Emanzipation als "Modetrend"

Der Feminismus frisst seine Töchter

Zwei Mitarbeiterinnen von Madame Tussauds machen am 20.8.2014 bei einem Fototermin im Londoner Regent's Park ein Selfie mit der Wachsfigur der US-Sängerin Beyoncé.
Selfie mit Beyoncé-Wachsfigur: Die US-Sängerin gilt als neue feministische Symbolfigur. © picture-alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga
Überlegungen von Heike-Melba Fendel · 09.10.2018
Der Feminismus hat sein intellektuelles Image abgelegt und ist nun Teil der Popkultur. Selbst Modemarken werben damit. Gleichzeitig zeichnen junge Influencerinnen im Netz ein ganz anderes Frauenbild – mit Schmink-, Mode- und Backtipps.
Der Feminismus ist allgegenwärtig: Frauenquoten werden gefordert und eingeführt, Frauennetzwerke gegründet, Ladies-Lunches und G20 Frauengipfel abgehalten und den Slogan "The Future is Female" stellt "frau" auf T-Shirts und Designer-Handtaschen zur Schau. Und wo weibliche Prominente vor einigen Jahren eher zögerlich für Gleichberechtigung warben – "Ich bin zwar keine Feministin aber…" – so heißt es heute: "Natürlich bin ich Feministin. Sie etwa nicht?"
Als Angela Merkel auf eben jenem G20 Gipfel die Frage, ob auch sie Feministin sei, zögerlich im Einerseits-anderseits-Modus beantwortete, waren Empörung und Belustigung entsprechend groß. Zumal alle weiteren Frauen auf ihrem Podium, von Präsidententochter Ivanka Trump bis IWF-Chefin Christine Lagarde sich eindeutig bekannten.

Queer-, Pop- und Netzfeminismus

Wie jede stabile Marke hat sich auch der Feminismus ausdifferenziert: Es gibt, um nur einige zu nennen, ökologische und spirituelle Strömungen, Queer-, Pop- und Netzfeminismus, oder die HeForShe-Bewegung, in der Männer sich zu Feministen erklären.
Auch seine natürlichen Feinde sind ausgemacht: Erfolgstypen, die ihr angestammtes Weideland nicht von Quoten-Frauen abgrasen lassen wollen, Versager, die Karrieristinnen den Erfolg neiden, und natürlich die vielen mansplainenden, alten weißen Säcke, die alles besser wissen und nix besser machen.

Bei Insta geht es anders zu

Während sich Feministinnen jedweder Couleur so lustvoll wie öffentlich an diesen männlichen Auslaufmodellen abarbeiten, verlieren sie jedoch anscheinend die eigenen Töchter aus den Augen. Bei "Insta" etwa, wie junge Frauen ihr Lieblingsmedium Instagram nennen, gelten derweil nämlich ganz andere Spielregeln. Da wird millionenfach abonnierten Influencerinnen nachgeeifert, die zeigen, wie eine Frau zu sein hat: schlank, langbeinig, langwimprig, die Taille schmal, die Haare glänzend. Wo die reale Optik das nicht hergibt, steht für jeden Effekt ein passender Filter bereit.
Entscheidend für den Erfolg, also die Anzahl der Likes, ist das mühsamst inszenierte und bearbeitete Bild als beiläufigen Schnappschuss erscheinen zu lassen. Wer hat da bei all dem Aufwand noch Zeit, sich zu fragen, warum dieser Look – die lasziv-kindlichen Posen und der mal kesse, mal verhangene Blick – konsequent entlang erotischen Männerfantasien ausgerichtet sind?

Schmink, Hochzeits- und Mamablogs

Diese feminismusabgewandten Erfolgsfaktoren gelten auch für YouTuberinnen. Wer hier, als einige von wenigen Frauen, erfolgreich sein will, muss, wie das Fitness-Idol Pamela Reif den "10 minutes bootyburn" oder ansonsten eben Schmink- und Backtipps hochladen. In der Blogosphäre stehen Hochzeits- und Mamablogs äußerst hoch im Kurs und runden die scheinbar so kollektive wie freiwillige Regression der nächsten Frauen-Generation in die Rollenbilder der 50er-Jahre ab.
Und nun? Sollen wir abwarten, bis die sogenannten "jungen Dinger" zur feministischen Vernunft kommen, wenn sie mal richtige Probleme kennenlernen, Stichwort gläserne Decke? Oder sollten wir uns nicht doch mal ernsthaft damit befassen, was es etwa mit der Begeisterung für Kylie Jenners neuen Lippenstift so auf sich hat. Denn wer weiß, vielleicht ist die 21jährige Selfmade-Milliardärin ja auch Feministin…

Heike-Melba Fendel ist eine deutsche Künstler/PR-Agentin und Inhaberin der Agentur Barbarella Entertainment. Sie arbeitet außerdem als Journalistin und Buchautorin. Fendel gehört zum Autorinnenkollektiv der Kolumne 10 nach 8 – politisch, poetisch, polemisch auf zeit.de. Darüber hinaus veröffentlicht sie Beiträge in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung", der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", im Berliner "Tagesspiegel" sowie durchgängig bei epd film. 2009 erschien ihr aus 99 Geschichten bestehender Roman "nur die" bei Hoffmann und Campe. Ihr zweiter Roman "Zehn Tage im Februar" (2017) spielt vor dem Hintergrund der Berlinale.

Die Autorin Heike Melba-Fendel
© Markus Nass
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