Enkel auf Zeit
Seit 50 Jahren kommen junge Deutsche mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, kurz ASF, zum Zivildienst nach Israel. Auch in Deutschland verbringen junge Menschen ein ASF-Jahr - so etwa in der Jüdischen Gemeinde Berlin.
Vorsichtig balanciert Felix Luehrs auf der Leiter, während er gleichzeitig eine schwere Bohrmaschine in die Decke jagt. Ein Rauchmelder soll in der Wohnung der älteren Dame installiert werden. Der 19-Jährige ist Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen, kurz ASF. Ein Jahr lang besucht er einmal in der Woche zwei bis drei Seniorinnen für die Jüdische Gemeinde Berlin. Eine Kooperation, von der nur wenige wissen. Doch bereits seit 1994 entsendet ASF jedes Jahr sechs bis acht junge Menschen in die Gemeinde, die sich dort um jeweils zwei bis drei Senioren kümmern. Was sie genau machen, erklärt Renate Wolff von der Sozialabteilung der Gemeinde:
"Die Freiwilligen gehen mit den älteren Leuten spazieren, kaufen für sie ein, führen manchmal nur Gespräche und sind oft das Highlight der Woche."
Und bisweilen erledigen die Freiwilligen auch kleinere Arbeiten im Haushalt - so wie Felix jetzt den Rauchmelder installiert hat.
Seit etwa sieben Monaten besucht Felix die ältere Dame, deren Wohnung nun brandgeschützt ist. Die Seniorin möchte ihren Namen nicht im Radio hören - sie stehe noch im öffentlichen Leben und wolle nicht den Eindruck erwecken, wegen ihres Alters hilfsbedürftig zu sein. Die praktische Unterstützung ist für sie bei den Besuchen von Felix aber auch nicht das Wichtigste.
"Er hilft mir, indem wir uns beide auf ein Level begeben, wo wir uns auch geistig auseinandersetzen. Nicht nur, dass er für mich das und jenes erledigt, sondern, dass er das Gefühl hat, er kommt - und diese Stunde, diese zwei Stunden, dass wir die gemeinsam erleben. Dass wir uns auseinander setzen mit guten oder schlechten Erfahrungen von der Woche oder vom Tag, Meinungsaustausch ... Es ist nicht nur reinkommen: "Was kann ich für Sie tun?" oder: "Das brauche ich bitteschön und das" und "Tschüss auf Wiedersehen" - so läuft das nicht. Und das ist der Profit."
Auch für Felix hat die Arbeit in der Jüdischen Gemeinde einen ganz besonderen Wert:
"Für mich ist es so, dass ich mich vorher schon in alternativeren Spektren bewegt habe, aktiv an der Arbeit gegen Antisemitismus gewirkt hatte und je länger ich hier arbeite, desto mehr wird mir allerdings klar, dass ich vorher gar nicht genau wusste: Was bedeutet es, jüdisch zu sein? Was ist Judentum überhaupt? Und je länger wir uns unterhalten, desto mehr bekomme ich überhaupt eine Vorstellung: Was bedeutet jüdisches Leben? Was bedeutet jüdischer Glauben? Und das entsteht halt durch diese Arbeit und vor allem die Gespräche."
Felix wird im Anschluss ein ASF-Jahr in Israel verbringen, mit "seiner" Seniorin übt er jetzt schon Hebräisch. Daneben diskutieren die beiden über Politik oder er erzählt ihr den neuesten Tratsch aus der ASF-WG, in der er zusammen mit sechs anderen Freiwilligen wohnt.
Der eine Tag in der Woche für die Jüdische Gemeinde ist nur ein Teil des ASF-Programms. Die übrige Zeit arbeiten die jungen Menschen bei Bildungsorganisationen, in kulturellen und sozialen Einrichtungen oder im ASF-Büro selbst. Die meisten Freiwilligen kommen aus dem Ausland, zum Beispiel aus Russland, Frankreich oder Norwegen. Die 26-jährige Jadwiga ist Polin. Sie beschreibt die Arbeit mit den älteren Menschen als Chance.
"Ich glaube, das ist eine sehr gut Möglichkeit für junge Leute, einen Kontakt mit alten Leuten und ihren Erfahrungen zu haben. Also können die jungen Leute auf der einen Seite helfen und auf der anderen Seite etwas lernen."
Helfen und lernen - beides geschieht vor allem durch die Gespräche zwischen den jungen Freiwilligen und den älteren Juden. Nicht alle sind diesen Unterhaltungen allerdings gewachsen, weiß Renate Wolff:
"Also die Kooperation läuft sehr gut. Und es ist eigentlich kaum mal jemand dabei, der das dann doch nicht schafft oder kann. Dem das einfach dann doch zu nahe geht, diese Problematik der älteren Leute, denn das sind ja alles Holocaust-Überlebende. Manchmal erinnert das an die eigene Familie oder es dann einfach zu belastend, so dass es abgebrochen wird - aber das ist die Ausnahme."
Das sind nicht die einzigen Herausforderungen: Einige der älteren Menschen sind einsam, die jungen Besucher ihr einziger Kontakt nach draußen - die sie dann nur ungern wieder ziehen lassen. Andere werden krank. Keine einfache Situation, mitzuerleben, wie es jemandem plötzlich schlechter geht. Aus diesem Grund achtet die ASF genau auf die Auswahl der Freiwilligen, wie Thomas Heldt erklärt. Er ist bei der Aktion Sühnezeichen unter anderem für das Deutschland-Programm verantwortlich.
"Leute, die sich bei uns bewerben, sollten natürlich zum einen Interesse an historischen und politischen Themen mitbringen. Aber speziell jetzt für die Arbeit mit den alten Menschen brauchen wir auch Leute, die viel Herz mitbringen, viel Geduld. Die Lust haben, sich mit den älteren Menschen ein Stück weit zu befassen, sie zu begleiten, die Interesse an den Geschichten haben, die sie erzählen. Also wir gucken da auch sehr nach Empathie, Geduld und Einfühlungsvermögen."
Das scheint Aktion Sühnezeichen sehr gut zu gelingen. Die Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde hat sich erfolgreich etabliert und ist sowohl für die Freiwilligen als auch für die Senioren eine wertvolle Erfahrung. Einige der jungen Menschen unternehmen auch außerhalb der Arbeit etwas mit den Senioren, begleiten sie etwa in die Synagoge oder gehen wie Felix und "seine" ältere Dame gemeinsam ins Theater. So entstehen Freundschaften, die bei vielen noch lange Jahre nach der ASF-Zeit halten. Schon jetzt fällt einigen der Gedanke an einen Abschied am Ende des Freiwilligen-Jahres schwer - wie auch der 18-jährigen Anne Rumpf:
"Davor habe ich ziemlich Angst. Also die eine Dame hat mich beim letzten Mal ihre Enkelin genannt. Die andere Dame hat mich angeschaut mit großen Augen und meinte "Ich liebe dich". Und das ist dann schon der Teil, wo ich dann Angst habe, was so in fünf Monaten passiert, wie dann der Abschied vor allen Dingen für sie wird. Ich denke, ich werde da schon drüber hinweg kommen, aber bei meinen älteren Damen habe ich da schon etwas Sorgen."
"Die Freiwilligen gehen mit den älteren Leuten spazieren, kaufen für sie ein, führen manchmal nur Gespräche und sind oft das Highlight der Woche."
Und bisweilen erledigen die Freiwilligen auch kleinere Arbeiten im Haushalt - so wie Felix jetzt den Rauchmelder installiert hat.
Seit etwa sieben Monaten besucht Felix die ältere Dame, deren Wohnung nun brandgeschützt ist. Die Seniorin möchte ihren Namen nicht im Radio hören - sie stehe noch im öffentlichen Leben und wolle nicht den Eindruck erwecken, wegen ihres Alters hilfsbedürftig zu sein. Die praktische Unterstützung ist für sie bei den Besuchen von Felix aber auch nicht das Wichtigste.
"Er hilft mir, indem wir uns beide auf ein Level begeben, wo wir uns auch geistig auseinandersetzen. Nicht nur, dass er für mich das und jenes erledigt, sondern, dass er das Gefühl hat, er kommt - und diese Stunde, diese zwei Stunden, dass wir die gemeinsam erleben. Dass wir uns auseinander setzen mit guten oder schlechten Erfahrungen von der Woche oder vom Tag, Meinungsaustausch ... Es ist nicht nur reinkommen: "Was kann ich für Sie tun?" oder: "Das brauche ich bitteschön und das" und "Tschüss auf Wiedersehen" - so läuft das nicht. Und das ist der Profit."
Auch für Felix hat die Arbeit in der Jüdischen Gemeinde einen ganz besonderen Wert:
"Für mich ist es so, dass ich mich vorher schon in alternativeren Spektren bewegt habe, aktiv an der Arbeit gegen Antisemitismus gewirkt hatte und je länger ich hier arbeite, desto mehr wird mir allerdings klar, dass ich vorher gar nicht genau wusste: Was bedeutet es, jüdisch zu sein? Was ist Judentum überhaupt? Und je länger wir uns unterhalten, desto mehr bekomme ich überhaupt eine Vorstellung: Was bedeutet jüdisches Leben? Was bedeutet jüdischer Glauben? Und das entsteht halt durch diese Arbeit und vor allem die Gespräche."
Felix wird im Anschluss ein ASF-Jahr in Israel verbringen, mit "seiner" Seniorin übt er jetzt schon Hebräisch. Daneben diskutieren die beiden über Politik oder er erzählt ihr den neuesten Tratsch aus der ASF-WG, in der er zusammen mit sechs anderen Freiwilligen wohnt.
Der eine Tag in der Woche für die Jüdische Gemeinde ist nur ein Teil des ASF-Programms. Die übrige Zeit arbeiten die jungen Menschen bei Bildungsorganisationen, in kulturellen und sozialen Einrichtungen oder im ASF-Büro selbst. Die meisten Freiwilligen kommen aus dem Ausland, zum Beispiel aus Russland, Frankreich oder Norwegen. Die 26-jährige Jadwiga ist Polin. Sie beschreibt die Arbeit mit den älteren Menschen als Chance.
"Ich glaube, das ist eine sehr gut Möglichkeit für junge Leute, einen Kontakt mit alten Leuten und ihren Erfahrungen zu haben. Also können die jungen Leute auf der einen Seite helfen und auf der anderen Seite etwas lernen."
Helfen und lernen - beides geschieht vor allem durch die Gespräche zwischen den jungen Freiwilligen und den älteren Juden. Nicht alle sind diesen Unterhaltungen allerdings gewachsen, weiß Renate Wolff:
"Also die Kooperation läuft sehr gut. Und es ist eigentlich kaum mal jemand dabei, der das dann doch nicht schafft oder kann. Dem das einfach dann doch zu nahe geht, diese Problematik der älteren Leute, denn das sind ja alles Holocaust-Überlebende. Manchmal erinnert das an die eigene Familie oder es dann einfach zu belastend, so dass es abgebrochen wird - aber das ist die Ausnahme."
Das sind nicht die einzigen Herausforderungen: Einige der älteren Menschen sind einsam, die jungen Besucher ihr einziger Kontakt nach draußen - die sie dann nur ungern wieder ziehen lassen. Andere werden krank. Keine einfache Situation, mitzuerleben, wie es jemandem plötzlich schlechter geht. Aus diesem Grund achtet die ASF genau auf die Auswahl der Freiwilligen, wie Thomas Heldt erklärt. Er ist bei der Aktion Sühnezeichen unter anderem für das Deutschland-Programm verantwortlich.
"Leute, die sich bei uns bewerben, sollten natürlich zum einen Interesse an historischen und politischen Themen mitbringen. Aber speziell jetzt für die Arbeit mit den alten Menschen brauchen wir auch Leute, die viel Herz mitbringen, viel Geduld. Die Lust haben, sich mit den älteren Menschen ein Stück weit zu befassen, sie zu begleiten, die Interesse an den Geschichten haben, die sie erzählen. Also wir gucken da auch sehr nach Empathie, Geduld und Einfühlungsvermögen."
Das scheint Aktion Sühnezeichen sehr gut zu gelingen. Die Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde hat sich erfolgreich etabliert und ist sowohl für die Freiwilligen als auch für die Senioren eine wertvolle Erfahrung. Einige der jungen Menschen unternehmen auch außerhalb der Arbeit etwas mit den Senioren, begleiten sie etwa in die Synagoge oder gehen wie Felix und "seine" ältere Dame gemeinsam ins Theater. So entstehen Freundschaften, die bei vielen noch lange Jahre nach der ASF-Zeit halten. Schon jetzt fällt einigen der Gedanke an einen Abschied am Ende des Freiwilligen-Jahres schwer - wie auch der 18-jährigen Anne Rumpf:
"Davor habe ich ziemlich Angst. Also die eine Dame hat mich beim letzten Mal ihre Enkelin genannt. Die andere Dame hat mich angeschaut mit großen Augen und meinte "Ich liebe dich". Und das ist dann schon der Teil, wo ich dann Angst habe, was so in fünf Monaten passiert, wie dann der Abschied vor allen Dingen für sie wird. Ich denke, ich werde da schon drüber hinweg kommen, aber bei meinen älteren Damen habe ich da schon etwas Sorgen."