Emanzipation im preußischen Sand

29.10.2012
Erneut widmet sich Günther de Bruyn der preußischen Geschichte. In seinem Buch "Gräfin Elisa. Eine Lebens- und Liebesgeschichte" erzählt er das kontroverse Leben von Elisabeth von Ahlefeldt-Laurvig: Geliebte, Ehefrau und politische Aktivistin.
Günter de Bruyn, der stille, die Ausweglosigkeiten der DDR auslotende bürgerliche Individualist, hat sich nach 1989 der preußischen Geschichte zugewendet – eine zeitgeschichtlich hochinteressante Volte. Neben großen Überblicksbüchern wie "Als Poesie gut" und "Die Zeit der schweren Not" entstanden auch, wie en passant, kleinere Studien, und zu diesen gehört nun auch "Gräfin Elisa". Doch die Vorstellung einer "kleineren Studie" täuscht darüber hinweg, dass hier der Zugriff eines genuinen Erzählers waltet und unter der Hand eine nüchterne, gelassen vorgetragene, aber nichtsdestoweniger fast kostbar zu nennende Prosa entsteht. Im Vergleich zu Königin Luise, Preußens als fragil und bezaubernd tradierte Herrscherin und Titelgestalt von de Bruyns letztem Buch, wirkt seine neue Heldin fast provozierend. Es ist eine Dänin, und ihr Leben erscheint wie ein frühbürgerliches Fanal.

Elisabeth von Ahlefeldt-Laurvig wurde 1782 geboren, und über ihr Leben wissen wir nicht viel – nur die Schatten, die Erzählungen von Männern auf sie warfen. Diese Schatten lassen allerdings etwas erahnen, und de Bruyn umkreist dieses Etwas elegant und in immer enger werdenden Zirkelschwüngen.

Der Legenden sind viele: als 16-Jährige soll sie einen Knaben geboren haben, der später unter dem Namen Hans Christian Andersen berühmt wurde, ein Jahr später soll sie auch mit dem späteren dänischen König Christian unehelich eine Tochter gezeugt haben. Geheirat aber hat sie 1810, als immerhin 28-Jährige, den preußischen Kriegshelden Adolph von Lützow, der "Lützows verwegener Jagd" den Titel gab. In den Befreiungskriegen engagierte sie sich vehement für die preußische Sache, nicht ohne währenddessen eine Liaison mit dem Leutnant Friedrich Friesen ins Auge zu fassen, bevor sie ihrem Ehemann ins biedere Münster folgte. Dort wurde Karl Immermann, der acht Jahre jünger war und ein zeittypischer Dichter, ihr Geliebter, er bildete dann auch der Anlass zu ihrer Scheidung von Lützow. Mit Immermann lebte sie ohne Trauschein zusammen, bis sie nach der Trennung und nach einer längeren Italienreise mit ihrer Freundin Johanna Dieffenbach einen Salon in Berlin führte.

Günter de Bruyn beschreibt aus den wenigen Quellen, die es gibt, das Leben dieser Frau, die als eine frühe Emanzipierte gelten kann, ein Beispiel für die Möglichkeiten eines liberalen, künstlerisch aufgeschlossenen Bürgertums im preußischen Sand-, Kartoffel- und Exerzierstaatswesen. Als Gräfin Elisa 1855 starb, sprach schon einer der Nachrufe vom Geheimnis, das um diese gebildete und unabhängige Frau entstanden war: man hoffte, in deren schriftlichem Nachlass die Lösung der "Räthsel" des "bewegten Lebens" dieser offenkundig sehr temperamentvollen Protagonistin zu finden. de Bruyn sieht sich allerdings gezwungen, auf die Biografien der etwas bekannteren Herren zurückzugreifen, die sich im Umfeld Gräfin Elisas bewegten, und schließt mit biografischen Skizzen von Frauen aus der Zeit Elisas. So rundet sich das Buch zu einer aufschlussreichen kulturgeschichtlichen Darstellung.

Besprochen von Helmut Böttiger

Günter de Bruyn: Gräfin Elisa. Eine Lebens- und Liebesgeschichte
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main
191 Seiten, 16,99 Euro

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