Energiekrise

Windkraft hilft uns nicht weiter

Windpark in pittoresker Landschaft südöstlich von Paderborn in Ostwestfalen-Lippe.
Die in die Windkraft gesteckte große Heilserwartung wird sich kaum erfüllen, prophezeit der Philosoph Matthias Gronemeyer. © imago / Jochen Tack
Ein Standpunkt von Matthias Gronemeyer |
Wie stemmen wir kurz- und langfristig unsere Energieversorgung? Im Streit über diese Überlebensfrage droht die Sachlichkeit abhandenzukommen. Der Philosoph Matthias Gronemeyer beobachtet eine Lagerbildung in ökologisch-gut und nichtökologisch-böse.
Vor 120 Jahren erließ Wilhelm II. als König von Preußen das „Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden“. Es war eine Reaktion auf den Raubbau der Industrie und zugleich ein Bekenntnis zum ästhetischen Wert schöner Natur.
Nun hat ein Gesetzentwurf der Bundesregierung den Umweltausschuss des Bundestages passiert, der den Ausbau der Windkraftanlagen beschleunigen soll und dazu auch bislang geschützte Landschaften für die bis zu 240 Meter hohen und euphemistisch „Windparks“ genannten Anlagen freigibt.

Windkraft deckt nur kleinen Teil ab

Die in die Windkraft gesteckte Heilserwartung muss also groß sein – und wird sich kaum erfüllen. Denn nur 20 Prozent der hiesigen Energiegewinnung entfallen auf die Stromerzeugung, zu der die Windkraft zuletzt auch nur gut ein Fünftel beitrug. Macht in Summe nicht einmal fünf Prozent des Gesamtenergiebedarfs. Selbst eine Verdoppelung der derzeit 30.000 Anlagen bliebe im globalen Maßstab ein Tropfen auf den heißen Stein.
So bleibt das Windrad, tausendfach in die Landschaft gesteckt, vorrangig quasi-religiöses Symbol des Glaubens, einen zürnenden Klimagott doch noch irgendwie besänftigen zu können. Wie moderne Götzen ragen die gigantischen Anlagen gen Himmel zur Abwehr der Katastrophe. Und den Götzen wird geopfert: Die uns einst so wertvolle schöne Landschaft.

Landschaftszerstörung durch Windräder

Denn Windkraftanlagen zerstören Landschaft weit über ihren Grundflächenbedarf hinaus. Mancherorts mehr, als eine Autobahn das je vermöchte. Im Namen einer vorgeblichen Unabwendbarkeit wird so die Funktionalisierung auch noch der letzten Reste schöner Natur vorangetrieben. Selbst der nordhessische Reinhardswald, einer der letzten großen Naturwälder Deutschlands, steht zur Disposition.

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Wer nun gegen die Zerstörung der Landschaft durch Windkraftanlagen antritt, trifft schnell auf ein ökologisches Manichäertum, das einem angesichts des unausweichlichen Weltuntergangs verantwortungslosen Hedonismus vorwirft und dabei auch, wie ich selbst erleben musste, vor Gewaltandrohung nicht zurückschreckt.
Diese weltanschauliche Vereinfachung in ökologisch-gut und nichtökologisch-böse ignoriert dabei den Menschen als Kulturwesen und reduziert ihn auf einen Faktor im Naturhaushalt. Die Politik hat sich dieser Weltsicht gebeugt.

Naturerlebnis fundamental fürs Menschsein

Die in Basel lehrende Philosophin Angelika Krebs hat nun unlängst dagegen das Naturerlebnis quasi zu einem Menschenrecht erhoben, das sie auch explizit durch die kilometerweit dominierenden Windräder bedroht sieht.
Sie schreibt: „In der ästhetischen Erfahrung eines in die Landschaft eingelassenen Dorfes im Morgensonnenschein spüren wir, dass wir Teil der Erde sind und keine Fremdlinge, die sich nur für kurze Zeit auf ihrer Kruste unruhig hin und her bewegen.“
In dieser naturästhetischen Erfahrung gingen uns Wahrheiten auf, die uns in unserer immer künstlicheren Lebenswelt nicht mehr zugänglich sind: Dass nämlich vieles an unserem Leben trotz allem immer noch Widerfahrnis ist – Geburt, Alter, Krankheit, Tod. Schöne Natur, schöne Landschaft, so folgert sie, sei daher nicht bloßer Luxus, sondern für ein gutes menschliches Leben schlicht notwendig.

Naturschutz ist kein Selbstzweck

Der Schutz der Natur ist insofern kein Zweck an sich, sondern bedingt sich durch die Naturerfahrung, durch die wir erst jene sich selbst erkennenden Subjekte werden, die sich Menschen nennen. Das mag denen, die die Welt hauptsächlich medial vermittelt, als Zahl, Messwert und Klimaszenario wahrnehmen, so nicht mehr bewusst sein.
Nötiger als symbolischer Aktivismus ist daher naturästhetische Bildung, die uns dieses Wechselspiel zwischen schöner Natur und Menschsein erkennen lässt. Das bedeutet, hinauszugehen und sich der Anmutung der Landschaft zu öffnen.
So, wie es der Kirchendichter Paul Gerhardt vor 250 Jahren uns auftrug: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser schönen Sommerzeit.“

Matthias Gronemeyer ist Doktor der Philosophie und arbeitet als freier Autor und Publizist. Zuletzt erschien sein Essay „Die ironische Existenz. Plädoyer für einen radikalen Skeptizismus“. Im Corona-Lockdown hat er die Liebeslyrik-Dating-App poesietrifft.de entwickelt und programmiert.

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