Ende der Eiszeit mit den USA

Wie die Kubaner den Wandel erleben

Der kubanische Landwirt Humberto Hernandez
Der kubanische Landwirt Humberto Hernandez © Deutschlandradio / Ellen Häring
Von Ellen Häring · 20.07.2015
An diesem Montag wird in Havanna die amerikanische Botschaft wieder eröffnet. Damit endet die Eiszeit zwischen Kuba und den USA. Was das für die Menschen in Kuba bedeutet, lässt sich bereits beobachten - Ellen Häring war dort.
Es ist Ende April, Donnerstag, 22 Uhr, gefühlte 30 Grad Celsius. Das T-Shirt klebt am Rücken. Auf der abgesperrten, vierspurigen Strandpromenade Havannas spielt das kubanische Salsa-Orchester, los Van Van, auf dem "Platz des Antiimperialismus" direkt vor der ständigen Vertretung der USA. Trotz der Hitze sind Hunderte Kubaner zum Gratiskonzert gekommen und schwingen die Hüften.
Die Tage solcher Konzerte sind gezählt. Aus der ständigen Vertretung der USA wird eine offizielle Botschaftsresidenz. Der "Platz des Antiimperialismus" wird dann wohl umbenannt werden müssen, denn mit politischem Aktivismus und Salsa-Partys vor der Haustür des Klassenfeinds ist dann Schluss.
Aber noch leben die Kubaner in einer Art Zwischenwelt.
Claudia - in Shorts, Sonnentop und Flip Flops - sitzt im Schatten eines riesigen Gummibaumes im Stadtteil Vedado. Hinter der Gartentür, gleich an der nächsten Straßenecke, blickt Che Guevara von einer Häuserwand. "Die Revolution ist unbesiegbar", verkündet er. Die Studentin und ihre Kommilitonen, alle um die 20 Jahre alt, stellen vorsichtig in Frage, ob die überwiegend alten Männer in der derzeitigen Regierung unter Raúl Castro die richtigen Entscheidungen für die Zukunft ihres Landes treffen.
"Die jungen Leute sind tendenziell schon der Meinung, dass die Alten jetzt mal abtreten könnten, um den Jungen den Staffelstab zu übergeben. Aber da ist nichts total Drängendes oder gar Gewalttätiges dahinter, dass die jetzt unbedingt sofort gehen müssten, das ist nicht so."
Die Menschen hoffen auf eine bessere Versorgungslage
Claudia teilt ihre Wohnung mit der Großmutter, die die Revolution preist. Darüber schmunzelt sie. Aber auch sie liebt ihr Land - und findet längst nicht alles reformbedürftig.
"Viele soziale Programme sind aus meiner Sicht positiv. Die Bildung, das Gesundheitswesen - jeder hat bei uns die Chance, etwas aus sich zu machen. In anderen Ländern sind die jungen Leute fertig mit dem Studium und sind arbeitslos. Hier hast du als Uniabsolvent immer die Möglichkeit, in deinem Beruf zu arbeiten."
Über die Annäherung der beiden Erzfeinde USA und Kuba freut sich Claudia. Und sie hat konkrete Hoffnungen: Die schlechte Versorgungslage muss sich bessern, die Löhne müssen steigen, das Internet muss für alle zugänglich sein. Das steht auf Claudias Wunschliste. Menschenrechte sind für die meisten Kubaner ein Randthema - zumal die USA immer noch das Gefangenenlager in Guantanamo betreiben.
Pferdekarren, Rikschas, alte amerikanische Straßenkreuzer, aber auch moderne Autos aus chinesischer Produktion, rauschen an den Feldern in der Provinz Matanzas vorbei. Havanna ist gut eineinhalb Stunden Fahrtzeit entfernt.
Hier betreibt Humberto Hernandez, 51 Jahre alt, eine sogenannte städtische Landwirtschaft. Humberto ist erst seit fünf Jahren Bauer, früher war er Förster. Heute arbeitet er für das Projekt PIAL, das die staatlich regulierte Landwirtschaft dezentralisieren soll und zur Selbstversorgung der Kubaner beitragen will. Ein Pionier mit 16 Angestellten.
"Wir haben zwei Verkaufsstände, einen in der Stadt, den anderen gleich hier vorne an der Straße. Außerdem verkaufen wir an Krankenhäuser, an Einrichtungen für Schwangere, an Schulen, an Altenheime - da geht die Produktion hin. Und dieser 'consumo social' ist vertraglich absichert und wird zu einem guten Preis vom Staat angekauft."
"Wahrscheinlich darf Kuba dann endlich mal Medikamente und andere Sachen kaufen"
Humberto könnte mehr produzieren und sein Obst und Gemüse bis nach Havanna bringen, hätte er einen Kühltransporter. Aber den gibt es genauso wenig wie moderne Traktoren, Pflüge oder Bewässerungssysteme. Seit 1961 kommen keine technischen Gerätschaften nach Kuba - wegen des Handelsembargos der USA. Über Dritt- oder Viertstaaten kann importiert werden, aber das verdrei- und vervierfacht den Preis.
Landarbeiter Carlos zieht Furchen in die Erde und zeigt stolz auf die knallroten Paprika. Den Wandel auf Kuba erleben er und sein Chef Humberto hautnah mit.
"Wahrscheinlich wird jetzt alles besser. Wahrscheinlich darf Kuba dann endlich mal Medikamente und andere Sachen kaufen. Bei uns fehlt es doch auch an allem: Wir brauchen mehr Bewässerungsschläuche zum Beispiel, wenn irgendwas kaputt geht an unserem Brunnen, dann müssen wir das reparieren, es gibt keine Ersatzteile oder irgendwas Neues."
Ob das Handelsembargo fällt, ist längst nicht klar. Darüber wird der Kongress entscheiden. Wenn es aber fällt, dann kommt auch die Konkurrenz.
Transnationale Lebensmittelkonzerne könnten Humbertos Bemühungen in kurzer Zeit zunichtemachen. Angst davor hat er nicht.
"Auch wenn andere Produzenten kommen und neue Produkte anbieten. Die werden uns nicht ersetzen. Wir haben natürlich dann mehr Konkurrenz. Aber das kann auch motivierend sein. Wenn es keine Konkurrenz gibt, dann gerät man schnell in so eine Art Monotonie."
"Unser Salat wird immer frischer sein als der aus den USA", murmelt Carlos noch. Es klingt ein wenig trotzig. Dann schließt Humberto das Tor. Zeit für eine Siesta.
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