Enfant terrible des Wagner-Clans

27.07.2012
Immer wieder geht es bei den Bayreuther Festspielen auch um die "braune Vergangenheit". Friedelind Wagner, die 1918 geborene Enkelin Richard Wagners, war das einzige Mitglied des Wagner-Clans, das sich Hitlers Umarmung widersetzte. Eva Rieger hat nun eine Biografie über sie verfasst.
Friedelind Wagner gilt als Enfant terrible der Wagner-Familie. Sie war das zweite Kind des Wagner-Sohnes Siegfried, wurde 1918 geboren und war die einzige Wagner, die sich im Dritten Reich Hitlers Umarmung widersetzte. "In Friedelinds Leben spiegelt sich das Unglück, das ihrer Generation widerfuhr", behauptet die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger und betont, dass diejenigen Frauen, "die sich einen eigenen, selbständigen Weg durch das Leben" bahnen, "es besonders schwer" haben.

Dabei ist ihre 500-seitige Friedelind-Biografie eigentlich der schlagende Beweis des Gegenteils! Zwar hat Friedelind, wie Eva Rieger schildert, den Namen Richard Wagner als "Lebenschance zur Profilierung" vertan. Aber eine "Hypothek" - wie die Biografin behauptet - war der berühmte Großvater nun wirklich nicht.

Im Gegenteil: Sie wurde schon als Kind verwöhnt, agierte auf großem Fuß, und wo sie als Wagnerenkelin auftrat, wurden ihr rote Teppiche ausgelegt. Immer im Rampenlicht, lebte sie wie alle Wagners gut vom Namen ihres Vorfahren.

Die Behauptung der Biografin, dass ihre Friedelind-Biografie als "Spiegelbild der grenzenlosen Widersprüche und Belastungen, die Deutschland im 20. Jahrhundert seiner Bevölkerung ... zumutete", gelesen werden könne, ist mehr als fragwürdig, denn Friedlind Wagners Leben war eine privilegierte Existenz der Extraklasse.

In 16 Kapiteln stellt Eva Rieger dieses Ausnahmeleben dar, das in Villa Wahnfried begann und über die Internatszeit im brandenburgischen Kloster Heiligengrabe ins Exil führte. Nach Kriegsbeginn floh Friedelind über England, wo sie 1940 kurzfristig interniert wurde, aber aufgrund ihrer Propaganda gegen Hitler schnell freigelassen wurde, in die USA, wo ihr väterlicher Freund Arturo Toscanini sich um sie kümmerte.
1953 kam sie zurück nach Europa, wollte bei den neueröffneten Bayreuther Festspielen mitwirken, versuchte sich erfolglos als Regisseurin und organisierte (von der Familie keineswegs gern gesehene) Meisterklassen. In Luzern am Vierwaldstättersee fand ihr unstetes Leben seine malerische Endstation. Das Fazit der Biografin: "Friedlind hat ihre Chance verpasst, wie so vieles im Leben an ihr vorbeilief oder unverwirklicht blieb."

Eva Rieger hat mit großem Fleiß recherchiert. Viele interessante Details der Familie Wagner kommen ans Licht. Doch manche privaten und feministischen Bekenntnisse der Biografin sind überflüssig. Etwa, wenn sie "Trennung von der Familie, Opposition, Gefangenschaft, Anpassung an eine fremde Kultur (und) Sorge für den eigenen Lebensunterhalt" als Herausforderungen darstellt, die "Frauen im 20. Jahrhundert nicht in die Wiege gelegt" seien.

Und wozu muss der Leser erfahren, dass die schwangere Mutter der Biografin am selben Tag wie Friedelind in England interniert worden ist? So sehr man auf eine Friedelind-Biografie gewartet hat: Diese jedenfalls, die sich auf die zweifelhafte Autobiografie Friedelinds, das kolportagehafte Buch "Nacht über Bayreuth" und auf den Friedelind-Nachlass stützt, der in Händen des Theateragenten Neill Thornborrows liegt, sollte man mit Skepsis lesen.

Schon deshalb, weil es der Biografin in ihrer mitfühlenden Fasziniertheit von der "abtrünnigen" Wagnerenkelin an sachlicher Distanz zu mangeln scheint. Immerhin gelingt ihr am Beispiel von Friedelinds Schicksal einmal mehr eine plastische Bestätigung der Behauptung Nike Wagners, wie abstoßend dieser "eigensüchtige, erbedünkelige, zinkennasige und kinnlastige" Atridenclan ist, als den diese ihre Familie charakterisiert.

Besprochen von Dieter David Scholz

Eva Rieger: Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richard Wagners
Piper Verlag , 504 Seiten