu berufen fühlt. Auch das ist ein großes Versäumnis des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat nie geregelt, wie denn Babyklappen betrieben werden müssen, welche Qualifikationen die Betreiber von Babyklappen nachweisen müssen und so weiter, wie der Gesetzgeber es auch versäumt hat, Statistik zu führen, nämlich darüber: Um wie viele Kinder geht es denn? Wie viele Kinder werden bei uns pro Jahr in Babyklappen abgegeben, wie viele Kinder kommen anonym zur Welt? All das wissen wir nicht. Wir wissen nicht mal die Zahl der Babyklappen genau oder erst recht nicht die Zahl derjenigen Krankenhäuser und Einrichtungen, die anonyme Geburt anbieten.
"Dem Kinderhandel sind Tür und Tor geöffnet"
Hanselmann: Würden Sie so weit gehen zu sagen, wir wissen noch nicht einmal, was mit den Babys wirklich passiert, die in Babyklappen abgegeben werden?
Wacker: Es gab für mich einige besorgniserregende Berichte in der seriösen Presse, die sagen, dass es bei einer ganzen Reihe von Kindern, von denen man weiß, dass sie in Klappen gewesen sein sollen, keinen Nachweis darüber gibt, wo sie bis heute sind.
Hanselmann: Das heißt, es könnte Fälle von Missbrauch geben, Fälle von Verkaufen von Kindern oder Ähnliches?
Wacker: Ja, ganz sicher. Nicht, dass ich den Betreibern der Klappen – das sind ja auch oft die großen Kirchen –, nicht, dass ich denen das von vornherein unterstelle, aber die Tatsache, dass dieser ganze Vorgang anonym läuft, ist dazu geeignet, Kindern Dinge anzutun, die für sie nicht gut sind, ich sage es mal sehr vorsichtig. Also dem Kinderhandel sind Tür und Tor geöffnet, man kann mit der Abgabe in Klappen Verbrechen verschleiern, ich denke an Inzest, man kann einfach ein Kind, das einem nicht behagt, einfach loswerden. Und ich denke, wir sollten Praktiken nicht befördern, die im Grunde auf Unverantwortlichkeit hinauslaufen.
Hanselmann: Aber Herr Wacker, ein Fehlen von Kontrolle in einem Bereich, in dem es um Leben und Tod geht, um das Leben von Kindern, das kann doch in einem Land wie Deutschland nicht sein!
Wacker: Das habe ich lange auch gedacht. Aber die Diskussion und die Praxis der letzten 15 Jahre haben mich das gelehrt, dass das in Deutschland sehr wohl sein kann. Und hier hat der Gesetzgeber wirklich unglaublich vieles versäumt. Deswegen bin ich sehr, sehr froh und begrüße das Gesetz. Ich möchte also dieses Gesetz wirklich nicht madig machen. Aber ich möchte wirklich daran erinnern: Die vertrauliche Geburt ist eine wunderbare ... ist eine Lösung für die am Anfang genannten Probleme, die Interessen von Müttern und Kindern auszugleichen, aber wer so tut, als wären Babyklappe und anonyme Geburt ethisch gesehen gleichrangig, der torpediert sozusagen dieses Gesetz. Und dieses Gesetz führt sozusagen seinen eigenen Widerspruch mit sich, wenn es sozusagen gleichgeordnet wird mit diesen anderen anonymisierenden Möglichkeiten, die den Kindern nicht gerecht werden.
Hanselmann: Aber warum ist es so, dass sich keiner dazu berufen fühlt, das zu kontrollieren, was im Bereich der Babyklappen passiert? Warum ist das so?
Wacker: Na ja, es war die große Hoffnung, die sich inzwischen aber als trügerisch erwiesen hat, am Anfang, so um 2000, die große Hoffnung war: Je anonymer eine Einrichtung zur Weglegung von Kindern ist, umso mehr bietet sie die Chance, Frauen, die anonym bleiben wollen, die davon abzuhalten, ihr Kind zu töten oder irgendwo draußen abzulegen. Wenn es ganz anonym ist, dann werden diese Frauen, die ihre Kinder töten, sie in die Klappe bringen. Das war die Hoffnung. Insofern war das alles gut gemeint, es war nur nicht gut gedacht, weil wir heute wissen, dass die Klientel, die die Kinder tötet, eine ganz andere ist als die, die Kinder in die Klappen bringt.
"Vertrauliche Geburt reicht als Angebot"
Hanselmann: Vielleicht noch kurz: Dieses Gesetz zur vertraulichen Geburt, das morgen in Kraft tritt, das soll nach einigen Jahren noch mal gecheckt werden, also ist es wirklich tauglich gewesen? Sehen Sie da vielleicht eine Chance, dass die Babyklappen und Anonymgeburten dann doch noch abgeschafft werden?
Wacker: Also ich weiß nicht so genau. Es wäre wunderbar, wenn das so wäre, aber leider hat auch hier der Gesetzgeber es versäumt, genau anzugeben, was er denn da prüfen will. Es ist überhaupt nicht klar und aus dem Gesetz überhaupt nicht ersichtlich, was denn passieren muss jetzt, in Konsequenz dieses Gesetzes, damit man sagt: Oho, die Klappen sind überflüssig, sie sind zu viel oder sie sind schädlich. Man weiß es überhaupt nicht. Man weiß nicht, in welchem Fall der Gesetzgeber dazu kommen würde zu sagen: Die vertrauliche Geburt reicht als Angebot.
Hanselmann: Zum Gesetz zur vertraulichen Geburt, das morgen in Kraft tritt, war das Bernd Wacker, der Leiter der Karl-Rahner-Akademie in Köln und Berater von Terre des hommes, der internationalen Kinderhilfsorganisation. Danke schön, Herr Wacker, und schönen Tag noch!
Wacker: Ihnen auch, Herr Hanselmann!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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