Emotionaler Rettungsanker

22.09.2008
Zwei Jahre vor seinem Selbstmord hatte sich der Revolutionsdichter Wladimir Majakowski in die Exilrussion Tatjana Jakowlewa verliebt. Für ihn war die Verbindung so etwas wie ein emotionaler Rettungsanker. Sie selbst hatte meist nur in Andeutungen über ihre Liebe gesprochen, die vorhandenen Dokumente galten als Geheimnis umwoben.
Erste und letzte Lieben haben immer etwas, was Geheimnis und Dramatik verheißt. Und wenn die Liebenden auch noch prominent sind, wird unser Voyeurismus in besonderer Weise angesprochen.

Der prominente Liebende war der Dichter Wladimir Majakowski – eine Art Popstar seiner Zeit. Wenn er seine Gedichte - wie es damals in der Sowjetunion üblich war - auf großen Plätzen oder in Stadien sprach, tobte die Jugend. Majkowski war das, was man gemeinhin einen richtigen Kerl nennt: kantig, charmant, elegant und sehr liebevoll. Ein Mann, dem viele, schöne, kluge Frauen zuflogen.

Eine von ihnen war die Mutter der Autorin, die Russin Tatjana Jakowlewa. Sie selber hatte meist nur in Andeutungen über ihre Liebe zu Majakowski gesprochen. Die vorhandenen Dokumente, ein Reihe von Briefen, galten als Geheimnis umwoben. Die Romanze von Tatjana mit dem Dichter dauerte etwa 18 Monate bis zu seinem Tod - da war er 36 Jahre alt.

Majakowski, Jahrgang 1893, wurde in einem kleinen Dorf im Westen Georgiens geboren. Er interessierte sich von frühester Jugend an für politische Vorgänge. In der kulturellen Szene wurde er durch sein futuristisches Manifest "Eine Ohrfeige für den öffentlichen Geschmack" zum umjubelten Star, der auch viel dafür tat als "junger Wilder" in die Schlagzeilen zu geraten.

Dass dieser Kerl aber eine äußerst zarte Seele hatte, verletzlicher war, als er zugeben wollte, erkannten vor allem die Frauen. Unter den zahlreichen, die seiner Faszination erlagen, war Lilja Brik, mit der er in einer Ménage à Trois - Lilja Brik, Ossip Brik, ihr Mann, und Wolodja – bis zu seinem Lebensende zusammen lebte.

Majakowski war grundsätzlich ein komplizierter Mensch.

Zum einen maßlos auf seine Individualität bedacht, zum anderen ein mächtiges Sprachrohr des kommunistischen Kollektivs. Dieser Bruch zwischen privatem Anspruch und öffentlicher Aktivität musste zur psychischen Zerreißprobe führen und seine Depressionen nachhaltig fördern.

Die generelle politische Situation tat ihr Übriges. Nach Lenins Tod 1924 wurde dessen relativ tolerante Haltung den Künsten gegenüber durch Stalins rigide Doktrin des sozialistischen Realismus verdrängt. Majakowski wurde wegen bürgerlichen Individualismus getadelt – und solcher Tadel durch Stalin und seine Handlanger war nicht ungefährlich.

Majakowskis Verzweiflung an den Zuständen steigerte sich mehr und mehr. Darum war diese Liebe zu Tatjana Jakowlewa, die er bei einem Aufenthalt in Paris kennenlernte, so etwas wie emotionaler Rettungsanker. Die Jakowlewa war 13 Jahre jünger als Majakowski, stammte aus einer recht exzentrischen Familie und kam als 19-Jährige nach Paris, wohin schon etlicher ihrer Verwandten emigriert waren.

Wenn das keine Story ist: der große bolschewistische Dichter macht der antikommunistischen Emigrantin in Paris schon nach 14 Tagen ihrer Bekanntschaft einen Heiratsantrag. Er schreibt Gedichte für sie, schenkt sie ihr natürlich. Majakowski bestürmte Tatjana mit Telegrammen und Briefen, die leidenschaftlicher nicht sein konnten. Er wollte seine Passion auch nicht verheimlichen und gestand sie sogar Lilja Brik. Bald überschlagen sich die Ereignisse.

1929 reiste Majakowski wieder nach Paris - das Visum war begrenzt, er selber desillusioniert. Seine revolutionäre Heimat war ein Land der Funktionäre geworden, doch in Frankreich wollte er nicht bleiben und sie, Tatjana wollte nicht wieder in die kommunistische Sowjetunion. Er fährt wieder nach Hause und sie heiratet einen reichen französischen Diplomaten. Majakowski macht in Moskau einer verheirateten, jungen Schauspielerin Avancen. Lilja Brik versucht ihn trotzdem mit allen Mitteln weiter an sich zu binden.

Seine Stücke werden scharf kritisiert, die Lyrik zum Teil als dekadent verurteilt, er beginnt zu trinken. Und was er lyrisch so oft mit großen dramatischen Worten gefeiert hat, wird zum bitteren Ernst. Am 14. April 1930 schieß er sich eine Kugel in den Kopf und hinterlässt folgendes Telegramm: "An alle! Gebt niemandem die Schuld, dass ich sterbe, und bitte kein Gerede. Der Verstorbene hat das ganz und gar nicht gemocht. Mama, Schwestern, Genossen, verzeiht mir, das ist keine Lösung (anderen rate ich davon ab), aber für mich gibt es keinen Ausweg mehr."

Diese filmreife Geschichte hat Francine du Plessix Gray, die Tochter, mit Empathie recherchiert und detailliert aufgeschrieben. Trotzdem ist es kein langatmiges Buch geworden. Ich habe es " in einem Zuge" gelesen, mich auch noch in Majakowskis Gedichte vertieft, die das Buch ergänzen. Dass die Autorin, die Tochter der Porträtierten Tatjana, auch mit dem Weichzeichner arbeitet, der Romanze etwas mehr Tiefe gibt, als sie vermutlich hatte, macht das Buch nicht weniger lesenswert. Warum wer wen liebt – wer kann das schon beurteilen? Liebe ist immer interpretierbar. Und letzte Lieben sind ohnehin von einer besonderen Aura umgeben.

Rezensiert von Astrid Kuhlmey

Francine du Plessix Gray: Majakowskis letzte Liebe
Übersetzt von Matthias Wolf und Alexander Nitzberg
Berenberg Verlag 2008
128 Seiten, 19 Euro