Energiegewinnung

Algen als Biokraftwerke

06:43 Minuten
In einem Photobio-Reaktor wachsen in einer Forschungseinrichtung der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) im saarländischen Völklingen Algen (Foto vom 10.08.2012).
Algen in einem Photobio-Reaktor. Künftig wollen Forscher Algen in großem Stil zur Energiegewinnung einsetzen. © picture alliance / dpa / Oliver Dietze
Von Annegret Faber · 01.08.2019
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Klimafreundlich, aber wenig effizient: Bisher scheiterte der Einsatz von Algen zur Energiegewinnung oft daran, dass diese zu schnell wuchsen. Jetzt haben Leipziger Forscher einen Weg gefunden, wie Algen ohne Wachstum Bio-Kraftstoff produzieren.
Michael Strzodka zieht eine Jalousie beiseite und blickt über den Senftenberger See. Mehr als 40 Jahre ist das künstliche Gewässer in der Lausitz alt – entstanden aus dem Tagebau Koschen. "Heute ein echter Anziehungspunkt", sagt der Bergbauingenieur. Für die Dresdner sei der Ort zum Segel- und Surfer-Paradies geworden. Viele Seen sind in der Braunkohle-Region in den vergangenen Jahren entstanden, die die Region nachhaltig geprägt hat. Kohle bedeutet Arbeitsplätze: Mehr als 8000 Menschen arbeiten derzeit in Sachsen und Brandenburg in dem Bereich. Aber Kohle bedeutet auch Umweltverschmutzung und große Mengen Kohlendioxid, die beim Verbrennen entstehen.
Für 2038 hat die Bundesregierung den endgültigen Ausstieg aus dem Kohlezeitalter geplant. Das werde eine große Herausforderung für die Region, sagt Thoralf Schirmer von der "Lausitz Energie Bergbau AG/Lausitz Energie Kraftwerke AG", kurz LEAG. Viele der Beschäftigten könnten ihren Job verlieren – das Unternehmen bereite sich deshalb auf den Wandel vor. "Wir sind dabei uns breiter aufzustellen", so Schirmer. Es gehe darum neue Geschäftsfelder zu etablieren, in denen in der Lausitz gearbeitet werden könne: Solarfelder oder ein großer Batteriespeicher, der gerade gebaut wird. Und nun kommt eine weitere, umweltfreundliche Option hinzu. Ein Projekt, das ebenso futuristisch klingt, wie eine Tagebaulandschaft während der Förderphase aussieht. Algen sollen zu Energielieferanten werden.

Algen produzieren Glykolat

Der Vater dieser Idee ist Christian Wilhelm. Der Biologie-Professor der Universität Leipzig war auf der Suche nach einem Ersatz für Energie aus Kohle. Derzeit sind das vor allem schnell wachsende Bäume, Mais oder Ölkulturen. Wilhelm setzt auf Algen. "Wir nehmen sie auf einem Biofilmreaktor, die später einmal wie ein ganz normales Fotovoltaikpaneel aussehen werden", so Wilhelm.
Auf einem Trägermaterial werden die lebenden Zellen aufgebracht. Die Algen produzieren dann mit Hilfe des Sonnenlichts Glykolat, eine Vorstufe des Zuckers. Aus der Kohlenstoffverbindung lässt sich dann Methan herstellen, das sich als Kraftstoff verwenden lässt.
Das Besondere an der Methode: Die Algen wachsen nicht, sondern stellen aus Kohlendioxid und Licht nur Glykolat her. Der Pflanzenforscher schafft das, indem er die Eigenschaften des Enzyms Rubisco ausnutzt. "Das Enzym stellt den gesamten organischen Kohlenstoff für die Biosphäre bereit", erklärt Wilhelm. Es reagiere aber mit Sauerstoff – genau das macht sich der Forscher zu nutze.
Bekommt die Pflanze nämlich das richtige Verhältnis von Sauerstoff zu Kohlendioxid, dann bindet sie das CO2. Sie produziert so keine Biomasse, sondern scheidet Glykolat aus. "Wir haben es geschafft, dass die Zellen über Wochen nicht wachsen und ihre Aktivität behalten", so der Biologe. Die Algen seien permanent aktiv und zeigten eine "extrem hohe Fotosyntheseleistung".

Umweltfreundlicheres Biogas dank Algen?

Das Glykolat wird anschließend zu Methan vergärt. Verglichen mit einem Maisacker sei der Ertrag der Algen doppelt so hoch und könne noch auf das Sechsfache gesteigert werden, sagt Wilhelm. Und es gebe noch einen entscheidenden Vorteil: Das gewonnene Methan sei absolut rein. Denn das Glykolat besteht nur aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff: "Demzufolge ist auch das entstehende Biogas frei von Schwefel und Stickstoff."
Gas aus herkömmlichen Anlagen besteht dagegen meist nur etwa zur Hälfte aus Methan, der Rest sind andere Gase. Der Reinigungsprozess ist aufwendig und kostspielig. Das falle beim Algen-Methan weg, sagt Wilhelm. Er spricht von einer neuen, grünen Chemie. Und schlägt als Standort die ehemaligen Tagebaugebiete vor.
Thorsten Posselt vom Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie hält die Idee für interessant. Die Lausitz sei im Wandel, weil ein ganzer Industriezweig wegbreche. Eine neue Technologie zu etablieren, sei "eine ganz andere Herausforderung, denn die Frage ist: Wie findet das dort Eingang?", sagt Posselt.
Der Forscher wird den Bau der Anlagen begleiten, um herauszufinden, wie man Menschen mitnehmen kann in eine neue Zeit, die für einige mit dem Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes beginnt. Im Fall der Algengewächshäuer fallen ihm lokale Gärtnereien ein. Die könnten einsteigen, investieren und Arbeitsplätze schaffen. Global denken, lokal handeln – das sei ein mögliches Motto. "Ideal wäre es, das auf andere Gebiete auszudehnen, wo man Schwierigkeiten mit der Nutzung der ehemaligen Tagebauflächen hat."

Algenfelder statt Braunkohleabbau

Michael Strzodka ist in ein bereits rekultiviertes Tagebaugebiet in der Nähe von Senftenberg gefahren. Vor dem Bergbau-Ingenieur sprießen junge Bäume in den Himmel, ein Biotop mit einem kleinen Teich liegt rechter Hand. Weiter hinten sind die Bagger noch aktiv. Werden hier bald Gewächshäuser stehen, soweit das Auge reicht? Das sei nicht so gedacht. Nur auf einem kleinen Teil der ehemaligen Tagebaulandschaft gebe es noch Raum, der noch nicht verplant ist. Und auf diesem Teil möchten die Forscher zehn Prozent der Flächen für die Produktion von Biomethan aus Algen nutzen. Auf 90 Prozent sollen blütenreiche Wiesen wachsen.
"Vor uns steht der Wandel", sagt Strzodka. Die Beschlüsse der zuständigen Strukturkommission erstrecken sich über den Zeitraum von 20 Jahren. Das höre sich im ersten Augenblick nach einer langen Zeit an, "aber 20 Jahre sind ruckzuck weg". Die Fördergelder für eine erste Algen-Pilotanlage in der Lausitz sind bereits beantragt. Sobald sie bewilligt sind, soll es losgehen.
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