Energiewende

EnBW will "grüner Riese" werden

Ein Windrad des Offshore-Parks Baltic 2 vor der Insel Rügen in der Ostsee.
Ein Windrad des Offshore-Parks Baltic 2 vor der Insel Rügen in der Ostsee. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Von Richard Fuchs · 06.07.2016
Deutschlands drittgrößter Energiekonzern EnBW will weg vom Image des klimaschädlichen Kohle- und Atomstrom-Unternehmens: mit Windkraft und digitalen Zusatzdiensten. Viel davon sei "Greenwashing", kritisieren Umweltschützer.
Der Ort, an dem die EnBW – die Energie Baden-Württemberg – sich neu erfinden will, ist nur wenige Quadratmeter groß und rundherum pechschwarz. Passenderweise ist dieser Ort ein Raum namens "Black Box" und befindet sich im Innovationscampus des drittgrößten Energiekonzerns in Deutschland. Mitten im Karlsruher Rheinhafen – in den Gebäuden eines alten Infocenters.
"Wir haben die Hälfte der Wände komplett mit Tafeln behängt und hier haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, gerade in den frühen Phasen im Team sich einfach mal einzuschließen, und den ganzen Tag sehr kreativ und visuell an Geschäftsideen zu arbeiten."
Christine Wienhold. Sie ist eines der Gesichter dieser neuen Energie Baden-Württemberg, die weg will vom Image des klimaschädlichen Kohle- und Atomstromkonzerns. Der Energieversorger mit 5,5 Millionen Kunden - mehrheitlich aus Baden-Württemberg - will im großen Maßstab Produzent von Ökostrom werden, will erneuerbare Energien vertreiben, grünen Strom über die eigenen Stromnetze verteilen und mit digitalen Zusatzdiensten "intelligent" machen. So die Vision.
Damit das gelingt, braucht es Start-Up-Atmosphäre. Und die gibt es in der "Black Box" zuhauf. An der schwarzen Wand steht mit weißer Kreide gekrakelt: Innovationen brauchen Freiraum.
"Das heißt, das ist ein Raum, der immer sehr bunt bemalt ist, an dem ganz viele bunte Bildchen auch hängen, um eben visuell seine Ideen eben auch mal zu verkörpern. Und das Wichtigste: mitten im Raum steht ein Tischkicker."

Mehr als 90 Prozent der Aktien in öffentlicher Hand

Eine Start-Up-Schocktherapie für den behäbigen, schwäbisch-badischen Großkonzern, dessen Mitarbeiter jahrzehntelang gewohnt waren, in Zahlenreihen und in dreißigjährigen Zyklen für Großkraftwerke zu denken. Auch deshalb galt der Konzern mit seinen heute 20.000 Mitarbeitern lange als Synonym für den zuverlässigen, aber biederen Stromkonzern.
Diese EnBW ist unter Deutschlands drei Energieriesen der kleinste. Aber seine Eigentümer stechen hervor. Über 90 Prozent der Aktien des Konzerns hält die öffentliche Hand. 47 Prozent das Land Baden-Württemberg, weitere 47 Prozent der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke - OEW. Ein Verbund überwiegend konservativer, CDU-geführter Landkreise zwischen Stuttgart und dem Bodensee.
Christine Wienhold verkörpert so ziemlich das Gegenteil von dieser konservativen, fast schon bürokratischen Konzern-Welt. Die Dreißigjährige trägt Jeans und eine schwarze Bluse mit Vogelmotiven. Ihre glatten, hellbraunen Haare fallen ihr lässig ins Gesicht. Ihr Job heißt: kreativ sein auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen.
"Deswegen werden da mit Post-Its einzelne Hypothesen aufgeschrieben, die dann eben sehr früh und sehr schnell am Kunden, am besten täglich oder zumindest wöchentlich ausprobiert werden."

"SMIGHT": die Straßenlaterne, die mitdenkt

Besonders bei digitalen Diensten will sich die EnBW fit machen für die Energiezukunft, erklärt Christine Wienhold, während sie durch die offenen Büros schlendert, vorbei an Möbeln aus Palettenholz, Hängematten und Sofaecken in knallbunten Farben.
Mal 50, mal bis zu 200 Mitarbeiter denken und basteln hier an Ideen für die vernetzte Stadt, das vernetzte Haus. An Ideen, wie der Strom von Windrädern und Solaranlagen künftig gebündelt vermarktet werden kann. An Ideen, wie die Elektromobilität besser organisiert werden muss, damit mehr Leute umsteigen.
Nahe an der Marktreife, sagt Christine Wienhold, ist das Projekt SMIGHT. In Konzernspreche: die smarte Straßenlaterne. Die ENBW-Antwort auf die Frage: wie sieht die Straßenbeleuchtung morgen aus?
"Die Idee, die dann aus dieser Fragestellung entstanden ist, ist eben unser multifunktionaler Lade-Licht-Mast, der Elektrolade-Infrastruktur enthält, auch zum Schnellladen von Elektroautos. Da ist ein Notrufknopf mit drin, weil das Thema Sicherheit vor allem auch in Kommunen immer heißer diskutiert wird. Da haben wir Public WiFi mit integriert, um so zum Beispiel ganze Marktplätze oder Einkaufstraßen, perspektivisch eine ganze Stadt mit öffentlichem WLAN auszuleuchten. Und da sind Sensoriken mit verbaut, wie zum Beispiel in der Stadt Stuttgart, Feinstaubbelastung, oder eben andere Umweltdaten, wie Lärmbelastung, Temperaturmessung, das ist da alles integriert."
Im 2014 gegründeten Innovationscampus der EnBW wird viel gelacht. Beliebter Treffpunkt: die Küche und die Mittagessensecke. Fetzen von Start-Up-Kauderwelsch fliegen durch die Luft. "Value Proposition, Business Model Canvas, Co-Working-Space". Nicht nur akustisch soll die EnBW hier jung, grün und auf der Höhe der Zeit wirken.

Finanziell ist EnBW im Krisenmodus

Die Verjüngungskur tut Not. Denn finanziell ist die EnBW im Krisenmodus. 1,5 Milliarden Euro hat die Energiewende bei dem Konzern bislang vernichtet, rechnete EnBW-Chef Frank Mastiaux jüngst vor. Beinahe vierteljährlich muss der Stromkonzern den Wert seiner Kraftwerke nach unten korrigieren. Sparprogramme und Jobverluste inklusive.
Und ein schnelles Ende ist noch nicht in Sicht. Im Gegenteil. Bereits vor drei Jahren prognostizierten die Manager des Unternehmens, dass bis 2020 die Einnahmen aus Kohle- und Atomstrom um 80 Prozent in den Keller rauschen. Nach aktuellem Stand dürften sie Recht behalten.
Das Bild zeigt eine Leuchtwand mit dem EnBW-Slogan "Energie braucht Impulse". 
Der EnBW-Slogan "Energie braucht Impulse"© imago/Christian Thiel
Es braucht also mehr als nur eine "Black Box", um dem Konzern finanziell wieder auf die Beine zu helfen. Deshalb soll neben dem Ausbau des digitalen Geschäfts auch der Ausbau der erneuerbaren Energien die Verluste kompensieren. Zudem will der Konzern vollständig regenerativ – und damit grün – werden. In der Werbung ist er das schon:
"Theoretisch ist die Energiewende farblos. Praktisch machen wir sie grün. Alles, was nötig ist, damit die Energiewende gelingt: Wir machen das schon! ENBW."
Dirk Güsewell ist der Mann, der hinter diesem EnBW-Werbespot und dem Versprechen darin steckt. Die Botschaft ist klar: Die neue EnBW sorgt dafür, dass der jahrelang verschleppte Ausbau der erneuerbaren Energien im eigenen Kraftwerkspark jetzt angepackt wird. Besonders beim Bau von Windparks in Nord- und Ostsee, Wind Offshore genannt, will der süddeutsche Energieversorger groß mitmischen, sagt der Portfoliomanager für Erzeugung.
"Wir haben vor fünf Jahren begonnen, uns intensiver mit dem Bereich Wind-Offshore zu beschäftigen. Wir haben 2010/2011 unser erstes Offshore-Projekt in der deutschen Ostsee gebaut. Dann in den letzten zwei Jahren, das nächste Projekt nachgeschoben. Also relativ viel im Bereich Wind-Offshore bereits machen können."
Güsewell ist ein redegewandter Technikspezialist. Mit seinem grauen Bart, runder Hornbrille und zugewandtem Lächeln strahlt er Verlässlichkeit aus. Das ist wichtig in den durchaus turbulenten Zeiten für die EnBW.

Weitere Offshore-Windparks sind in Planung

Mit dem Offshore-Windpark Baltic 2 wurden im September 2015 auf einen Schlag 80 Windräder in Betrieb genommen – mitten in der Ostsee, nördlich der Insel Rügen. Und schon bald soll es bei dem Stromversorger aus dem Ländle noch größer, noch leistungsstärker, noch grüner zugehen. Aktuell sucht der Konzern nach Investoren, die mit ihm zusammen den Windpark "Hohe See" vor der Nordseeinsel Borkum finanzieren. Ein Windpark, doppelt so leistungsfähig wie Baltic 2. Und noch zwei weitere Meeres-Windparks sind in Planung, ebenso wie Wind- und Wasserkraftprojekte im lukrativen Schwellenland Türkei.
All das klingt groß – und soll es wohl auch. Vergleichsweise bescheiden nimmt sich da der Ausbau der Windenergie im deutschen Binnenland bei der EnBW aus, unter Fachleuten "Wind-Onshore" genannt.
"Wir sind vor drei Jahren mit der Projektentwicklung im Bereich Wind-Onshore gestartet. Heute, mit knapp 200 MW, die wir in Betrieb haben, haben wir ein erstes Zwischenziel erreicht. Wir haben aktuell ein Team aus 75 Kollegen, die in Projektentwicklungsniederlassungen an dem Thema arbeiten. Also in sofern eine erste Grundlage gelegt. Aber wir sind natürlich noch weit von dem, was uns in der langfristigen Entwicklung beschäftigt."
Das Drehbuch für den grünen Wandel haben Güsewell, Konzernchef Frank Mastiaux und die anderen Vorstandsmitglieder "Strategie 2020" genannt. Bis in vier Jahren will der Konzern 40 Prozent seines Stroms mit erneuerbaren Energien erzeugen. Damit das klappt, gilt es auf die Überholspur zu wechseln.

Nur 13,8 Prozent aus erneuerbaren Energien

Weil der Konzern jahrelang von Atomkraft- und Kohle-Befürwortern gelenkt wurde, ist der Weg jetzt entsprechend weit. Aktuell produziert das Unternehmen gerade einmal 13,8 Prozent seines Stroms regenerativ. Und der Löwenanteil dieses Grünstroms kommt nicht aus der Energiewende – sondern aus Laufwasserkraftwerken an Rhein, Neckar und Iller, die teilweise schon seit Jahrzehnten treue Stromlieferanten sind.
Strom aus Wind, Sonne oder Biomasse ist deshalb bislang noch die Ausnahme im Energie-Mix der ENBW. Und auch der Aufwuchs wirkt bescheiden: In den vergangenen sieben Jahren steigerte der Konzern seinen Grünstromanteil in der Erzeugung um gerade einmal drei Prozent. Im gleichen Zeitraum wuchs die Stromproduktion aus Kohle und Gas auf zuletzt 45 Prozent an.
"Wir werden in unserem Energiemix deutlich grüner werden. Es betrifft aber auch die Kollegen aus dem Netz, die mit dem Transport von grüner Energie zu tun haben, die grüne Anlagen anschließen an ihr Netz. Es betrifft die Kollegen aus dem Vertrieb, die sich mit Lösungsgeschäft im Zusammenhang mit den Erneuerbaren beschäftigen. Insofern ein Thema, das sich sehr schön durch alle Wertschöpfungsbereiche durchzieht."
Wie gut, dass es "Naturenergie+" gibt, sagen sie da beim EnBW-Konzern. Im Jahr 2011 wurde die eigenständige Ökostrom-Marke am Markt platziert. Sie vertreibt Strom aus 100 Prozent Wasserkraft, 100 Prozent aus Deutschland, 100 Prozent aus dem eigenen Haus.

"Naturenergie+": Partner für ein nachhaltiges Leben?

Das EnBW-Tochterunternehmen von Geschäftsführer Gunter Jenne sitzt in Mühlacker bei Stuttgart, direkt am Flusslauf der Enz und dem dazugehörigen Wasserkraftwerk Enzberg2. Die Turbinen des 1911 gebauten Kraftwerks liefern mit, wenn die derzeit 40.000 Bestandskunden der grünen Nischenmarke versorgt werden.
Mit acht Mitarbeitern verkauft Jenne hier Wasserkraft-Strom und etwas klimaneutrales Gas. Bundesweit - und mit Recycling-Papier-Look in der Außendarstellung.
"Hier in Mühlacker haben wir die Möglichkeit, an einem wunderschönen Wasserkraftwerk Kunden zu gewinnen, aktiv zu sein, lebendig zu sein. Und dabei Teil der Energiewende bei EnBW zu sein."
Gunter Jenne, ein sympathischer Südbadener, graues, kurzes Haar, weißes Hemd und blaues Jackett, ist Geschäftsführer des Tochterunternehmens. Nachhaltigkeit ist sein Label.
Weil die Gewinne des Mutterkonzerns im Kerngeschäft wegbrechen, macht man sich auch hier an der Außenstelle in Mühlacker Gedanken, wie neue Geschäftsfelder aufzutun sind, um die einstige Größe des Konzerns zu erhalten. Es gilt, fremdes Terrain zu erobern.
Gunter Jenne kann sich da viel vorstellen. Neben dem Verkauf von Wasserkraftstrom plant er perspektivisch auch den Verkauf, den Verleih und die Wartung von Solaranlagen - oder von Speichern.
"Und vielleicht auch noch andere Dinge rund um das nachhaltige Leben. Wenn unser Kunde erkannt hat, dass Naturenergie+ sich kümmert in seinem nachhaltigen Leben, warum können wir ihm dann nicht auch nachhaltige Reisen und andere Produkte verkaufen und so ein Partner sein über sein ganzes Lebensspektrum. Das wäre uns Vision."

Alles nur grüner Schein?

Die Lobbykampagne "Klimaretterinfo" bezeichnete das Ökostrom-Label der EnBW kurz nach seiner Einführung als eine Energiewende-Mogelpackung. Energie aus mehrheitlich alten Laufwasserkraftwerken würde hier publikumswirksam grün umetikettiert – ohne dass im nennenswerten Umfang dadurch neue Wind- oder Solarkraftwerke gebaut würden. Selbst Stiftung Warentest nannte den Umweltbeitrag "schwach".
Alles also nur grüner Schein bei der ENBW? Die Kritik in jedem Fall blieb an dem Produkt bis heute haften. Was erklären könnte, warum die Sparte relativ langsam wächst. Und es ist nicht das Einzige, was am Energiewende-Kurs der ENBW kritisiert wird. Im Gegenteil: viele bezweifeln, dass so ein grüner Energieriese gemacht wird.
Besonders laut, bunt und erwartbar scharf sind die Töne an diesem Samstagnachmittag im Mai. Die Anti-Atom-Bewegung "Mittlerer Oberrhein" hat zur Demo in die 12.000-Einwohner-Stadt Philippsburg geladen.
Sie sehen ein Luftbild des AKW Philippsburg von April 2011.
Das Atomkraftwerk Philippsburg - hier im Frühjahr 2011.© picture-alliance / dpa / Uli Deck
Nicht zufällig ist die Demo hier. Vor den Toren der Kleinstadt steht der Atommeiler Philippsburg 2. Zuletzt machte das Kernkraftwerk der EnBW Schlagzeilen, weil publik wurde, dass Prüfprotokolle gefälscht worden sind. Keine Kleinigkeit in einem Reaktor, der zuvor immer wieder durch Pannen und Störfalle aufgefallen ist.
Rund 400 Aktivisten sind gekommen. Trillern, pfeifen und schwenken gelb-rote Atomkraft-Nein-Danke-Fahnen. Sie protestieren gegen den ihrer Ansicht nach fahrlässigen Weiterbetrieb des AKWs. Und sie demonstrieren gegen den EnBW-Konzern selbst, der mit seinem Slogan "Energiewende: Wir machen das!" in ihren Augen grüne Schönfärberei, also "Greenwashing" betreibt.
- "Sie wären vielleicht gerne Grüne, aber die Fakten sprechen dagegen."
- "Die EnBW, die ist nicht grün, die ist tiefschwarz."
- "Ich finde es schon unglaublich, dass die EnBW gegen das Land Baden-Württemberg klagt, auf Entschädigung für die Stilllegung der AKW."

"Teurer Holzweg"?

Unter den Demonstranten: Harry Block. Er trägt eine blaue Seemannsmütze. Die grauen Haare schauen darunter hervor. Mit der kleinen Brille, dem grauen Hemd und den markigen Gesichtszügen erinnert er an einen Seemann.
Jetzt steht er auf einer provisorischen Bühne zwischen Altstadthäusern und Stadtbrunnen und wettert mit dem Mikrofon in der Hand von der Laderampe des Kleinlasters herunter gegen die EnBW.
Harry Block ist Atomkraftgegner der ersten Stunde. Und er ist Sprecher der kritischen Aktionäre der EnBW. Und in beiden Funktionen ist er wütend. Denn dass der Konzern an dem Kernkraftwerk festhalte, obwohl eklatante Sicherheitsmängel bekannt seien, das sei alles andere als grün. Und auch bei der Energiewende selbst sei der Fokus auf große Offshore-Windparks ein teurer Holzweg, sagt Harry Block:
"Sie versuchen, die Farbe grün überzutünchen, aber sie sind nicht grün. Derweil was sie tun, läuft zwar unter erneuerbaren Energien, diese Offshore-Windparks. Aber im Grund genommen ist es die alte Megawatt-Ideologie, die sie immer vertreten haben. Riesige Geschichten, in diesem Fall jetzt die Richtigen, in diesem Fall Wind. Aber gleichzeitig natürlich riesige Leitungen, wieder riesen-gigomanisch, wieder riesige Investitionen. Und wieder keine Dezentralität. Wieder keine Kraft-Wärme-Kopplung. Wieder nur Strom, wieder nur einseitig ein Produkt, was hier kein Mensch braucht. Heute ist der Strompreis an diesem heutigen Tag null Euro an der Leipziger Börse. Null Euro! Das heißt, wie willst du da ein Geschäft machen? Das kannst du nur, wenn du kleinteilig bleibst."
Und genau da liegt für Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesgeschäftsführerin des Umweltverbands BUND Baden-Württemberg, das Problem der Energiewende bei der EnBW:
"Der Konzern und seine Mitarbeiter sind nicht in der Lage, dezentral zu denken. Sie sind es gewohnt, große Kapazitäten wie Kohle- oder Atomkraftwerke zu steuern, große Netze zu steuern. Aber sich darum zu kümmern, da mal ein bisschen zu machen, 5 MW installierte Leistung, und da mal was zu machen, das entspricht nicht deren Denkweise. Das ist für EnBW auch einfach wirtschaftlich zu teuer, das so zu machen. Deshalb werden sie in der dezentralen Energiewende nicht diejenigen sein, die groß was bewegen."

Sind Onshore-Windparks die bessere Lösung?

Für den gescholtenen Konzern und seine Vorstände ist das die Kritik der üblichen Verdächtigen – gerne marginalisiert auf den jährlichen Hauptversammlungen des Konzerns. Auch in diesem Jahr.
Wesentlich ungemütlicher erscheint da, dass auch die Wissenschaft die Strategie der EnBW für zweifelhaft hält. Denn wer vor allem auf große Windparks in Nord- und Ostsee setze, der mache die Energiewende für alle Stromkunden unnötig teuer. Das sagt Andreas Löschel, Professor für Energieökonomik an der Universität Münster. Er ist gleichzeitig Mitglied der Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung die Energiewende unabhängig evaluiert.
"Was sind die günstigsten erneuerbaren Technologien, die man tatsächlich voranbringen möchte, um unsere erneuerbaren Ziele auch zu erreichen? Das wäre zum Beispiel Wind an Land, das wäre aber nicht Wind auf der See. Eine sehr teure Technologie, die eben auch dazu führen wird, dass die Umlagen für Erneuerbare ansteigen, und das wird insbesondere die ärmeren Haushalte dann stärker belasten."
Treibt die EnBW also den Preis für die Energiewende nach oben – um Jobs im eigenen Haus zu sichern? Auch wenn Andreas Löschel es so direkt nicht sagen möchte: Die Meeres-Windparks sind vor allem eine industriepolitische Förderung, um den großen Energiekonzernen eine Brücke in die neue Energiewelt zu bauen. Und sie sollen helfen, dass Konzerne wie die EnBW ambitionierte Klimaschutzziele schnell und publikumswirksam erreichen können.

EnBW muss sparen

Mit vielen kleinen Anlagen, irgendwo in Baden-Württemberg, sind diese Ziele schwerer zu erreichen. Dirk Güsewell kontert. Abgerechnet werde zum Schluss.
"Würden wir uns nur mit den technischen Facetten beschäftigen, dann müsste man sich in der Tat Sorgen machen, ob diese Strategie erfolgreich ist. Wir haben diese kulturelle und diese Art, Arbeiten zu verändern, von vorneherein in unsere Agenda mit einbezogen. Und in sofern bin ich sehr optimistisch, dass uns als Unternehmen dieser Schritt gelingt. Wir sind mit der Entwicklung unserer Wind Onshore-Projektpipeline in den vergangen 24 Monaten sehr zufrieden. Wir glauben, wir verstehen dieses Geschäft. Und wir glauben, wir beherrschen dieses Geschäft auch."
Schade nur, dass sich das in den Unternehmenszahlen noch nicht widerspiegelt. 2015 investierte der Konzern rund 455 Millionen Euro in den Ausbau der Ökostromproduktion. Der Großteil davon floss in die Fertigstellung von einem Offshore-Windpark. Und die letzten Zahlen zeigen, es wird schwierig mit dem Investieren, weil noch deutlich härter gespart werden muss.
Julian Aicher ist überzeugt, dass die EnBW noch viel drastischere Sparprogramme bräuchte, würde sie es mit der Energiewende und dem Klimaschutz tatsächlich ernst meinen. Aicher ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke in Baden-Württemberg. Er hält die grüne Rhetorik der EnBW so lange für eine Farce, wie der Konzern weiter Kohlekraftwerke ans Netz bringe. Zuletzt geschehen ausgerechnet im September vergangen Jahres, fast zeitgleich mit der Eröffnung des Windparks Baltic 2. Ans Netz ging damals Block 9, ein modernes Steinkohlekraftwerk in Mannheim, das zu knapp einem Drittel der EnBW gehört.
"Ein Konzern, der im Bereich erneuerbare Energie glaubwürdig sein muss, der kann nicht neue Kohlekraftwerke ans Netz nehmen. Das ist, wie wenn ein Arzt einem Alkoholiker sagt, jetzt hast du bisher jeden Tag zehn Schnäpse getrunken, jetzt trinksch halt nur noch sieben. Wir wissen alle, nein, der Mediziner würde sagen: Jetzt gibt es nur noch Apfelsaftschorle. Und das 'Apfelsaftschorle' wäre in diesem Fall: Wind, Wasser, Sonne, Biogas und Photovoltaik."

Die aktuelle Konzernstrategie lässt Fragen offen

Im Innovationscampus am Karlsruher Rheinhafen wollen sie sich von derlei grundsätzlicher Kritik nicht aus dem Tritt bringen lassen. Projektleiterin Christine Wienhold hat alle Hände voll damit zu tun, im Monatsrhythmus neuen Platz zu schaffen.
"Hier sind wir jetzt gerade am Umbauen, weil hier eigentlich SMIGHT oben saß, die sind jetzt aber so groß geworden und brauchen eigentlich mehr so einen abgetrennten Raum, weil sie eben schon weiter sind, dass wir gesagt haben, die ziehen jetzt runter in einen abgegrenzten Raum. Das hier oben soll mehr so diese Austauschfläche für die frühphasigen Projekte sein. Damit die eben auch untereinander den Austausch haben und voneinander lernen können."
Ob dieses Lernen allerdings schnell genug geht, um den Energieriesen aus dem Südwesten in die nächste Phase der Energiewende zu tragen: Die aktuelle Konzernstrategie beantwortet dazu längst noch nicht alle Fragen.
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