Endlager

Geowissenschaftler suchen nach Standort für Atommüll

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Vier gelbe Fässer mit radioaktivem Abfall stehen neben einem Weg auf dem ein gelber Richtungspfeil am Boden nach rechts zeigt.
Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll glich bislang einer Endlos-Geschichte. Das neue Verfahren setzt auf große Transparenz und Partizipation. © picture alliance / dpa / Wolfram Kastl
Von Alexander Budde · 15.11.2019
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Die politische Entscheidung für Gorleben als Atommüll-Endlager traf auf großen Widerstand in der Region. Für das neue Verfahren werten Geowissenschaftler Daten aus allen Bundesländern aus. Lässt sich so der beste Standort finden?
Die Kreisstadt Peine liegt malerisch zwischen Harz und Lüneburger Heide. Ein weitläufiges Bürogebäude ist Hauptsitz der Bundesgesellschaft für Endlagerung. In einem der Büros sitzt Jörg Tietze an diesem Morgen in einer Routinebesprechung mit der Presseabteilung.
"Vom Groben bis ins Detail, von alt zu neu… wir werden nicht nur letzte Berichte, sondern wir werden auch die vorigen Versionen zur Verfügung stellen. Das war auch ein Wunsch von einigen Bürgern, die gesagt haben: 'Wir wollen auch ein bisschen verstehen, wie sind Sie da hingekommen zu den Ergebnissen?' Man hat hier diese Einstiegsdokumente – und dann hat man aber ein Methodendokument, mit denen man alle die abholen kann, die sofort tiefer einsteigen wollen..."

Anderthalb Millionen Datensätze

Tietze ist Geologe. Als BGE-Bereichsleiter Standortauswahl koordiniert er die laufende Startphase der Endlagersuche. Dabei untersucht und bewertet die Bundgesellschaft rund anderthalb Millionen Datensätze, die ihr die geologischen Landesämter sowie weitere Behörden der Länder und des Bundes zugeliefert haben.
Bohrprogramme sind extrem kostspielig. Vergleichbar viele Explorationsdaten über die tektonischen, bergtechnischen und hydrogeologischen Begebenheiten liegen folglich in Gebieten vor, wo Unternehmen nach Bodenschätzen suchten. "Etwas besser gestellt mit richtigen Messdaten und Bohrinformationen" sei man deshalb insbesondere im Norden und ein Stück weit auch im Süden Deutschlands, sagt Tietze. "Stichwort: Erdöl, Erdgas." Auch für die Geothermie werde inzwischen kräftig gebohrt.
International streiten Fachleute über die Frage, welches Gestein sich wohl am besten für die Endlagerung von Atommüll eignet. In Finnland wird eine Anlage in Granit errichtet. Die Schweiz und Frankreich erkunden Standorte in Tongestein. In Deutschland gab es bislang eine Präferenz für Salzgestein – das Standortauswahlgesetz fordert nun aber einen ergebnisoffenen Vergleich der drei Gesteinsarten mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen.

Salz, Ton oder Granit?

Salzgestein ist nördlich der Mittelgebirge zu finden, Tongestein überwiegend in Norddeutschland sowie im Grenzgebiet zwischen Baden-Württemberg und Bayern. Auch über die Verteilung der kristallinen Vorkommen – überwiegend im Raum Dresden und im Schwarzwald sowie im Nordwesten Bayerns – gibt es hinreichende Erkenntnisse, sagt Tietze. Aber: "Wir haben noch nie Kristallin so richtig durchbohrt oder durchmessen." Daher wisse man nur wenig über Eigenschaften, wie zum Beispiel: Ist der Kristallin dicht oder hat der Risse - und wenn ja, in welcher Ausprägung, in welcher Richtung bevorzugt? "Aber das müssen wir wissen, um das für ein Endlager zu bewerten."
Mitte kommenden Jahres will die BGE zu einer so genannten Teilgebiete-Konferenz einladen. Dort will sie all jene Gebiete in Deutschland präsentieren, die aufgrund der geologischen Verhältnisse überhaupt für eine nähere Betrachtung in Frage kommen.
Ein Mann steht vor einer Deutschlandkarte, auf der Daten zur Atommüll-Endlager-Suche verzeichnet sind.
Informationstafel vor einer Dialogveranstaltung, bei der Kommunen und Bevölkerung über die Suche nach einem Atommüll-Endlager informiert werden sollen. © picture alliance / dpa / Zentralbild / Jan Woitas
Die Geowissenschaftler müssen bei ihrer Auswahl die gesetzlich vorgegebenen Kriterien einhalten. Im Animationsfilm des BFE wird deutlich, worum es geht.
"Gebiete, deren Untergrund beschädigt oder gefährdet ist, kommen als Endlagerstandort nicht in Frage. Damit werden Gegenden mit tief reichenden Bergwerken und Regionen, in denen Vulkane aktiv waren, oder die Gefahr von Erdbeben besteht, ausgeschlossen", heißt es dort. An geeignete Standorte würden Mindestanforderungen gestellt: "300 Meter Gestein sollen zum Beispiel das Endlager von der Erdoberfläche trennen."
Ein transparentes wissenschaftliches Verfahren setzt voraus, dass die einzelnen Verfahrensschritte in ihrer Entstehung anhand der dokumentierten Daten und Methoden für alle nachvollziehbar sind. Die interessierte und fachliche Öffentlichkeit muss vor allem auch die Interpretation der Fakten kritisch überprüfen können.

Daten rechtlich geschützt – Klagen drohen

Doch da gibt es ein Problem: Die BGE analysiert und bewertet für ihren ersten wegweisenden Zwischenbericht Explorationsdaten, die mit Rechten Dritter behaftet sind. In vielen Fällen haben private Unternehmen die Daten erhoben – und sie wollen die Bodenschätze, die sie im Untergrund vermuten, irgendwann auch ausbeuten. Wie alle Informationen sind die Daten Geld wert – und sollte die Bundesgesellschaft sie öffentlich machen, sähe sich die BGE womöglich mit horrenden Schadensersatzforderungen konfrontiert.
"Unser Problem ist tatsächlich, dem Veröffentlichungsanspruch gerecht zu werden", erklärt BGE-Geschäftsführer Stephan Studt. Die Glaubwürdigkeit bei Vorschlägen wäre nicht gegeben, wenn nicht anhand vollständiger Datengrundlagen dokumentiert wäre, wie Entscheidungen zustande gekommen sind. Er fürchtet, dass ein Zwischenbericht mit geschwärzten Daten in der öffentlichen Wahrnehmung kaum überzeugen würde. Studt fordert die Politik auf, unverzüglich für eine rechtliche Grundlage zu sorgen.

Die Beweislast umkehren

Laut Standortauswahlgesetz müssen Daten bereitgestellt werden, wenn öffentliche Belange überwiegen – doch das lässt Spielraum für Interpretationen. Das Nationale Begleitgremium fordert daher, die Beweislast umzukehren. Andernfalls werde man von vornherein massive Gegenkräfte haben, prophezeit NBG-Chef Klaus Töpfer. "Wir werden die Verdächtigungen nicht los, dass da etwas zu verbergen sein könnte.
Das Foto zeigt den ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer.
Notfalls vereidigte Sachverständige für die Dateneinsicht - das fordert der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) © dpa / Uwe Anspach
Notfalls müsste der Staat Entschädigung an Firmen zahlen, die Ansprüche stellen. Die Daten seien nämlich von größter Bedeutung, wenn es darum geht, das Vertrauen der Menschen in das Suchverfahren wieder herzustellen. Für den Fall, dass die Daten geheim gehalten werden sollen, habe das Gremium auch andere Vorschläge gemacht. "Dann können wir doch vereidigte Sachverständige haben, die in unserem Auftrag diese Daten zur Kenntnis nehmen und sagen, deren Interpretation ist so richtig erfolgt oder nicht", so Töpfer. Das seien dann "Menschen unseres Vertrauens, die wir da hineinschicken". Das sei nicht Misstrauen gegenüber anderen. "Aber es ist die Aufnahme von Zweifeln Dritter."

Beteiligung ohne Mitsprache?

Und an Zweifeln Dritter herrscht kein Mangel. So zum Beispiel von Jochen Stay von der atomkritischen Organisation ".ausgestrahlt". Er wirft der Bundesgesellschaft für Endlagerung vor, sie stelle die Betroffenen vor vollendete Tatsachen, wenn die BGE Mitte 2020 ihre erste Eingrenzung der infrage kommenden Gebiete präsentiert. Es werde gesagt, wenn der Bericht über die Teilgebiete vorliegt, gebe es überall Konferenzen und dann könnten die Leute mitreden. Doch, kritisiert Stay: "Es gibt nicht wirkliche Mitwirkungsrechte und Mitgestaltungsrechte." Außerdem seien alle wesentlichen Dinge längst festgelegt. "Es ist festgelegt, es gibt eine geologische Tiefenlagerung, es sind die Gesteine festgelegt, es ist das Suchverfahren festgelegt, es sind die Institutionen festgelegt und auch die Kriterien nach denen diese Standorte miteinander verglichen werden."
BfE-Chef König spricht von haltlosen Vorwürfen – und Interpretationen, die dem Geist des 2017 gestarteten Verfahrens zuwider laufen: Die Kommission, deren Empfehlungen mit der Novellierung des Standortauswahlgesetzes 2017 umgesetzt wurden, habe die unterschiedlichen Entsorgungsoptionen umfassend geprüft. Die Betroffenen würden auch nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern zu einem sehr frühen Zeitpunkt beteiligt, noch bevor erste Entscheidungen getroffen werden. Zudem könnten Bewohner der betroffenen Gebiete sowie Umweltverbände das Auswahlverfahren und die Bescheide des BfE im weiteren Verlauf vor dem Bundesverwaltungsgericht überprüfen lassen.
"Was wir derzeit erleben ist, dass diejenigen, die sich mit dem Thema überhaupt beschäftigen, selber aus einer intensiven Auseinandersetzung in der Regel kommen, wo Schwarz-Weiß, Gut-Böse klar zu identifizieren war." Es sei aber jetzt eine völlig veränderte Situation: "Der Gesetzgeber hat sich in diesem zutiefst demokratischen Verfahren entschieden, mit sehr breiter Mehrheit, diesen Weg festzuschreiben, der einen Ausgleich beinhaltet."

Querschüsse aus den Ländern "wenig hilfreich"

Die Zeit drängt, denn gegenwärtig befinden sich fast alle hochradioaktiven Abfälle in Zwischenlagern. 26 Castoren aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague stehen noch aus. Sie sollen bundesweit auf vier Standorte bei Kraftwerken verteilt werden – und nicht mehr ins zentrale Zwischenlager Gorleben rollen.
"Sie können kein Endlager ersetzen", sagt König. "Und es ist natürlich so, dass die Gemeinden vor Ort und die dort Lebenden einen Anspruch darauf haben, dass diese Zwischenlager sich auch nicht zu gefühlten Endlagern entwickeln." Vor diesem Hintergrund hält König auch die Querschüsse von Landespolitikern für wenig hilfreich, wenn sie etwa wie in Bayern in ihrem Koalitionsvertrag ganze Regionen als Endlagerstandorte ausschließen – und sich dabei nicht auf geologische Kriterien, sondern auf den Heimatschutz berufen.
(abr)

Bis 2031 soll ein geeigneter Ort gefunden sein, um die gefährlichsten Hinterlassenschaften der Menschheit, hochradioaktiven Atommüll, für alle Zeiten sicher zu verwahren. Ein Endlager gibt es allerdings bis heute nicht. Den größten gesellschaftlichen Konflikt der vergangenen Jahrzehnte soll nun ein neues Verfahren befrieden. Nachdem sich frühere Regierungen jahrzehntelang allein auf den Salzstock Gorleben konzentriert hatten, sollen nun erstmals auch Alternativen, zum Beispiel in geographisch anderen Regionen und geologisch anderen Gesteinsformationen, geprüft werden. Wie geht es damit voran? Unser Korrespondent Alexander Budde berichtet:

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