Emanzipation

Frauen im Aufbruch

Undatierte Aufnahme der deutschen Schriftstellerin Else Lasker-Schüler (1869-1945).
Die deutsche Schriftstellerin Else Lasker-Schüler war auch für die Frauenbewegung bedeutend. © dpa / picture alliance / Bifab
Von Edelgard Abenstein · 09.04.2014
Vor 100 Jahren gewannen die Frauen im Deutschen Reich an Einfluss und wurden allmählich zu einem wichtigen Teil des öffentlichen Lebens. Die Autorin Barbara Beuys beschreibt den Ausbruch aus dem alten Geschlechtermodell.
Über die Epoche der ersten deutschen Frauenbewegung ist eigentlich alles gesagt. Denkt man. Der Kampf um Bildung und das allgemeine Wahlrecht, um sexuelle Freiheit und eigene Lebensentwürfe - in zahllosen historischen Studien und Einzelbiografien wurden Aktionen nachgezeichnet, in denen Frauen zum Sturm gegen ihre Ausgrenzung bliesen, an Universitäten und im Literaturbetrieb, auf dem Kunstmarkt, an Werkbänken und im Parlament.
Die Historikerin Barbara Beuys rollt einmal mehr die Stationen jenes Kampfes um Fortschritt und Freiheit auf, vom Revolutionsjahr 1848 an, das Frauen noch ausdrücklich von den Grundrechten ausschloss, worauf diese geschickt das Verbot politischer Teilhabe unterliefen, indem sie ihre eigenen Clubs gründeten, Vereine, Zeitschriften, Gymnasialkurse und solche für künftige Krankenschwestern oder Künstlerinnen.
Neben dieser Parallelgesellschaft erzählt sie davon, wie es um die letzte Jahrhundertwende zu den großen Erfolgen in Sachen Bildung und Arbeit kam, wie der technische Fortschritt, Schreibmaschine und Telefon, neue Berufe kreierte, die unfreiwillig auf weibliche Fähigkeiten zugeschnitten waren, wie an deutschen Universitäten (1908) endlich Studentinnen zugelassen wurden und wie das Kino, lange bevor es in den 1920er-Jahren ein Massenmedium wurde, unter der Hand mit der Galionsfigur Asta Nielsen einen selbstbewussten Frauentypus erfand.
Frauenbewegung als gesamtgesellschaftlicher Motor
Neu an ihrem Buch sind nicht die Quellen; die Autorin stützt sich auf bekanntes Material, Tagebücher, Briefe, Autobiografien sowie die gängige Sekundärliteratur. Neu ist, dass die Autorin die Geschichte der Frauenbewegung als gesamtgesellschaftlichen Motor begreift, indem sie diese Schritt für Schritt der historischen Entwicklung einschreibt.
Dabei beleuchtet Beuys die Lebensläufe von mehr als zwei Dutzend Vorkämpferinnen der Frauenbewegung, die auf vollkommen verschiedenen Terrains tätig waren. Frauen, die im Fischer-Verlag lange vor Thomas Mann die ersten Bestseller schrieben wie Gabriele Reuter, Frauen, die malten oder die sich in der Wissenschaft einen Namen gemacht haben, Fürsorgerinnen, Ärztinnen, Journalistinnen.
Da sind allseits bekannte darunter wie Paul Modersohn-Becker oder Else Lasker-Schüler, aber auch solche, die in Vergessenheit gerieten. Zum Beispiel die arrivierte Malerin Hermione von Preuschen, die sich in der männlichen Kunstwelt durchgesetzt hatte, deren Bilder im Kaiserhaus hingen – eine Frau, die immer wieder öffentlich erklärte, das "Genie sei so frei, sich nicht ans Geschlecht zu kehren"; oder die Jüdin Henriette Fürth, die als Mutter von acht Kindern mit ihren Artikeln über Sexualaufklärung wesentlich zum Familieneinkommen beitrug. Oder die erste Frau, die ab 1901 an der Bonner Universität Medizin studierte und sich ihre Tätigkeit als Ärztin in Berlin von ihrem Ehemann per notariell beglaubigtem Vertrag zusichern ließ.
Ganz nebenbei räumt Beuys in ihrem unterhaltsam und spannend geschriebenen Buch auch mit einem Vorurteil auf, das besagt, der Erste Weltkrieg hätte die Emanzipation angeschoben, weil er mehr Frauen in Männerberufe gebracht habe. Nein, die Zahl der lohnabhängigen Arbeiterinnen ging rapide zurück. Frauen drängten nicht in die Kriegswirtschaft.
Barbara Beuys: Die neuen Frauen. Revolution im Kaiserreich
Hanser, München 2014
384 Seiten, 24,90 Euro