"Endzeitdrama der Jetztzeit"
Der merkwürdige Titel hat durchaus mit Max Frischs Berichtsroman zu tun. Cuba ist eine wichtige Station auf den Irrwegen des Ingenieurs Walter Faber. Hier erlebt er im Angesicht des bunten Volkstreibens und der attraktiven Szenerie eine Umkehr. Er lernt das "Schauen" und das "Erleben", zieht sich nicht mehr in sein Denksystem des Technikers zurück, der nur gelten lässt, was naturwissenschaftlich nachweisbar ist.
Das Ödipusmotiv erscheint bei Frisch wiederholt als ein umgekehrtes Motiv: Nicht der Sohn tötet unwissentlich den eigenen Vater und heiratet seine Mutter – der Vater geht hier mit einem jungen Mädchen eine sexuelle Beziehung ein, ohne zu wissen, dass die seine leibliche Tochter ist. Armin Petras macht diese beiden Berührungspunkte zu tragenden Säulen einer überambitionierten und angestrengten Konzeption. Nichts Geringeres als ein "Endzeitdrama der Jetztzeit" schwebt ihm vor. Die Krise des westlichen Systems und ihres unbedingten Glaubens an die technische Beherrschbarkeit der Welt soll darin ebenso Platz finden wie das bröckelnde "Alternativprojekt" Cuba. Auf Cuba löst sich Faber endgültig vom "American way of Life" und gibt die Rolle des kühl und objektiv Betrachtenden auf. Um den Stückvorgängen antike Größe und menschheitliche Dimension zu verleihen, kommen immer wieder Textstellen des Sophokleischen "Ödipus" und des "Ödipus auf Kolonos" ins Spiel. Die Nähe zum letztgenannten Stück gerät ins Blickfeld. Stand der vertriebene und geblendete Ödipus auf Kolonos vor den Scherben seines Lebens, so sehen sich in Petras´ Stückfassung die Handelnden einer untergegangenen hochtechnisierten Welt gegenüber. Der Jugendfreund Joachim, der sich bei Frisch in der Einsamkeit der Tabakplantagen aufgehängt hat, lebt als Alptraumgestalt des Ingenieurs Faber weiter, verbohrt sich in den Fiebertraum, in der Gestalt eines Vogels die Apolloflüge fortsetzen zu können und endet auf einem verrotteten Weltraumbahnhof, auf dem sich Zivilisationsmüll und Urwald zu einem undurchdringlichen Geflecht verknüpfen. Sophoklestexte auch in der Anklagerede eines dem Traum des Faber entstiegenen Kubaners und in der Verteidigungsrede Fabers, der es "nicht gewusst" haben will (das die junge Sabeth seine leibliche Tochter ist). Weil ihr die Worte fehlen, kleidet Fabers ehemalige Geliebte Helen (bei Frisch Hanna), ihre Wut gegen den Verführer ihrer Tochter in die antike Beschreibung der brutalen Bestrafung des Ödipus: "verschüttet wurde es, das schwarze Blut". Das alles kann nur bedingt den Anspruch des "Endzeitdramas" beglaubigen. Der interpretatorische Neuansatz wird nicht durch die konkrete Handlung dramatischer Figuren zum szenischen Leben erweckt, vielmehr durch immer mehr nach Leitartikel klingende Lehrsätze behauptet: "deine Strategie der rationalen Kolonisierung der Ressourcen, der Frauen und de eigenen Körpers ist misslungen" sagt Helen im klassenkämpferischen Gestus zu Faber.
Einen Gewinn an Vielschichtigkeit bringt allerdings Petras´ Schauspielerführung. Hervorragend Julischka Eichel als Sabeth. Diese Figur war ja im Bericht Fabers eher schemenhaft und blass geblieben, weil der Berichtende die Faszination, die sie offensichtlich auf ihn ausgeübt hat verschweigt, um nicht in den Verdacht der bewussten Schändung zu geraten. Im Spiel der Eichel dagegen gewinnt sie unverwechselbare Gestalt. Sie ist im jähen Wechsel kokett und verletzend, lakonisch und nachdenklich, herausfordernd und verletzlich, ein Ausbund von überschäumendem Temperament und irrwitziger Phantasie. Das ist eine, die in einem Moment die Welt erobern will und im nächsten Augenblick Hilfe suchend in die Ecke flieht. Die Entdeckung des Abends.
"Ödipus auf Cuba" nach Motiven des Romans "Homo Faber" von Max Frisch
Regie: Armin Petras
Maxim Gorki Theater
Einen Gewinn an Vielschichtigkeit bringt allerdings Petras´ Schauspielerführung. Hervorragend Julischka Eichel als Sabeth. Diese Figur war ja im Bericht Fabers eher schemenhaft und blass geblieben, weil der Berichtende die Faszination, die sie offensichtlich auf ihn ausgeübt hat verschweigt, um nicht in den Verdacht der bewussten Schändung zu geraten. Im Spiel der Eichel dagegen gewinnt sie unverwechselbare Gestalt. Sie ist im jähen Wechsel kokett und verletzend, lakonisch und nachdenklich, herausfordernd und verletzlich, ein Ausbund von überschäumendem Temperament und irrwitziger Phantasie. Das ist eine, die in einem Moment die Welt erobern will und im nächsten Augenblick Hilfe suchend in die Ecke flieht. Die Entdeckung des Abends.
"Ödipus auf Cuba" nach Motiven des Romans "Homo Faber" von Max Frisch
Regie: Armin Petras
Maxim Gorki Theater