Britischer Landsitz für Musikfans
Das südlich von London gelegene Glyndebourne ist ein Mekka für Opernfans. Ein exzentrischer Musikliebhaber baute sich dort ein Opernhaus in den Garten seines Landsitzes, wo die Besucher picknicken können – in Smoking und Abendkleid.
Das Erlebnis Glyndebourne beginnt im Grunde schon am Londoner Bahnhof Victoria Station, schildert die Frankfurterin Sabine. Die junge Frau reist mehrmals in jeder Saison zu dem Opernfestival in die englische Provinz:
"Kommt man da in den Zug, und da sind alle Herren im Smoking und kommen alle an mit ihren Picknick-Koffern. Das ist ganz toll einfach!"
Vom Bahnhof des kleinen Örtchens Lewes aus zieht die Karawane gut gekleideter Ladies und Gentlemen dann weiter durch die malerische Landschaft der South Downs. Vorbei an Feldern, rollenden Hügeln und Wiesen zum Landsitz Glyndebourne. Dort verweilt man noch etwas im Park, genießt einen Aperitif, bevor die Oper beginnt. Carolin aus Heidelberg studiert gerade in London und hat zwei Kommilitoninnen überredet, einen Ausflug nach Glyndebourne zu unternehmen. Sie ist ziemlich überwältigt von der Idylle, in die die drei da geraten sind:
"Ein sehr schön angelegter Park, mit Wiesen und einem Teich. Es ist auch schön wie die Leute hier rumwandeln, gerade eben kam eine Dame vorbei mit einem langen Abendkleid und Schleier und einem sehr schönen Sonnenschirm. Sah ein bisschen aus wie im 19. Jahrhundert."
Eine Stimmung wie im 19. Jahrhundert
1994 wurde das alte Theater durch einen Neubau ersetzt, mit insgesamt 1200 Plätzen und moderner Technik für optimale Akustik. Stilistisch passt sich das Opernhaus an den Ziegelsteinbau des Herrenhauses an. Dort wohnt noch immer die Familie Christie und während der Saison logieren dort auch Mitglieder des Ensembles. Julia, die Frau des Dirigenten Andrés Orozco-Estrada, der in diesem Jahr in Glyndebourne am Pult steht, trägt vor Konzertbeginn ihre kleine Tochter durch den Garten:
"Es ist unglaublich, wie entschleunigt die Welt hier ist. Man kann einfach die Seele baumeln lassen, es ist doch Kultur auf höchstem Niveau. Man kann die Natur genießen, die Musik ist wunderbar, die Menschen sind sehr freundlich und nett. Wie genießen die Zeit wirklich sehr hier."
Gesungen wird an diesem Abend "La finta giardiniera" eine eher unbekannte Mozart-Oper – "Die falsche Gärtnerin". Nachdem der Graf und seine Herzdame sich anderthalb Stunden lang in ein Verwechslungsspiel verstrickt haben, gibt es anderthalb Stunden Pause. Das ist das Besondere an Glyndebourne – mitten in der Oper wird im Garten gepicknickt. Auch Carolin und ihre Freundinnen hocken auf einer Decke im Gras und trinken Sekt. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz:
"Es ist schon eine besondere Atmosphäre, wenn man dann rausgeht und es geht gerade so die Sonne unter, überall sind die Leute am Picknicken und haben ihre Sachen ausgepackt, und man weiß, es geht gleich weiter."
Musik hören beim entspannten Picknick
Gleich nebenan grast eine Schafherde. Ann und Myra aus Brighton sitzen mit ihren Freunden an einem kleinen Klapptisch, der sich unter Salatschüsseln und Weinflaschen biegt. Alles selbst hergeschleppt:
"Tisch, Stühle, Picknickkorb, das Essen haben wir alles vom Parkplatz hierhergetragen. Wir sahen aus wie die Packesel."
Oper, Abendkleid, Smoking und Nudelsalat aus der Tupperdose – das ist der Geist von Glyndbourne. Manche dinieren aber auch ganz formvollendet, hat Sabine aus Frankfurt beobachtet:
"Tischdecken, Blumen, Blumenvase, Silberbesteck, Porzellan, Kristallgläser, ein gesamtes gekochtes 5-Gänge-Menü, es ist toll."
Die Inszenierung der Mozart-Oper auf der Bühne selbst hat Sabine dagegen nicht sehr überzeugt:
"Ich geh auf alle Opernfestivals, geh jetzt auch nach Bayreuth und nach Salzburg; es sind vergleichsweise sehr konventionelle Inszenierungen."
Dass sie manchmal in Glyndebourne mehr wagen könnten, hört man von einigen Besuchern. Aber dass die Inszenierungen nicht modern genug seien – den Eindruck kann Generaldirektor David Pickard nicht teilen:
"Aber natürlich hängt das vom Stück ab. Vergangenes Jahr hatten wir eine Produktion, da spielte die erste Szene im Innern eines Kühlschranks. Wir sind nicht nur traditionell, wir mischen die Stilrichtungen."
Öffentlich gefördert wird das Festival nicht
95 Prozent Auslastung braucht Glyndebourne, damit das Geschäftsmodell funktioniert, so David Pickard. Öffentlich gefördert wird das Festival nicht. Es finanziert sich durch Eintrittsgelder und private Sponsoren. Um in den Freundeskreis Glyndebourne aufgenommen zu werden, gibt es eine jahrelange Warteliste. Die Karten kosten zum Teil über 200 Euro, das Theater ist fast immer bis auf den letzten Platz besetzt. Aber man kann das Festival ja nicht nur vor Ort genießen, meint David Pickard:
"Wir streamen Vorstellungen im Internet und übertragen unsere Aufführungen in Kinos, dort kann man dann auch daran teilhaben."
Das Publikum in Glyndebourne ist altermäßig sehr gemischt. Aber heute, an einem Wochentag nachmittags, da sind viele grauhaarige Leute da, lachen die beiden grauhaarigen Ladies Mandy und Rosalind:
"Das ist nichts für die arbeitende Bevölkerung, man muss halt schon etwas Geld in der Tasche haben."
Aber ein Laufsteg für Promis, das sei Glyndebourne nicht. Obwohl – "Ich habe auf der Damentoilette eine Ministergattin gesehen!", scherzt Mandy. Aber das Wichtigste sei, dass man bei aller Verzückung über einen sonnigen Nachmittag in Glyndebourne nicht vergesse, dass man in England ist. Sie habe schon bei sieben Grad und Regen im Auto gepicknickt schildert Rosalind:
"Und obwohl ich auf einem sehr teuren Internat war, hat mir niemand beigebracht, wie man mit weißen Handschuhen ordentlich ein Picknick isst."