Engel unter uns
Sicherheit, Heilung und Schutz, erwartet der Mensch von den Engeln. Schon allein deswegen haben sie immer Konjunktur. Religionssoziologen haben sich darüber Gedanken gemacht, welche Rolle sie in unserer Gesellschaft noch oder wieder spielen.
Johann Hafner: "In Deutschland ist es so, dass der Glaube an Gott während der letzten 15 Jahre abgenommen hat und mittlerweile durch den Glauben an die Existenz von Schutzengeln beziehungsweise Engeln überholt wurde."
Eine Kapitulation der Religion will der Potsdamer Religionswissenschaftler Johann Hafner darin allerdings nicht sehen. Ganz im Gegenteil: Engel sind für ihn eine Möglichkeit, für manche die einzige, zumindest das Alphabet der religiösen Sprache zu lernen.
Es gibt wenige Bereiche in der Gegenwartskultur, in denen Engel nicht zu finden sind. Das zeigt der religionssoziologische Durchgang. Engel besungen in der Popmusik, sie finden sich in scheinbar naiven Kinderzeichnungen, als Moderatorinnen von Wünsch-dir-was-Shows im Privatfernsehen oder auch als hilfreiche "Business Angels" an der Seite von Unternehmensgründern.
Die Gründe für ihre Anwesenheit ähneln sich in der Analyse: Engel versprechen individuelle Zuwendung in einer Gesellschaft, in der es immer weniger Lücken für zugewandte Zweckfreiheit gibt.
Edgar Wunder: "Eine wichtige Funktion ist auch, Sicherheit zu geben und Heilung zu versprechen. Auch mit Trost verbunden, und in diese Funktion, wer spendet Heilung, rücken heute die Engel ein, nachdem Gott immer mehr aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist."
So der Soziologe und Geograf Edgar Wunder. In diesen Funktionen beerben Engel übrigens beileibe nicht nur die christliche Religion. Edgar Wunder hat entsprechende Konkurrenzphänomene an ganz anderem Ort beobachtet: bei Esoterikmessen. Was früher die Außerirdischen und ihre Botschaften an die Menschheit waren, sind heute die Engel.
"Es sind nicht die gleichen Personen, die jetzt einfach von Außerirdischen auf Engel umsatteln, aber man kann beobachten, dass diese Kontakte mit Außerirdischen, wie sie sich idealtypisch vor allem in den 50er und 60er Jahren herausentwickelt haben, heute eben dann fast synonym unter der Überschrift Kontakte mit Engeln auftauchen."
Dabei muss man sich nicht auf Erich von Däniken und seine These beschränken, Engels- und Gotteserscheinungen der Bibel schilderten eigentlich die Besuche außerirdischer Raumfahrer. Edgar Wunder stellt Berichte eines Giorgio Dibitonto vor, der Anfang der 80er Jahre in den italienischen Apenninen einem Ufo mit niemand anderem als dem Erzengel Raphael an Bord begegnet sein will.
Edgar Wunder: "Der Engel stand aufrecht unter jener Kuppel mit zu mir herausgebreiteten Armen’ und sprach: 'Es ist nicht das erste Mal, dass wir den Menschen der Erde auf diese Weise begegnen. Schon immer sprechen wir zu eurer Menschheit aus unseren Weltraumfahrzeugen, aus fliegenden Scheiben und Sternenschiffen."
"Es ist nie Christus. Das ist so eine paradoxe Figur, die wird fast nie verwendet, wohingegen Engel, die nicht vermint sind dogmatisch, mit denen kann man sozusagen machen, was man will","
sagt der Religionswissenschaftler Johann Hafner. Der katholische Theologe und Soziologe Michael Ebertz bestätigt diese Beobachtung anhand der neuesten Sinus-Milieustudien: Der Glaube an Engel findet sich vor allem bei den bildungs- und kirchenfernen sogenannten Konsum-Materialisten.
Michael Ebertz: ""Meine These lautet, dass in diesem Milieu (…) negative Vatererfahrungen verbreitet, wenn nicht vorherrschend sind, die insofern auch als Plausibilitätsstrukturen des 'christlichen Vatergottes' ausfallen. (…) So findet im Milieu der Konsum-Materialisten nicht das Bild des schützenden 'Vater unsers' Resonanz, sondern (…) das Bild des schützenden Engels (…). Das Bild der Engel ist gewissermaßen erfahrungsresistent und insofern spezifischen Gottesbildern - wie dem göttlichen Vaterbild - ‚überlegen."
Der Engelglaube als Symptom einer vaterlosen Gesellschaft? So weit möchte der Religionswissenschaftler Johann Hafner in seinen Überlegungen nicht gehen. Er und andere Soziologen richten ihren Blick lieber auf das Wesen der Engel selber. Engel beschützen nicht nur.
Engel preisen auch Gott als himmlischer Hofstaat, und sie lenken und gestalten die Natur als hoch wirksame Kräfte und Energien. Die freundlichen, persönlich haftbaren Schutzengel verdeckten diese Seiten des Engel-Seins. Nun werden auch sie im Zuge der allgemeinen Engel-Renaissance wiederentdeckt, sagt Johann Hafner:
Johann Hafner: "Es tauchen vor allem aus den USA ganz neue Engellehren auf, die das Furchtbare der Engel wieder deutlich machen, nämlich als Mächte und Gewalten. Die Ambivalenz der Engel, die schon im Neuen Testament auftaucht, dass sie Macht ausüben in der Gesellschaft, beobachten wir, sagen diese Theologen, heute in den funktionalisierten modernen Gesellschaften."
Nicht mehr die freundlichen Schlaflieder beschreiben diese Engel, sondern vielmehr die Systemtheorie nach Niklas Luhmann.
Johann Hafner: "Der Umschlag von einem System, das dient, zu einem System, das uns knechtet und beengt, den hat man traditionell mit dem Begriff des Engelfalls, dem Umschlag der guten Engel in Dämonen, die Menschen klein machen, beschrieben."
Engel helfen, die materialistische Gesellschaft besser verstehen, machen das Individuum fit für den Überlebenskampf in der neoliberalen Welt – und sind eine universal verständliche Chiffre für Trost und gute Wünsche. Nur eine Frage stellen auch die Religionssoziologen nie: ob es Engel wirklich gibt.
Michael N. Ebert und Richard Faber (Hg.): Engel unter uns.
Soziologische und theologische Miniaturen
Verlag Königshausen & Neumann
208 Seiten, 29,80 Euro
Eine Kapitulation der Religion will der Potsdamer Religionswissenschaftler Johann Hafner darin allerdings nicht sehen. Ganz im Gegenteil: Engel sind für ihn eine Möglichkeit, für manche die einzige, zumindest das Alphabet der religiösen Sprache zu lernen.
Es gibt wenige Bereiche in der Gegenwartskultur, in denen Engel nicht zu finden sind. Das zeigt der religionssoziologische Durchgang. Engel besungen in der Popmusik, sie finden sich in scheinbar naiven Kinderzeichnungen, als Moderatorinnen von Wünsch-dir-was-Shows im Privatfernsehen oder auch als hilfreiche "Business Angels" an der Seite von Unternehmensgründern.
Die Gründe für ihre Anwesenheit ähneln sich in der Analyse: Engel versprechen individuelle Zuwendung in einer Gesellschaft, in der es immer weniger Lücken für zugewandte Zweckfreiheit gibt.
Edgar Wunder: "Eine wichtige Funktion ist auch, Sicherheit zu geben und Heilung zu versprechen. Auch mit Trost verbunden, und in diese Funktion, wer spendet Heilung, rücken heute die Engel ein, nachdem Gott immer mehr aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist."
So der Soziologe und Geograf Edgar Wunder. In diesen Funktionen beerben Engel übrigens beileibe nicht nur die christliche Religion. Edgar Wunder hat entsprechende Konkurrenzphänomene an ganz anderem Ort beobachtet: bei Esoterikmessen. Was früher die Außerirdischen und ihre Botschaften an die Menschheit waren, sind heute die Engel.
"Es sind nicht die gleichen Personen, die jetzt einfach von Außerirdischen auf Engel umsatteln, aber man kann beobachten, dass diese Kontakte mit Außerirdischen, wie sie sich idealtypisch vor allem in den 50er und 60er Jahren herausentwickelt haben, heute eben dann fast synonym unter der Überschrift Kontakte mit Engeln auftauchen."
Dabei muss man sich nicht auf Erich von Däniken und seine These beschränken, Engels- und Gotteserscheinungen der Bibel schilderten eigentlich die Besuche außerirdischer Raumfahrer. Edgar Wunder stellt Berichte eines Giorgio Dibitonto vor, der Anfang der 80er Jahre in den italienischen Apenninen einem Ufo mit niemand anderem als dem Erzengel Raphael an Bord begegnet sein will.
Edgar Wunder: "Der Engel stand aufrecht unter jener Kuppel mit zu mir herausgebreiteten Armen’ und sprach: 'Es ist nicht das erste Mal, dass wir den Menschen der Erde auf diese Weise begegnen. Schon immer sprechen wir zu eurer Menschheit aus unseren Weltraumfahrzeugen, aus fliegenden Scheiben und Sternenschiffen."
"Es ist nie Christus. Das ist so eine paradoxe Figur, die wird fast nie verwendet, wohingegen Engel, die nicht vermint sind dogmatisch, mit denen kann man sozusagen machen, was man will","
sagt der Religionswissenschaftler Johann Hafner. Der katholische Theologe und Soziologe Michael Ebertz bestätigt diese Beobachtung anhand der neuesten Sinus-Milieustudien: Der Glaube an Engel findet sich vor allem bei den bildungs- und kirchenfernen sogenannten Konsum-Materialisten.
Michael Ebertz: ""Meine These lautet, dass in diesem Milieu (…) negative Vatererfahrungen verbreitet, wenn nicht vorherrschend sind, die insofern auch als Plausibilitätsstrukturen des 'christlichen Vatergottes' ausfallen. (…) So findet im Milieu der Konsum-Materialisten nicht das Bild des schützenden 'Vater unsers' Resonanz, sondern (…) das Bild des schützenden Engels (…). Das Bild der Engel ist gewissermaßen erfahrungsresistent und insofern spezifischen Gottesbildern - wie dem göttlichen Vaterbild - ‚überlegen."
Der Engelglaube als Symptom einer vaterlosen Gesellschaft? So weit möchte der Religionswissenschaftler Johann Hafner in seinen Überlegungen nicht gehen. Er und andere Soziologen richten ihren Blick lieber auf das Wesen der Engel selber. Engel beschützen nicht nur.
Engel preisen auch Gott als himmlischer Hofstaat, und sie lenken und gestalten die Natur als hoch wirksame Kräfte und Energien. Die freundlichen, persönlich haftbaren Schutzengel verdeckten diese Seiten des Engel-Seins. Nun werden auch sie im Zuge der allgemeinen Engel-Renaissance wiederentdeckt, sagt Johann Hafner:
Johann Hafner: "Es tauchen vor allem aus den USA ganz neue Engellehren auf, die das Furchtbare der Engel wieder deutlich machen, nämlich als Mächte und Gewalten. Die Ambivalenz der Engel, die schon im Neuen Testament auftaucht, dass sie Macht ausüben in der Gesellschaft, beobachten wir, sagen diese Theologen, heute in den funktionalisierten modernen Gesellschaften."
Nicht mehr die freundlichen Schlaflieder beschreiben diese Engel, sondern vielmehr die Systemtheorie nach Niklas Luhmann.
Johann Hafner: "Der Umschlag von einem System, das dient, zu einem System, das uns knechtet und beengt, den hat man traditionell mit dem Begriff des Engelfalls, dem Umschlag der guten Engel in Dämonen, die Menschen klein machen, beschrieben."
Engel helfen, die materialistische Gesellschaft besser verstehen, machen das Individuum fit für den Überlebenskampf in der neoliberalen Welt – und sind eine universal verständliche Chiffre für Trost und gute Wünsche. Nur eine Frage stellen auch die Religionssoziologen nie: ob es Engel wirklich gibt.
Michael N. Ebert und Richard Faber (Hg.): Engel unter uns.
Soziologische und theologische Miniaturen
Verlag Königshausen & Neumann
208 Seiten, 29,80 Euro