Energieversorgung

Der Strom vom Bauern nebenan

Strohrollen liegen auf einem abgeernteten Getreidefeld vor Windrädern im Landkreis Oder-Spree in Petersdorf (Brandenburg).
Strohrollen liegen auf einem abgeernteten Getreidefeld vor Windrädern im Landkreis Oder-Spree in Petersdorf (Brandenburg). © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Philip Banse · 18.10.2016
Elektrische Energie grün und regional aus der Steckdose – der digitale Markt macht es möglich. Genau wie bei der Bio-Möhre: Das Geld der Kunden in der Region fließt an den Produzenten in der Region. Ein Beispiel aus Berlin-Brandenburg.
"Das ist mein Wasserkocher, ich mache den Mal an, das hört man jetzt wahrscheinlich auch das Kochen."
Der Berliner Unternehmer Hong Thieu braut sich einen grünen Tee.
"So ist es! Im wahrsten Sinne des Wortes."
Doch Hong Thieus kocht seinen Tee nicht nur mit grünem Strom. Sein Öko-Strom kommt auch noch aus der Region Berlin Brandenburg:
"Als Nutzer empfinde ich keinen Unterschied, die Abrechnung erfolgt monatlich wie bei ganz konventionellen Anbietern. Die Idee, grünen Strom zu beziehen, der auch noch aus der Umgebung kommt, die finde ich gut. Und es gibt auch keinen Unterschied im Preis – im Gegenteil, er ist sogar günstiger."
Nach der Bio-Möhre aus dem Speckgürtel nun also Öko-Strom aus der Region.

Eier beim Bauern kaufen, warum nicht auch Strom?

Hong Thieu kauft seinen regionalen Ökostrom bei Lumenaza, einem Start-Up, Berlin Kreuzberg, Hinterhof, 4 Etage.
Christian Chudoba: "Die ursprüngliche Idee war ganz einfach, eine ganz sinnliche Erfahrung auf einem Familienfest in Franken, wo ich gesehen habe, dass eigentlich jeder vor Ort Strom produziert und mir den ganzen Abend von dem Bauern angehört habe, wie stolz er auf seine Biogas- und seine Solar-Anlage ist, und ich mir gedacht habe: Wieso kann ich von dem eigentlich nicht den Strom kaufen? Ich könnte problemlos Eier und Fleisch bei ihm kaufen, aber nicht den Strom, den er auch produziert – was ich gut gefunden hätte, denn dann weiß ich wenigstens, woher der Strom kommt und wer das Geld dafür bekommt."
Und deshalb gründete Christian Chudoba vor vier Jahren Lumenaza, das Strom bei regionalen Stromproduzenten einkauft und an regionale Kunden verkauft. Chudoba ist promovierter Physiker und hat jahrelang in Management-Positionen bei Siemens gearbeitet, sagt er. Lange galt für Ökostrom-Produzenten: Sie dürfen ihren Strom ins Netz einspeisen, garantiert, und bekommen dafür einen festen Preis, 20 Jahre lang, auch garantiert.
Jetzt müssen große Windmüller und Sonnenstromer sich einen Direktvermarkter wie Lumenaza suchen, der ihren Strom abnimmt und verkauft, nur dann bekommen sie Geld, das soll den Wettbewerb stärken und die Preise drücken. Normalerweise verkaufen Direktvermarkter den Strom an der Strom-Börse in Leipzig. Lumenaza macht das anders.
Christian Chudoba: "Diesen Strom kaufen wir direkt bei dem Produzenten auf, es gibt einen Vertrag mit dem Produzenten, der kriegt dafür auch Geld. Und dieser Strom wird an die Verbraucher vor Ort verkauft und das Geld fließt dann zumindest anteilig an den Produzenten zurück. Erstmals gibt es eine direkte Kopplung in der Wertschöpfung: Das Geld der Kunden in der Region fließt auch an den Produzenten in der Region."

Strom ist ein fauler Hund

Eben das Prinzip regionale Bio-Möhre. Doch der Strom, ein Elektron unterscheidet sich von der Bio-Möhre in einem ganz entscheidenden Punkt: Lumenaza kann den Strom nicht anfassen, einpacken, und Elektron für Elektron an Kunden liefern.
Christian Chudoba: "Gut, das ist natürlich richtig, wir können nicht garantierten, dass das einzelne Elektron wirklich von dieser Windkraft-Anlage kommt, aber Strom ist ein fauler Hund und sucht sich den kürzesten Weg und kommt dann auch beim Verbraucher an."
Heißt: Wenn ein Lumenaza-Kunde direkt neben einem Braunkohlekraftwerk wohnt, bekommt er sehr wahrscheinlich sehr viele Elektronen aus diesem Kraftwerk.
Christian Chudoba: "Anteilig zumindest, das Windrad steht ja auch daneben. Aber natürlich kriegen sie tatsächlich Elektronen aus dem Braunkohlekraftwerk. Aber wenn immer mehr Leute mitmachen und die regionale Produktion aus Erneuerbaren nach oben bringen, wird das hoffentlich dazu führen, dass bald das Braunkohlekraftwerk nicht mehr am Netz ist und diese Elektronen dann auch nicht mehr im Netz sind."

"Das gibt mir ein viel besseres Gefühl"

Denn je mehr Öko-Strom-Anlagen in direkter Umgebung stehen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Elektronen auch wirklich von dort kommen. Um regional produzierte Öko-Elektronen dennoch regional verkaufen zu können, muss Lumenaza keine eigenen Strom-Leitungen besitzen. Das Geschäft basiert auf selbst entwickelter Software. Diese berechnet: Wieviel Strom erzeugen alle unsere Ökostrom-Produzenten einer bestimmten Region, etwa Berlin/Brandenburg? Und wieviel Strom verbrauchen alle unsere Kunden in dieser Region? Sind Produktion und Verbrauch gleich groß, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden wie Hong Thieu wirklich regionalen Öko-Strom bekommen, am größten. Das gelingt nicht immer, aber Kunde Hong Thieu kann damit leben:
"Ich kann damit sehr gut leben, weil Strom ist ein Produkt, das ist nicht fassbar, das ist physisch nicht greifbar. Aber die Tatsache, dass für den Strom, den ich verbrauche, auf der anderen Seite hier in der Nähe Strom produziert wird, das gibt mir ein viel besseres Gefühl, als wenn die wie viele andere Anbieter sagen würden: Ich kaufe ein Zertifikat."
Solche Zertifikate weisen nach, dass Strom ökologisch produziert wurde, führen aber oft nicht dazu, dass durch mehr Nachfrage wirklich zusätzlicher Ökostrom produziert wird. Mehr als den Stromfluss interessiert Hong Thieu denn auch der Geldfluss. Denn wenn er seine Stromrechnung bezahlt, kommt das Geld wirklich beim Windmüller in Brandenburg an, ja, der bekommt von Lumenaza sogar etwas mehr Geld, als wenn er seinen Strom an der Börse verkaufen würde – was den regionalen Ökostrom wirklich fördert.
Hong Thieu: "So ist es, ja. Da habe ich auch faktisch ein Produzenten-Verbraucher-Verhältnis, was ich hier sehe."
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