Ende einer Ära

Von Jochen Stöckmann |
Das kommende Jahr läutet das Ende der Polaroid-Sofortbildkamera ein. Die Filme werden nicht mehr produziert.
Dieses Geräusch hat die Bilderwelt des ausgehenden 20. Jahrhunderts geprägt: Die Polaroid SX-70 wog 600 Gramm, war das erste handliches Modell einer Sofortbildkamera. Auf Knopfdruck schnappte ein Klappmechanismus auf, dann den Finger auf den Auslöser – schon spuckte der Apparat mit charakteristischem Surren den Foto-Abzug aus. Die Werbung versprach aufregende Abenteuer für jedermann:

"Während sie mühelos durchs Leben schweifen, wird die SX-70 Teil Ihrer selbst."

Eine Kamera als Prothese, die unsere Wahrnehmung erweitert. Das hatte Henri Cartier-Bresson, Nestor der anspruchsvollen Bildreportage, zuvor von der Leica, der legendären Kleinbildkamera behauptet. 1975 konnte Edwin Land dasselbe in Anspruch nehmen für seine Polaroid SX-70, die neben Coca-Cola oder dem Gillette-Rasierer Ausdruck des american way of life geworden war:

"Man stellt nicht nur die Kamera scharf ein, sondern auch das eigene Ich. Wenn Sie dann auf den Auslöser drücken, veräußerlicht sich Ihr Inneres."

Werner Schmalenbach, der deutsche Museumsmann, schildert eine Begegnung mit Andy Warhol auf einer Düsseldorfer Party, bei der sich beide gegenseitig mit der Polaroid porträtierten. Warhol schnitt allerlei Grimassen – um diese Sofortbild-"Entäußerungen" anschließend zu signieren. Polaroids und Tonbänder, das waren für den "factory"-Betreiber Warhol die idealen Medien, um sein Leben augenblicklich – ohne lästiges Nachdenken - zu konservieren. Auch andere Künstler wurden zu Werbezwecken von Polaroid mit dem jeweils neuesten Modell ausgestattet: Walker Evans, Ansel Adams, André Kertész, Duane Michals, Helmut Newton und Ralph Gibson. Doch diese Aufzählung prominenter Namen nötigte dem französischen Kunstkritiker Hervé Guibert keinen Respekt ab. Er spottete, daß mit einer Polaroid nun einmal keine überragenden Fotos entstehen könnten - räumte aber mit gehöriger Ironie ein:

"Dafür geht's schnell, die gesamte Wirklichkeit wird einem im verkleinerten Format sofort zurückgegeben."

Und Gabriele Wohmann erkannte 1984:

"Die Polaroid-Zukunft: Die Gegenwart ist unansehnlich. Wir wollen vorarbeiten. Wir wollen uns augenblicklich in Andenken verwandeln."

Damit hatte die Schriftstellerin ins Schwarze getroffen: Auslöser für Lands Erfindung war nämlich die ewige Quengelei seiner kleinen Tochter gewesen, die immer wieder fragte, wie lange sie denn noch warten müsse, um die eben vom Vater aufgenommenen Schnappschüsse endlich anschauen zu können. Der Wissenschaftler tüftelte ein Verfahren aus, bei dem das Negativ noch im Apparat per Walzendruck auf eine lichtempfindliche Schicht gepresst, mit dem Fotopapier verschmolzen wurde. Deshalb waren Polaroids stets Unikate: Einzelexemplare, entstanden ohne weiteres Zutun des Fotografen, also auch ohne die Möglichkeit, nachträglich in der Dunkelkammer korrigierend einzugreifen. Heute, in digitalen Zeiten, übernimmt der Rechner, die Foto-Software im Computer, was zuvor entweder das Polaroid-Patent besorgte oder der Fotograf mit seinen Entwicklerlösungen und Fixierbädern:

Rolf Nobel: "In den meisten Dunkelkammern wird’s nicht mehr plätschern, denn die spielen sich im Gehäuse eines Rechners ab. Fotografen beim analogen Vergrößern, die haben nicht so stark manipulativ in die Abzüge eingegriffen, sondern die haben sich bemüht, daß das Tonwertspektrum voll ausgereizt wird. Aber die haben nicht großartig Himmel nachbelichtet, Schatten abgewedelt. Was heute in der digitalen Fotografie sehr einfach ist."

Für Rolf Nobel, Professor für Fotografie und Mitbegründer einer Fotoagentur, hat die Polaroid ausgespielt, seit die digitale Technik mit dem Display auf der Kamerarückseite eine sofortige Kontrolle der Aufnahmesituation ermöglicht. Für dieses Überwachen des "settings", der meist sehr kostspieligen Inszenierungen, leisteten sich Porträt- und Modefotografen sehr aufwendige Polaroids. Annie Leibovitz zum Beispiel präsentiert diese Sofortbilder in ihren Ausstellungen.

Den Amateuren dagegen muß genügen, was die Fotoindustrie als Sofortbildersatz anbietet: den schnellen Ausdruck ihrer digitalen Aufnahmen, vom Speicherchip direkt aufs Fotopapier. Andreas Tschunkert, Fotospezialist beim Druckerhersteller Hewlett-Packard:

Andreas Tschunkert: "Wenn Sie als Kunde sagen: "Das ist mein Foto" – dann haben wir’s getroffen. Wenn aus dem Drucker rauskommt, was Sie sich vorgestellt haben, dann war es richtig und dann ist es auch gut."

Damit wird auf die Spitze getrieben, was sich mit der Polaroid-Kamera ankündigte: das man ein Objekt und dessen Bild fast zeitgleich vor sich sehen kann. Dieser kindliche Wunsch von Edwin Lands Tochter könnte mit der flächendeckenden Erfüllung allerdings zum Albtraum werden.

Gabriele Wohmann: "ehr reden wollen wir ganz und gar nicht. Kaum treffen wir aufeinander, da beginnen wir, unsere Haltungen zu fotografieren. Wir versenken uns andächtig in diese Zukunft. Fünf Minuten später werden wir schon die Erinnerung an uns sein – verbessert vom Schnappschuss."

Als Gabriele Wohmann 1984 diese "Polaroid-Zukunft" ausmalte, da galt ihre Prophezeiung allerdings nur für seltene Momente – denn im Dauereinsatz war das Filmmaterial für die Sofortbildkameras einfach viel zu teuer.