„Emotionale Momente“
Rothenburg zieht Jahr für Jahr Millionen Touristen in seine Stadtmauern. Seit einiger Zeit widmet sich die mittelfränkische Kommune einem Kapitel ihrer Geschichte, das vorher lange ausgeklammert wurde – der jüdischen Geschichte.
„Wir stehen hier am Kapellenplatz, der hier direkt an den Marktplatz angrenzt, eines der Haupteinfallstore der Stadt. Und hier war im Hochmittelalter das jüdische Viertel",“
erläutert der Rothenburger Kulturwissenschaftler und Fremdenführer Lothar Schmidt und weist zusammen mit dem evangelischen Touristenpfarrer Oliver Gussmann auf ein Areal, an dem einst ein stattliches Gebäude stand.
„"Da befand sich früher eine romanische Synagoge mit bestimmt zehn Metern Länge. Und in unmittelbarer Nachbarschaft: das Wohngebäude und die Talmudschule des Rabbi Meir ben Baruch. Rabbi Meir ben Baruch hat dort unterrichtet. Man weiß, dass diese Schule etwa 22 Zimmer hatte. Die Größe der Synagoge lässt auch darauf schließen, dass sehr viele Einwohner jüdisch waren. Man sagt, dass es etwa 500 waren. Ein Fünftel der damaligen Einwohnerschaft war jüdisch.“
Rabbi Meir ben Baruch – da fällt er, der Name des Mannes, den einige für den bedeutendsten Bürger der Stadt halten: eine Art Lichtgestalt für Juden des 13. Jahrhunderts. Zu Alltagsproblemen bezog er ebenso profund Stellung wie zu Glaubensfragen und erteilte in über 1000 Briefen europaweit Ratschläge.
" „Es gibt eine schöne Anekdote noch, eine Anfrage aus Paris bezüglich eines kalten Winters, ob eine christliche Hausangestellte am Sabbat den Ofen heizen darf. Und die Anekdote besagt, dass er es hier verneint und zum Zweiten zu Hause den eigenen Ofen so verrammelt, dass seine christliche Hausangestellte gar nicht den Ofen öffnen kann am Sabbat".“
Bei Führungen, Gedenkveranstaltungen oder durch historische Tafeln weist man in Rothenburg auf Zeiten relativer Toleranz hin, in denen Juden mit Christen Tür an Tür wohnen konnten. Zur Sprache kommen aber auch brutale Pogrome, denen Bürger mosaischen Glaubens im Mittelalter immer wieder zum Opfer fielen – wegen angeblicher „Hostienschändungen“ oder „Brunnenvergiftungen“. Seit ein paar Jahren hat eine etwa zehnköpfige Arbeitsgruppe mit Unterstützung der Stadtspitze begonnen, die lange Zeit vernachlässigte jüdische Geschichte der touristischen Bilderbuchstadt aufzuarbeiten. Auch die Verfolgungen im Nationalsozialismus werden dabei nicht ausgeklammert.
„"Die Ziele sind, dass die Geschichte der Juden in die Erinnerung der Rothenburger gerufen wird und dass die Touristen, die hier nach Rothenburg kommen, bemerken und es wahrnehmen, welch reichhaltige jüdische Geschichte die Stadt Rothenburg hat".“
Doppelportale, die wie riesige Gebetstafeln aus Stein aussehen, ein Gebäude, das im Keller über eine Mikwe verfügt – in der „Judengasse“ erinnern noch heute etliche Häuser an ihre früheren Bewohner. Ein paar Schritte weiter, am „Schrannenplatz“, wo sich ab 1407 die Synagoge des zweiten Jüdischen Viertels befand, sind an einer Wand verwitterte Buchstaben nur schwer zu entziffern.
„"Man kann hier ganz undeutlich eine Schrift lesen: „Judenkir...“. Und dann heißt es weiter: „Judenkirchhof“. Die alten Rothenburger wissen noch, dass hier der Judenkirchhof ist. Judenkirchhof ist eine christliche Bezeichnung für einen jüdischen Friedhof. Und hier waren früher jüdische Gräber. Man hat die Grabsteine, die man im Rabbi Meir-Gärtchen eingelassen hat, hier gefunden".“
Aber nicht nur in der Mauer des Rabbi Meir-Gärtchens, beim Weißen Turm, wo einst ein Judentanzhaus stand, kann der historisch Interessierte heute alte jüdische Grabsteine entdecken, sondern auch in der Judaica-Sammlung des Reichsstadtmuseums. Im Burggarten, wo im Sommer Straßenmusiker deutsche Volkslieder zum Besten geben, macht Lothar Schmidt kurz vor dem Ende seines Stadtrundgangs auf ein Denkmal zur Jüdischen Geschichte aufmerksam. Er ist dankbar für die zustimmenden Rückmeldungen, die er von Teilnehmern seiner Führungen immer wieder bekommt.
„"Es ist eine unglaubliche Offenheit, ein Interesse auch an der mittelalterlichen Geschichte, auch die Suche nach den Wurzeln, nach der gemeinsamen Geschichte hier. Eine positive Grundeinstellung trotz all der negativen, schrecklichen Ereignisse über die Jahrhunderte. Und gerade an diesem Pogromstein, der sich eigenartigerweise bezieht auf 1298, also auf etwas, was schon sehr lang zurück ist, da erlebt man auch emotionale Momente beim Lesen dieses Textes. Ich habe es einmal erlebt, dass hier auch ein Totengebet von Rabbinern gebetet wird und die Frauen weinen und die Männer in Trauer stürzen, regelrecht. Ganz, ganz starke emotionale Momente".“
Erfreulich, dass sich Rothenburg nach Jahren der Untätigkeit endlich seiner lange verdrängten Vergangenheit stellt. Auch die Pläne für ein Dokumentationszentrum und die beabsichtigte Stiftung zur Erforschung der jüdischen Geschichte weisen in die richtige Richtung. Nur: Dass es in dem rund 12.000 Einwohner zählenden Ort immer noch eine Straße gibt, die nach dem bayerischen Nazi-Ministerpräsidenten Ludwig Siebert benannt ist, versteht vor diesem Hintergrund niemand: Ein Schönheitsfehler, der schleunigst behoben werden sollte.
erläutert der Rothenburger Kulturwissenschaftler und Fremdenführer Lothar Schmidt und weist zusammen mit dem evangelischen Touristenpfarrer Oliver Gussmann auf ein Areal, an dem einst ein stattliches Gebäude stand.
„"Da befand sich früher eine romanische Synagoge mit bestimmt zehn Metern Länge. Und in unmittelbarer Nachbarschaft: das Wohngebäude und die Talmudschule des Rabbi Meir ben Baruch. Rabbi Meir ben Baruch hat dort unterrichtet. Man weiß, dass diese Schule etwa 22 Zimmer hatte. Die Größe der Synagoge lässt auch darauf schließen, dass sehr viele Einwohner jüdisch waren. Man sagt, dass es etwa 500 waren. Ein Fünftel der damaligen Einwohnerschaft war jüdisch.“
Rabbi Meir ben Baruch – da fällt er, der Name des Mannes, den einige für den bedeutendsten Bürger der Stadt halten: eine Art Lichtgestalt für Juden des 13. Jahrhunderts. Zu Alltagsproblemen bezog er ebenso profund Stellung wie zu Glaubensfragen und erteilte in über 1000 Briefen europaweit Ratschläge.
" „Es gibt eine schöne Anekdote noch, eine Anfrage aus Paris bezüglich eines kalten Winters, ob eine christliche Hausangestellte am Sabbat den Ofen heizen darf. Und die Anekdote besagt, dass er es hier verneint und zum Zweiten zu Hause den eigenen Ofen so verrammelt, dass seine christliche Hausangestellte gar nicht den Ofen öffnen kann am Sabbat".“
Bei Führungen, Gedenkveranstaltungen oder durch historische Tafeln weist man in Rothenburg auf Zeiten relativer Toleranz hin, in denen Juden mit Christen Tür an Tür wohnen konnten. Zur Sprache kommen aber auch brutale Pogrome, denen Bürger mosaischen Glaubens im Mittelalter immer wieder zum Opfer fielen – wegen angeblicher „Hostienschändungen“ oder „Brunnenvergiftungen“. Seit ein paar Jahren hat eine etwa zehnköpfige Arbeitsgruppe mit Unterstützung der Stadtspitze begonnen, die lange Zeit vernachlässigte jüdische Geschichte der touristischen Bilderbuchstadt aufzuarbeiten. Auch die Verfolgungen im Nationalsozialismus werden dabei nicht ausgeklammert.
„"Die Ziele sind, dass die Geschichte der Juden in die Erinnerung der Rothenburger gerufen wird und dass die Touristen, die hier nach Rothenburg kommen, bemerken und es wahrnehmen, welch reichhaltige jüdische Geschichte die Stadt Rothenburg hat".“
Doppelportale, die wie riesige Gebetstafeln aus Stein aussehen, ein Gebäude, das im Keller über eine Mikwe verfügt – in der „Judengasse“ erinnern noch heute etliche Häuser an ihre früheren Bewohner. Ein paar Schritte weiter, am „Schrannenplatz“, wo sich ab 1407 die Synagoge des zweiten Jüdischen Viertels befand, sind an einer Wand verwitterte Buchstaben nur schwer zu entziffern.
„"Man kann hier ganz undeutlich eine Schrift lesen: „Judenkir...“. Und dann heißt es weiter: „Judenkirchhof“. Die alten Rothenburger wissen noch, dass hier der Judenkirchhof ist. Judenkirchhof ist eine christliche Bezeichnung für einen jüdischen Friedhof. Und hier waren früher jüdische Gräber. Man hat die Grabsteine, die man im Rabbi Meir-Gärtchen eingelassen hat, hier gefunden".“
Aber nicht nur in der Mauer des Rabbi Meir-Gärtchens, beim Weißen Turm, wo einst ein Judentanzhaus stand, kann der historisch Interessierte heute alte jüdische Grabsteine entdecken, sondern auch in der Judaica-Sammlung des Reichsstadtmuseums. Im Burggarten, wo im Sommer Straßenmusiker deutsche Volkslieder zum Besten geben, macht Lothar Schmidt kurz vor dem Ende seines Stadtrundgangs auf ein Denkmal zur Jüdischen Geschichte aufmerksam. Er ist dankbar für die zustimmenden Rückmeldungen, die er von Teilnehmern seiner Führungen immer wieder bekommt.
„"Es ist eine unglaubliche Offenheit, ein Interesse auch an der mittelalterlichen Geschichte, auch die Suche nach den Wurzeln, nach der gemeinsamen Geschichte hier. Eine positive Grundeinstellung trotz all der negativen, schrecklichen Ereignisse über die Jahrhunderte. Und gerade an diesem Pogromstein, der sich eigenartigerweise bezieht auf 1298, also auf etwas, was schon sehr lang zurück ist, da erlebt man auch emotionale Momente beim Lesen dieses Textes. Ich habe es einmal erlebt, dass hier auch ein Totengebet von Rabbinern gebetet wird und die Frauen weinen und die Männer in Trauer stürzen, regelrecht. Ganz, ganz starke emotionale Momente".“
Erfreulich, dass sich Rothenburg nach Jahren der Untätigkeit endlich seiner lange verdrängten Vergangenheit stellt. Auch die Pläne für ein Dokumentationszentrum und die beabsichtigte Stiftung zur Erforschung der jüdischen Geschichte weisen in die richtige Richtung. Nur: Dass es in dem rund 12.000 Einwohner zählenden Ort immer noch eine Straße gibt, die nach dem bayerischen Nazi-Ministerpräsidenten Ludwig Siebert benannt ist, versteht vor diesem Hintergrund niemand: Ein Schönheitsfehler, der schleunigst behoben werden sollte.