Endlich erwachsen?

Von Wolf Sören Treusch · 17.04.2009
Kritisch, unangepasst, politisch scharf und mit einer gehörigen Portion Witz - so will die "tageszeitung" (taz) sein, nur eines auf keinen Fall: langweilig. Das links-alternative Blatt hat sich vor 30 Jahren als selbstverwaltetes Zeitungsprojekt gegründet. Trotz finanzieller Krisen hat die Zeitung sich bis heute am Markt behauptet.
"Bei der taz ist es immer so nach dem Spruch: Frag nicht, was die taz für dich leisten kann, sondern was du für die taz leisten kannst."

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.

"Unsere frenetische Anhängerschaft, die ist nicht groß, aber die haben wir. Das ist wie Eisern Union im Fußballklub, die kommen immer, und bei uns auch."

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht.

"Bei der taz übt man, und dann wird man irgendwann von einer gut bezahlten Zeitung übernommen, wird abgeworben oder bewirbt sich dort."

Es geht voran.

"Die taz ist ganz sicher eine andere als vor 30 Jahren, aber die taz ist trotzdem die taz."

Ein Besuch im altehrwürdigen Redaktionsgebäude der taz in der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin-Kreuzberg: Die Treppenstufen im Altbau knarren, an den Wänden hängen hier und da Plakate aus vergangenen Zeiten. Bücherregale stauen sich in Zweierreihen, eine Bürostruktur auf den vier Etagen ist nicht immer gleich zu erkennen.

Die Mitarbeiter plaudern über die Titelgeschichte auf Seite eins im gleichen Tonfall wie sie sich Augenblicke später über die Sonderangebote beim Bioladen um die Ecke austauschen. Es ist ordentlicher geworden bei der taz, früher herrschte hier mehr Chaos.

Seit nunmehr 30 Jahren tummelt sich die links-alternative "tageszeitung" mit der Tatze im Logo in der bundesdeutschen Presselandschaft. Was als linkes und lautes Selbstverwaltungsprojekt am 17. April 1979 begann, ist ein unabhängiges, immer noch selbst verwaltetes Qualitätsprodukt geworden: die kleinste überregionale Tageszeitung in Deutschland - verkaufte Auflage etwa 56.000, davon vier Fünftel an Abonnenten. Kritisch will sie sein, unangepasst und politisch scharf, wo es geht, mit einer gehörigen Portion Witz. Nur eines will die taz auf keinen Fall sein: langweilig.

Chefredakteurin Bascha Mika hat im vierten Stock ihr Büro: Es ist ein etwa 30 Quadratmeter großer Glaskasten. Transparenz gehört zu den innerbetrieblichen Idealen der taz.

"Was mich am Mythos der taz immer fasziniert hat, war, dass sich Leute zusammengetan haben, die von Journalismus keine Ahnung hatten, aber wussten, wie die Welt aussieht und wie man sie dringend verbessern muss, und dann einfach hingegangen sind und gesagt haben: 'Um das zu erreichen, machen wir mal eine Zeitung. Wir haben kein Geld, wir haben keine Ahnung, aber wir haben eine Chance.' Und das finde ich schon eine ziemliche Frechheit und eine tolle Chuzpe. Wenn wir diese Chuzpe nicht hätten, uns ständig zum Beispiel gegen die sogenannten Gesetze des Marktes zur Wehr zu setzen, dann wären wir schon längst tot."

Bascha Mika fing 1988 als Nachrichtenredakteurin bei der taz an. Damals gab es noch den Einheitslohn und die Zeit raubenden, zermürbenden Plenarsitzungen, auf denen jede Grundsatzentscheidung basisdemokratisch abgestimmt werden musste. Von diesem, wie sie ihn nennt, "ideologischen Schrott", hatte man sich längst getrennt, als Bascha Mika 1999 zur Chefredakteurin ernannt wurde. Das habe ihr vieles erleichtert, sagt sie.

"Es gibt einen hohen Anteil dessen, was taz-Identität ausmacht. Und wie es ein alternativer Betrieb, der sich als politisches Projekt verstanden hat und nicht als Zeitung, zu einer veritablen ernstzunehmenden Zeitung wandelt und zu einem Unternehmen, das auf dem Markt bestehen kann und das Ganze aber mit flachen Hierarchien und mit einem hohen Mitspracherecht der Mitarbeiter, dafür gibt es kein Beispiel. Das hat nur die taz geschafft, und sie ist der einzige große, ehemals alternative Betrieb, der überlebt hat."

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.

Die taz-Chronik Teil 1: Aller Anfang ist schwer
Im Herbst 1978 produzieren etwa 50 Vertreter diverser taz-Gründungsinitiativen in Frankfurt die erste Nullnummer. Sie brauchen fünf Tage - jeder Artikel wird auf seine politische Korrektheit überprüft und erst nach langen Debatten freigegeben. Neun Nullnummern später gibt Mitbegründerin Vera Gaserow das Startzeichen.

"Wir haben jetzt ganz klar entschieden, dass am 17. April die 'tageszeitung' täglich rauskommen wird. Und in den größeren Städten, zum Beispiel in Berlin, wird sie an allen Kiosken zu erhalten sein. Wir hoffen aber auch noch, dass wir bis dahin einige Abonnenten kriegen, denn daran fehlt es uns im Augenblick noch ziemlich."

"Wir wollten 20.000 Vorausabonnements haben, damit man starten kann, und hatten dann tatsächlich knapp 7.000 Vorausabonnements."

Karl-Heinz Ruch, Mitbegründer und bis heute Geschäftsführer der taz.

"Das hat dazu geführt, dass die Zeitung kein Kapital hatte, dass sie eigentlich vom ersten Tag an immer mit diesem Überschuldungsproblem zu kämpfen hatte. Überschuldung heißt: Es sind Verluste da, es steht aber kein Eigenkapital, mit denen die Verluste gedeckt werden können, dem gegenüber."

Nicht nur finanziell, auch inhaltlich stößt die taz mit dem Anspruch, den herkömmlichen Presseerzeugnissen etwas entgegenzusetzen, an Grenzen. Medienkritiker Rudolph Ganz im August 1980:

"Die 'tageszeitung' macht ja für den Leser, zumindest für den nicht im eigenen Dunstkreis befindlichen Leser, einen ziemlich chaotischen Eindruck. Es ist ein Blatt, was sehr weit, manchmal Seiten lang nicht nur über linke Randgruppen und Randzonen, sondern auch noch über Flügelkämpfe in Randzonen berichtet. Das ist alles eine fröhliche Unordnung, aber für eine Tageszeitung wahrscheinlich auf die Dauer doch nicht möglich."

Die teilweise dramatischen Auseinandersetzungen um prinzipielle Fragen der Selbstverwaltung lassen das Projekt einige Male fast scheitern. Redakteur Max Thomas Mehr anlässlich des fünfjährigen Jubiläums der taz im April 1984:

"Wir müssen, wenn wir jeden Tag eine Zeitung machen, in einer ganz großen Geschwindigkeit Entscheidungen treffen, und diese Entscheidungen können wir mit diesen Strukturen, den vorhandenen, ich nenne sie mal einfachen Strukturen der Selbstverwaltung, bei 110 fest angestellten Mitarbeitern nicht bewerkstelligen. Das schafft eine Immobilität, eine Unbeweglichkeit, die für eine Tageszeitungsproduktion den Tod bedeutet."

"Zum Beispiel gab es die Arbeit des 'Abo-Rechnungen eintüten'. Wir hatten ja viele Abonnements, die bekamen eine Rechnung. Die Rechnung musste gedruckt werden, das machte alles noch der Computer, auch damals schon. Aber irgendwann mussten die Rechnungen eingetütet und weggeschickt werden. Heute macht das ein Versender, da fasst hier keiner mehr solche Arbeiten an, aber damals wurden dann die Rechnungsformulare und die Kuverts auf den Redaktionstisch geknallt, und die Abo-Abteilung sagte: 'So, liebe Redakteure, jetzt müsst ihr heute Rechnungen eintüten.' - 2000 Stück, 3000 Stück. Und dann lagen die da und lagen die da, und irgendwie: Wenn die Rechnungen nicht rausgeschickt werden, dann kommt auch kein Geld rein, dann gibt es auch kein Lohn, und solche Verhältnisse waren das."

Trotz aller Kämpfe profiliert sich die taz in den 80er-Jahren als loyaler und kritischer Wegbegleiter der Friedens-, Häuserkampf-, Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung. Der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 beschert der taz 14.000 neue Abonnenten und damit erstmals wirtschaftliche Sicherheit.

Es geht voran.

"Mach weiter, Matthias, wir müssen jetzt schneller machen. Es ist zehn vor halb, Matthias, kannst du es bitte etwas schneller machen? Hier brennt der Kittel, bitte, mach 'hinne'. Hier wollen alle arbeiten."

Allein zwölf Chefredakteure beziehungsweise Chefredaktionskollektive hat die taz in den 90er-Jahren verschlissen. Inzwischen geht es auf der täglichen Redaktionskonferenz zu wie überall in deutschen Medienhäusern. Die Mitarbeiter der einzelnen Ressorts versuchen, ihre Themen als Schwerpunkt auf die vorderen Seiten des Blattes zu drängen, der stellvertretende Chefredakteur Reiner Metzger wägt ab und entscheidet.

"Wir hauen uns ziemlich viel um die Ohren morgens. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen, und wenn dann jemand ideologisch ein Problem hat, dann wird der andere auch als Armleuchter beschimpft. Das kommt vor."

Früher hatte er einen gut bezahlten Job bei einem Wochenmagazin. Mitte der 90er-Jahre suchte er nach einer neuen Herausforderung. Er fand sie bei der taz.

"Sie hatten ein völlig anderes Klima: Wie wird mit den Vorgesetzten umgegangen? Die werden nämlich genauso hart angegangen, und auch heute noch bei der taz, wie die Kollegen. Das gab es anderswo nicht. Wenn Sie, egal wo ich vorher war, wenn Sie da einen Chefredakteur dermaßen hart angegangen haben wie das hier üblich ist auf einer Redaktionskonferenz, das machen sie nicht oft. Dann sind Sie entweder Korrespondent in Wanne-Eickel oder ganz draußen."

Doch nicht nur alternatives Betriebsklima, auch pfiffige Überschriften und Schlagzeilen sind in den drei Jahrzehnten ein Markenzeichen der taz geworden. "Li macht Peng" titelte sie zum Atomwaffentest Chinas unter Ministerpräsident Li Peng.

Unvergessen auch: "Es ist ein Mädchen" zur Entscheidung der CDU/CSU, Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin zu küren. Und selbstverständlich "Oh, mein Gott" zur Wahl Joseph Ratzingers zum Papst.

"Das ist wieder dieses Chaosmoment, da treffen sich hier am Newsdesk, wenn es auf die Schlagzeile zuläuft, dann treffen sich zwei, fünf, manchmal auch zehn Leute, und jeder redet Blödsinn oder Sinnvolles, je nachdem, und dann kristallisiert sich was raus, und dann gehen alle wieder, und dann muss der Chef vom Dienst daraus was machen. Wir hatten hier schon Leute von außerhalb, die sich unsere Organisation angeguckt haben, die gesagt haben: 'Das ist ja irre, völlig ineffektiv, wie viele Leute da längs laufen und die Leute am Newsdesk stören, um denen da was reinzuquatschen. Das geht gar nicht.' Wir machen es trotzdem, weil: Die wollen das einfach loswerden, und nun kann ich nicht den ganzen Beschäftigten sagen: 'Schreibt ihr mal euren Nachrichtenticker und lasst uns hier in Ruhe.' So funktioniert die taz eben nicht."

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.

Die taz-Chronik Teil 2: Der Osten ruft
Im Februar 1990 erscheint die taz als erste West-Zeitung nach der Wende mit einer Ost-Ausgabe in der DDR - ein Medien-Coup der besonderen Art. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer: Wenige Monate später wird die Produktion der eigenständigen DDR-Ausgabe der taz eingestellt. Die Ost-West-Unterschiede sind zu groß. Karl-Heinz Ruch, Geschäftsführer West, und Jürgen Kuttner, Geschäftsführer Ost.

"Anders als die Elterngeneration, die noch aus der Zeit vorher kommt, haben sie ja nie etwas Gemeinsames erlebt. Es ist praktisch die 68er-Generation oder die Alternativgeneration bei der taz mit der FDJ-Generation zusammengekommen."

"Brokdorf, das waren alles so Geschichten, die interessierten im Osten keinen. Also, wenn die da irgendwelche heroischen Erinnerungen an historische Daten ihrer eigenen politischen Biografie hatten, dann haben die im Osten wirklich gar keinen interessiert, weil: Hier brach auf einmal ein System zusammen, die Leute waren arbeitslos und wussten nicht, was eine Krankenkasse ist, und wussten das nicht. Das waren Sachen, zwischen denen wir irgendwie vermitteln wollten und vermitteln mussten."

Bis heute sind die Verkaufszahlen der taz im Osten Deutschlands gering.

Es geht voran.

"So, dann sind wir durch. Gibt es noch eine Blattkritik eigentlich? Die hat jetzt noch drei Minuten Zeit."

"Ja, ich bin die Kristina, ich habe mir mal die Einstiege von den vorderen Texten angeguckt..."

Kristina Pezzei, 31, arbeitet seit einem Jahr in der Lokal-Redaktion Berlin. Vorher war sie bei diversen Nachrichtenagenturen. Für die taz macht sie zum ersten Mal Blattkritik. Sachlich und fundiert benennt sie die Mängel in den Texten ihrer Arbeitskollegen: schlechte Überschriften, langweilige Einstiege, lange Sätze. Für ihre klaren Worte wird sie am Ende belohnt.

"Klar war mir bewusst: Dies ist eine besondere Zeitung, das ist ein besonderes Eigentümermodell, und die Zeitung hat so eine Geschichte, aber ich war keine Überzeugungstäterin. Es wurde mir im Laufe des Jahres, das ich jetzt hier bin, so langsam bewusst. Und ich bin in die Zeitung so rein gewachsen. Ich merke, dass ich mich immer mehr damit identifiziere, je länger ich hier bin, dass ich zunehmend stolz werde, dass ich hier arbeiten darf, dass ich mich mit den Positionen identifiziere und das Ganze viel mehr trage, als noch vor einem Jahr."

Die Mitarbeiter der taz werden weit unter Tarif bezahlt, das gehört sozusagen zur taz-Identität dazu. Etwa 2000 Euro brutto erhält jeder, leitende Mitarbeiter bekommen sogenannte Verantwortungszuschläge. Geld hält sie also nicht. Die Alten bleiben aus Idealismus, die Jungen, weil sie in einer der größten deutschen Journalistenschulen arbeiten. Längst ist die taz ein Ausbildungsverein für die Großen der Medienbranche.

"Bei den jüngeren Leuten habe ich das Gefühl, die wissen genau: Sie sind hier drei, vier Jahre, dann kommt der Anruf vom 'Spiegel'. Das ist ja auch unlängst erst wieder passiert. Also ich glaube, da sind viele Leute, die das pragmatisch als Karrierechance sehen."

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.

Die taz-Chronik Teil 3: In jeder Krise steckt auch eine Chance
"Wir hatten unsere Krise dann im Jahr 1990/91. Es gab große Diskussionen, ob die taz verkauft wird an einen großen Verlag oder an einen Investor. Die Mitarbeiter der Redaktion waren mehrheitlich für so einen Investor, für eine Verlagslösung. Die Mitarbeiter der Verlagsabteilung waren mehrheitlich für eine, in Anführungsstrichen, 'unabhängige' Lösung. Was dabei herausgekommen ist, ist die Genossenschaft, im heftigen Streit. Heute ist die Genossenschaft ein Erfolgsmodell. Ich glaube, niemand mehr in der taz oder auch wer damals die Auseinandersetzungen mitbekommen hat, würde behaupten, dass es die taz noch gebe, wenn es die taz-Genossenschaft nicht gebe."

Karl-Heinz Ruch, Geschäftsführer und Krisen-Manager der taz. Genosse oder Genossin wird, wer für mindestens 500, höchstens 25.000 Euro einmalig Anteile an der taz erwirbt. Eine Dividende wird nicht ausgezahlt, die Rendite ist politisch: Solange die taz ökonomisch unabhängig bleibt, bleibt sie es auch publizistisch. Mit der Gründung der Genossenschaft 1992 fällt der Einheitslohn, ein Redaktionsstatut samt Chefredaktion wird installiert, der Betrieb saniert, Investitionen fließen in die Modernisierung der Zeitung. Im ersten Halbjahr 2003 kann die taz erstmals in ihrer Geschichte einen Gewinn verbuchen.

Heute halten etwa 8500 Genossen ein Kapital von 8,5 Millionen Euro - Tendenz steigend. Inzwischen hat die taz auch eine Stiftung gegründet. Die Kapitalsumme liegt bei einer Million Euro.

"Die taz hat ja eine sehr gut verdienende Leserschaft, wie wir wissen, zum Teil auch vermögende Leserschaft, und es gibt mit Sicherheit auch Leute, die ihr Geld, was sie spenden, gerne hierher geben würden, lieber als anderswo hingeben würden, aber auch gerne eine Steuerbescheinigung dafür hätten."

Es geht voran.

Mittagspause im taz-Café: Gut aussehende und entspannt wirkende Menschen zwischen 30 und 50 essen, trinken, plaudern, fast jeder Platz ist besetzt, wer sich nicht unterhält, liest Zeitung: die taz. Es heißt, hin und wieder schaue auch der Klassenfeind von nebenan auf einen Latte macchiato vorbei: Kai Diekmann, Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, der im Springer-Verlagshochhaus vis-a-vis sein Büro hat.

"Liebe taz, trau keinem über 30, das heißt ja wohl auch, dass die Flegeljahre jetzt endgültig vorbei sein sollten. Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, und es würde mir geradezu in der Seele wehtun. Aber gerade im mittleren Alter braucht man ja tatsächlich jemandem, auf den man sich stützen, den man um Rat fragen kann. Und weil ich gerade Genossenschaftler der taz geworden bin, können Sie das in Zukunft bei mir tun. Jeden Herbst auf der Mitgliederversammlung. Hoffentlich gibt es dort ab und zu auch mehr als nur fair gehandelten Bohnenkaffee. Liebe taz. Die größte Boulevardzeitung Deutschlands wünscht sich, dass die kleinste Boulevardzeitung Deutschlands nie ganz erwachsen wird. Und als 'Bild'-Chef wünsche ich mir das ganz besonders. Sie sind mein zweitbestes Stück. Meine allerherzlichsten Glückwünsche zum 30. Geburtstag, Ihr Kai Diekmann."

Vielen taz-Anhängern geht eine solche Kumpanei zu weit. Linken Wohlfühljournalismus und fehlende Debattenkultur unterstellen sie der taz von heute. Wo sie doch eigentlich Forum der Gegenöffentlichkeit und permanente Provokation des Establishments sein sollte. Wie damals vor 30 Jahren: "Unser Alltag ist zu wichtig, um ihn dem Schmierenjournalismus der Boulevardpresse zu überlassen", hieß es noch in der ersten Nullnummer 1978.

"Wir bewegen uns im Mainstream, ohne Mainstream zu sein", heißt es heute aus der Chefetage. Die ehemalige Chefredakteurin Georgia Tornow hat das im Jahr 2004 kritisiert.

"Ähnlich wie bei der Grünen Partei gibt es so eine Art Anpassung an einen Mainstream der Berichterstattung. Man macht also nicht sein eigenes und wird deswegen gelesen wie der Teufel - von denen, die nämlich genau das wissen wollen: Was läuft bei den Grünen, was läuft in den Initiativen, was denkt dieser oder jener -, sondern sie schlagen sich um das soundsovielte Interview mit Fischer, was alle anderen auch haben. Das ist zu wenig."

Pünktlich zum dreißigsten Geburtstag erfindet sich die taz jedenfalls mal wieder neu. Ab morgen erscheint sie in frischem Layout und am Wochenende mit der neuen zwanzigseitigen 'sonntaz'. Drei Themenbereiche, heißt es, sollen in der Wochenendausgabe neu erschlossen werden: Körper, Konsum und soziale Bewegungen. Ob das reichen wird, neue Themen zu setzen? Chefredakteurin Bascha Mika:

"Eine Zeitung wie die FAZ konnte es sich über Jahrzehnte leisten, sich null zu verändern, und dann war die riesige Veränderung ein farbiges Foto auf der 1. Wenn die taz so unbeweglich wäre, dann wäre sie schon längst tot."

Daniel Cohn-Bendit, Enfant terrible der Linken, Europaabgeordneter der Grünen und eifriger Debattenschreiber in der taz, hat einmal gesagt, er ärgere sich täglich über die taz. Und wenn einmal nicht, ärgere er sich darüber, dass nichts in der taz stünde, worüber er sich ärgern könne. - So soll es bleiben. Damit die "Generation 50 plus links" viele weitere Geburtstage der taz und ein bisschen auch sich selbst feiern kann.