Ende des sinnleeren Lotterlebens

Vorgestellt von Michael Stürmer · 27.08.2006
In "Credo" beschreibt Wolfram Weimar die Wiederkehr der Religion in die weltweite Politik. Der Chefredakteur der Zeitschrift "Cicero" hofft auf eine Erneuerung des Abendlandes und sieht einen Zwang zur spirituellen Erneuerung, vor allem in Europa. In der Erstärkung der Religion sieht er positive Effekte Kultur, Politik und Ethik.
Dieses schmale Buch ist wie der Stein, den einer ins Wasser wirft, damit er Kreise zieht und Wellen macht. Es annonciert die Wiederkehr der Religion in die Politik, die nationale wie die internationale. Die 80 Seiten-Streitschrift stellt nicht nur das Faktum fest, wie andere zuvor. Wolfram Weimer, Chefredakteur der anspruchsvollen Monatszeitschrift "Cicero", applaudiert auch dieser Renaissance des Glaubens und verbindet damit weitreichende Hoffnungen auf Erneuerung des Abendlandes.

Der Prozess der Säkularisierung, Vertreibung der Religion aus der Politik, der am Ende der europäischen Glaubenskämpfe stand, ist nach 300 Jahren offenkundig an sein Ende gekommen und von allen Enden der Erde kommt die Religion zurück. Weimers These, wie ein Trompetenstoß:

"Wir gehen vom postmodernen ins neoreligiöse Zeitalter. Entgegen düsteren Prophezeiungen muss das nicht schlecht sein. Das Comeback des religiösen Bewusstseins könnte eine kulturelle Renaissance des Abendlandes erzwingen. Nach Jahrzehnten der kulturellen Regression, der Infantilisierung und der Geschichtslosigkeit steht die Frage des Selbstbewusstseins auf der Tagesordnung."

Die mörderischen Ersatzreligionen des 20. Jahrhunderts, von Lenin über Hitler bis Mao, sind gescheitert. Aber auch die Akkumulation von noch so viel Wohlstand und Wohlfahrt verweigert die Antwort auf die Religion stiftende Frage nach dem Sinn des Lebens und dem, was jenseits des Todes liegt.

Diese Ewigkeitsfrage ist wieder da, und sie prägt Politik. Weimar stellt nicht nur fest, was von Warschau bis Washington und der Erlöserkathedrale in Moskau, von den Höhlen, wo sich Osama Bin Laden verbirgt, bis Teheran und Mekka die Geister bewegt. Er zieht daraus auch praktisch-politische Konsequenzen, und er tut es überwiegend auf der positiven Seite:

"Mit der Religion kommt das mächtigste Moment wider den Relativismus und Kulturpessimismus zurück ins Spiel. Die Gesellschaft steht also nicht vor dem demographischen und kulturellen Verfall, sie steht am Anfang eines neuen Aufschwungs."

Große These, kühnes Programm, gemischte Gefühle. Die Inspiration ist klar: Als noch der Kalte Krieg im Schwange war, wählte das Kardinalskollegium im Vatikan Papst Johannes Paul II, der nicht ein Anpasser und Beschwichtiger war, sondern ein Kämpfer wider das Sowjetsystem.

In Ronald Reagan, der zwei Jahre später zum US-Präsidenten gewählt wurde, fand er einen mächtigen Verbündeten gegen das "Empire of Evil", wie Ronald Reagan die Sowjetunion nannte, Reich des Bösen. Damals war längst jene Rückbesinnung auf die frommen Pilgerväter im Gang, die später auch George W. Bush an die Macht tragen sollte.

Noch wichtiger aber die islamische Revolution, die der wortgewaltige Zorn des Ayatollah Chomeini in Gang setzte. Zwar hat der Iran seine politische Revolution bisher nicht exportiert, schon weil zur religiösen Erneuerung auch die Akzentuierung der uralten Feindschaft von Sunniten und Schiiten gehört. Aber es ist kein Zweifel, dass seit den Hass- und Bußpredigten des grimmigen Ayatollah der militante Islam im Aufbruch ist und seine Boten überall hin sendet, ob nach Afghanistan, New York, Madrid, London oder Irak.

Das alles weiß Weimer, und es beunruhigt ihn auch, aber wohl nicht genug. Er sieht darin die Chance, ja den Zwang zur spirituellen Erneuerung, dem der Westen, namentlich die Europäer, nicht entgehen können. Weimer sieht Rückkehr zu den Quellen abendländischer Kraft, kulturelle Erneuerung, Ende des sinnleeren Luxus- und Lotterlebens und des moralischen Defaitismus. Er führt dafür selbst das Staunen der Astrophysiker an, wenn sie die Komplexität der Schöpfung betrachten, von der sie doch erst den geringsten Teil begreifen.

"Mit der Relativitätstheorie geriet das Verifikationsprinzip an sein Ende. Seitdem kommt aus der Mitte der naturwissenschaftlichen Forschung die Erkenntnis, dass jeder wissenschaftliche Satz nur vorläufige Bedeutung hat, dass es wirklich gesicherte Erkenntnis nicht gibt, dass die Wissenschaft das Glaubensprinzip wieder entdeckt."

Begrenzte Erkenntnis ist noch nicht Religion, Vertrauensvorschüsse im Alltag sind noch nicht Glauben. Da zieht Weimer vorschnelle Schlüsse. Das nimmt aber seiner Kernthese nichts von ihrer Bedeutung, dass die Religion wieder von den Geistern Besitz ergreift, und dass dies gut ist für die Menschen wie für das Gemeinwesen. Nicht alles indes ist Gold, was glänzt, und nicht alles ist Glaube, was sich so kostümiert:

"Dass moderne Sekten, Evangelikale, islamische Fundamentalisten, Anthroposophen oder auch klassische christliche Kirchen von den Mechanismen des Medienzeitalters profitieren können, wenn sie sich ihrer gezielt bedienen, wird das Comeback der Religionen wohl massiv befördern."

Was aber macht Weimer so zuversichtlich, dass die Wiederkehr der Religion als geschichtliche Potenz Europa und den Europäern zum Guten gereicht? Er vergleicht, was er erkennt, mit der Rückkehr eines verschollenen Vaters:

"Ich halte drei positive Effekte für denkbar: einen kulturellen, einen politischen und einen ethischen."

Zuerst die Erneuerung der Kultur. Weimer sieht seit zwei Generationen, Stichwort 1968, einen Kultur- und Niveauverlust durch areligiöse Bildung, die den klassischen Kanon des Bildungsbürgertums durch Beliebigkeit ersetzte.

"Im Bildungsbetrieb ist die kulturelle Selbstschwächung …. Durch Werte-Indifferenz am klarsten sichtbar geworden. Der Kaskadeneffekt des zivilisatorischen Niedergangs ist an unsere Schulen mit Händen zu greifen… Der Angriff auf alle Autoritäten, vom Lehrer bis Goethe, zerstörte nicht nur Elitenkultur und Leistungsethos, sondern vor allem Orientierung."

Dann die Erneuerung der Politik. Weimer sieht die Demokratie westlicher Prägung wurzeln im Christentum, im individuellen Gewissen, in der Begrenzung menschlichen Handelns.

"Eine Gesellschaft, die an nichts glaubt, kann auch nicht an ihre Zukunft glauben, geschweige an sich selbst… Der extreme Kulturpessimismus der Deutschen verkennt die Potentiale des Wertewandels…Mit der Religion verbinden sich Kerne kultureller Identität, Sphären der Geborgenheit in der Raserei der Moderne."

Endlich und vor allem das ethische Argument. Dem Menschen wird, wie Mephisto in Goethes "Faust" dem Scholaren voraussagte, vor seiner Gottähnlichkeit bange. Die moralische Kraft von Individuen wie Gesellschaften bleibt hoffnungslos zurück hinter dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik. Aus diesem moralischen Vakuum soll, so hofft Weimer gegen alle Hoffnung, die Hilfe kommen:

"Dieses Paradox zwischen technischer Aufrüstung und moralischer Abrüstung wird dem Comeback der Religion den Weg ebnen. Nicht als Reflex auf ein gefährliches Missverhältnis. Sondern als Instrument, die Balance zurück zu gewinnen."

Keine Lektüre für besinnliche Sonntagnachmittage ist dieses Buch. Es ist beides: Bestandsaufnahme eines tiefen Malaise und Pronunciamento einer anderen, vielleicht in der Tat besseren, Zukunft.

Wolfram Weimer: Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist.
Deutsche Verlagsanstalt, München 2006
79 Seiten, 9,90 Euro
Coverausschnitt: "Credo"
Coverausschnitt: "Credo"© DVA