EM-Tagebuch (5)

Ungarn und Island mit Ausrufezeichen

Der ungarische Nationalspieler Zoltan Stieber feiert nach seinem Tor zum 2:0 gegen Österreich bei der Fußball-EM 2016 im Stade de Bordeaux.
Zoltan Stieber feiert im Stade de Bordeaux nach seinem Tor zum 2:0 gegen Österreich. © picture alliance / dpa / Caroline Blumberg
Von Thomas Wheeler · 15.06.2016
Die Außenseiter haben zum Auftakt der Gruppe F überrascht. Ungarn besiegte die höher gehandelten Österreicher 2:0, und die Isländer knöpften Portugal beim 1:1 einen Punkt ab.
Grosics - Bozsik - Hidegkuti - Puskás. Einst waren sie Ungarns Fußballhelden. Auch wenn sie den Weltmeistertitel 1954 bekanntlich nicht gewonnen haben. Aber das ist schon lange, lange her. 30 Jahre hatte sich das Land seit der WM 1986 von internationalen Turnieren verabschiedet. Und da diese Sportart anders als jede andere auch gern von der Politik instrumentalisiert wird, hat der in Westeuropa umstrittene Ministerpräsident Viktor Orban seit der Regierungsübernahme 2010 den Fußball für seine Zwecke benutzt. Mit einem staatlichen Bauprogramm sollen bis 2020 32 neue Stadien entstehen. Das riecht nach einer Bewerbung für eine EM. Vetternwirtschaft und Korruption sollen bei dem Projekt allerdings auch im Spiel sein. Die Qualifikation für die Spiele in Frankreich wurde zurecht als Riesenerfolg gefeiert.
Umso mehr werden die Spieler der aktuellen Nationalmannschaft die erfolgreiche Rückkehr auf die große Bühne genossen haben. Denn mit Österreich hatten sie nicht nur einen hochgehandelten Gegner, sondern auch einen Kontrahenten mit einer gemeinsamen politischen Geschichte. K u. k ließen grüßen. Es war aber auch ein Bundesliga-Klassentreffern, denn in beiden Mannschaften spielen jede Menge Profis, die ihr Geld bei deutschen Klubs verdienen. Einer, der Österreicher David Alaba vom FC Bayern, traf bereits nach 32 Sekunden den Pfosten. Alle dachten nun, das Team Austria würde die Ungarn beherrschen. Aber deren Torhüter Gabor Kiraly, seit gestern mit 40 Jahren der älteste EM-Spieler aller Zeiten, bekam gar nicht soviel auf sein Tor, und wenn, war der Mann mit der grauen Jogginghose auf dem Posten. Da sich auch seine Kollegen keinesfalls versteckten, entwickelte sich in Bordeaux ein recht munteres Spielchen. Was vor allem am Bremer Laszlo Kleinheisler lag, der seine Kollegen auf Links immer wieder mitriss.
In der 43. Minute wäre es dann fast soweit gewesen, aber Balazs Dzsudzsak, an dem auch schon die Berliner Hertha interessiert war, schoss knapp daneben. Die Mannschaft des deutschen Übungsleiters Bernd Storck wirkte nun zielstrebiger. Ihr Selbstbewusstsein wurde immer größer, als Adam Szalai von Hannover 96 nach Vorarbeit von Kleinheisler nach einer guten Stunde das 1:0 erzielte. Als kurz danach der Österreicher Aleksandar Dragovic mit Gelb-Rot ´runter musste, spielte das den Erben von Ferenc Puskás in die Karten. Sie zogen sich nun zurück und konterten. Während sie die ersten Gelegenheiten noch vergaben, machte es der Nürnberger Zoltan Stieber besser und sorgte in der 87. Minute mit einem herrlicher Lupfer für die Entscheidung. Das 2:0 war der erste ungarische Sieg bei einer EM-Endrunde seit 52 Jahren.

Kampfstärke düpiert Künstler

Was war nicht alles Abgedroschene über die Isländer zu lesen und zu hören. "Die Wikinger kommen. Island mit 330.000 Einwohnern so groß wie Bielefeld. Die Insel der Vulkane und Geysire."
Betrachten wir es mal sportlich. Die Stärken der Handballer waren bereits länger bekannt. 2008 holten sie olympisches Silber. Die Basketballer spielten im letzten Jahr erstmals bei einer Europameisterschaft mit. Nun erleben auch die Fußballer ihre EM-Premiere. Warum sorgen die Isländer in diesen Mannschaftssportarten für Aufsehen? Vor allem, weil isländische Kinder und Jugendliche in der Regel in einem Verein bleiben, bis sie in die erste Mannschaft kommen. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.
In der Heimat des französischen Rekordmeisters St. Étienne, hatten die Nordeuropäer gegen Portugal den besseren Start. Bereits in der dritten hätten sie durch Gylfi Sigurdsson in Führung gehen können. Nach einer Viertelstunde aber wurden die Südeuropäer stärker. Vor allem über die rechte Seite liefen viele Angriffe. Ein Aktivposten war dabei der Wolfsburger Vierinha. Nani war es dann, der nach einer schönen Kombination mit Gomes die Feldüberlegenheit nach einer halben Stunde in Zählbares ummünzte. Danach hätten die Portugiesen nachlegen können, aber es blieb beim knappen Vorsprung bis zur Pause. Auch in der zweiten Hälfte ergriffen sie sofort die Initiative, wurden aber kalt erwischt. Vierinha, bis dahin einer der Besten, verlor nach einer Gudmundsson-Flanke Birkir Bjarnason aus den Augen und der bedankte sich mit dem 1:1 in der 50. Minute. Das zeigte Wirkung. Ronaldo und Co brauchten einige Zeit, um sich davon zu erholen. Erst nach 70 Minuten fanden sie wieder zurück ins Spiel und hatten noch ein paar sehr gute Möglichkeiten. Dass sie diese nicht nutzten, hätte sich fast gerächt. Kurz vor Schluss hatte der Augsburger Alfred Finnbogasson die Siegchance, zog aus 12 Metern ab, scheiterte aber am portugiesischen Torhüter Rui Patricio. Das Unentschieden war trotzdem ein großer Erfolg für die Isländer, die in der Qualifikation bereits zweimal die Niederlande besiegt hatten.
Torschütze Birkir Bjarnason freut sich Stade Geoffroy Guichard in Saint-Etienne mit den Isländern nach dem Spiel über das 1:1 gegen Portugal bei der Fußball-EM.
Torschütze Birkir Bjarnason freut sich nach dem Spiel über das 1:1 gegen Portugal.© picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Zwischentöne
Jetzt haben wir alle 24 Mannschaften einmal gesehen. War insgesamt recht ordentlich. Allerdings auch viel taktisches Geplänkel. Unerwartet stark die Italiener. Gut, aber noch mit Luft nach oben, Spanien, der Weltmeister, die Gastgeber und England. Positive Überraschungen: Wales, Irland, Ungarn und Island. Enttäuschend: Belgier, Russen und Schweden.

Der zweite Spieltag beginnt

Die Gruppe A eröffnet wieder und zwar mit den Spielen Rumänien - Schweiz und Frankreich - Albanien. Außerdem trifft die Slowakei auf Russland in Lille. Sollten russische Hooligans dort erneut ausrasten, will die UEFA deren Mannschaft vom Turnier ausschließen. Das hat die Europäische Fußball-Union zumindest heute angekündigt. Für mich ist das mit zweierlei Maß messen. Denn nach den Ausschreitungen vom letzten Wochenende in Marseille müssten dann auch die Engländer im Wiederholungsfall nach Hause fliegen.
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