Emotionale Moden
Wie Kopf und Bauch, Verstand und Gefühl einander bedingen, ist ein Modethema, dem sich nun auch die Philosophie angenommen hat. Der Sammelband "Philosophie der Gefühle" präsentiert den internationalen Stand der wissenschaftlichen Diskussion zum Thema.
Sabine Döring, Professorin für Philosophie in Tübingen, ist eine der wenigen Frauen in einem von Männern beherrschten Fach. Ihre Spezialität sind Fragen der praktischen Vernunft, insbesondere der Rolle von Emotionen beim Denken, Urteilen und Handeln. Ihr Studium der Literatur und Psychologie in Göttingen ließ sie schon früh die engen Fachgrenzen überschreiten, und ihre Forschungsaufenthalte unter anderem in London, Manchester und Berkeley machten sie mit der internationalen Diskussion vertraut, die der hier besprochene Sammelband zum Thema Gefühle vorstellt.
Gefühle – das waren doch jene Impulse, die aus dem Bauch (oder auch mal von Herzen) kamen. Mit dem kühl kalkulierenden Verstand hatten sie angeblich nichts zu tun. Noch heute kann jeder – zum Beispiel gegen die Zumutung, vernünftig zu handeln – sich auf die Gefühle berufen, die angeblich ohnehin viel tiefer und näher am Kern unserer Persönlichkeit liegen. Wie Kopf und Bauch, Verstand und Gefühl einander bedingen, ist neuerdings ein Modethema in gleich mehreren Forschungszweigen, der Psychologie und den Hirnwissenschaften, aber auch der Philosophie, die Gefühle lange als Störfaktoren für klares Denken verbannen wollte.
Eigentlich aber geht es hier gar nicht um Gefühle, sondern um Emotionen. Zwar unterscheidet weder der Volksmund noch der Bildungsbürger diese beiden, wohl aber die um Begriffsschärfe bemühte Wissenschaft. Dort herrscht – mehr oder minder – der Konsens, Emotionen hätten ein Objekt, als Auslöser oder auch als Handlungsziel, während bloße Gefühle, zum Beispiel Stimmungen, oft grund- und ziellos erlebt werden, sozusagen nur Befindlichkeiten sind. Allgemeine Angstzustände oder Depressionen können, müssen aber keine Auslöser haben, sowenig wie der rheinländische Frohsinn oder die abgeklärte Melancholie. Wut, Zorn, Liebe usw. seien hingegen "gerichtete" Gefühle, sie "repräsentieren" etwas, wie es im Fachjargon heißt: Das sind dann die Emotionen.
Doch da fangen schon die Kontroversen an. Zielt Liebe auf ein Objekt (wie wir glauben) oder ist eine allgemeine Stimmung, ein zunächst zielloser Gefühls- oder Geisteszustand, der sich dann jedes beliebige Objekt wählen kann (wie die Antike glaubte)? So sind eben auch wissenschaftliche Gegenstandsdefinitionen offenbar kulturellen Moden unterworfen – was Wissenschaftler naturgemäß nicht gerne hören und in dem Band auch kaum thematisieren.
Eine der durchaus ernsthaften Kontroversen kreist um die Rolle körperlicher Reaktionen als Indizien für bestimmte Emotionen: Herzklopfen bei Stress, Atemnot bei Angst, Würgen bei Ekel – oft eine Frage von Henne oder Ei: Was kommt zuerst? Rufen Ängste die Körperreaktionen hervor oder sind Gefühle selber einfach Erregungszustände, denen wir, je nach Deutung der Situation, bestimmte Begriffe zuordnen, die der kulturelle Erfahrungsschatz für solche Erlebnistypen bereitstellt? Ob eine emotionale Reaktion angemessen – oder zum Beispiel übertrieben - ist, deuten und beurteilen wir aufgrund eines kulturellen Konsens'. Die Entstehung und unaufhörliche Neuverhandlung dieser Begriffe, zum Beispiel emotionaler Moden und ihrer jeweiligen kulturellen Gründe fehlt leider in dieser ansonsten repräsentativen Sammlung der neusten Diskussion zum Thema Gefühle.
Für Leser, denen manche Autoren allzu detailliert, pedantisch oder kompliziert argumentieren, hat die Herausgeberin jedes der Themenkapitel am Anfang noch einmal als kurzen Überblick zusammengefasst und die Positionen gestrafft, gekürzt und pointiert auf den Horizont des gebildeten, aber nicht vorgebildeten Lesers zugeschnitten.
Besprochen von Eike Gebhardt
Sabine A. Döring, Philosophie der Gefühle,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. , 2009, 588 Seiten, 18 Euro
Gefühle – das waren doch jene Impulse, die aus dem Bauch (oder auch mal von Herzen) kamen. Mit dem kühl kalkulierenden Verstand hatten sie angeblich nichts zu tun. Noch heute kann jeder – zum Beispiel gegen die Zumutung, vernünftig zu handeln – sich auf die Gefühle berufen, die angeblich ohnehin viel tiefer und näher am Kern unserer Persönlichkeit liegen. Wie Kopf und Bauch, Verstand und Gefühl einander bedingen, ist neuerdings ein Modethema in gleich mehreren Forschungszweigen, der Psychologie und den Hirnwissenschaften, aber auch der Philosophie, die Gefühle lange als Störfaktoren für klares Denken verbannen wollte.
Eigentlich aber geht es hier gar nicht um Gefühle, sondern um Emotionen. Zwar unterscheidet weder der Volksmund noch der Bildungsbürger diese beiden, wohl aber die um Begriffsschärfe bemühte Wissenschaft. Dort herrscht – mehr oder minder – der Konsens, Emotionen hätten ein Objekt, als Auslöser oder auch als Handlungsziel, während bloße Gefühle, zum Beispiel Stimmungen, oft grund- und ziellos erlebt werden, sozusagen nur Befindlichkeiten sind. Allgemeine Angstzustände oder Depressionen können, müssen aber keine Auslöser haben, sowenig wie der rheinländische Frohsinn oder die abgeklärte Melancholie. Wut, Zorn, Liebe usw. seien hingegen "gerichtete" Gefühle, sie "repräsentieren" etwas, wie es im Fachjargon heißt: Das sind dann die Emotionen.
Doch da fangen schon die Kontroversen an. Zielt Liebe auf ein Objekt (wie wir glauben) oder ist eine allgemeine Stimmung, ein zunächst zielloser Gefühls- oder Geisteszustand, der sich dann jedes beliebige Objekt wählen kann (wie die Antike glaubte)? So sind eben auch wissenschaftliche Gegenstandsdefinitionen offenbar kulturellen Moden unterworfen – was Wissenschaftler naturgemäß nicht gerne hören und in dem Band auch kaum thematisieren.
Eine der durchaus ernsthaften Kontroversen kreist um die Rolle körperlicher Reaktionen als Indizien für bestimmte Emotionen: Herzklopfen bei Stress, Atemnot bei Angst, Würgen bei Ekel – oft eine Frage von Henne oder Ei: Was kommt zuerst? Rufen Ängste die Körperreaktionen hervor oder sind Gefühle selber einfach Erregungszustände, denen wir, je nach Deutung der Situation, bestimmte Begriffe zuordnen, die der kulturelle Erfahrungsschatz für solche Erlebnistypen bereitstellt? Ob eine emotionale Reaktion angemessen – oder zum Beispiel übertrieben - ist, deuten und beurteilen wir aufgrund eines kulturellen Konsens'. Die Entstehung und unaufhörliche Neuverhandlung dieser Begriffe, zum Beispiel emotionaler Moden und ihrer jeweiligen kulturellen Gründe fehlt leider in dieser ansonsten repräsentativen Sammlung der neusten Diskussion zum Thema Gefühle.
Für Leser, denen manche Autoren allzu detailliert, pedantisch oder kompliziert argumentieren, hat die Herausgeberin jedes der Themenkapitel am Anfang noch einmal als kurzen Überblick zusammengefasst und die Positionen gestrafft, gekürzt und pointiert auf den Horizont des gebildeten, aber nicht vorgebildeten Lesers zugeschnitten.
Besprochen von Eike Gebhardt
Sabine A. Döring, Philosophie der Gefühle,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. , 2009, 588 Seiten, 18 Euro