EM-Tagebuch (24)

CR7 oder AG7?

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Wer holt den Titel: Ronaldo oder Griezmann? © picture alliance / dpa / Lavandeira Jr - Kiko Huesca
Von Thomas Wheeler · 10.07.2016
Es könnte das Turnier eines 7ers werden. Diese Rückennummer tragen Cristiano Ronaldo und Antoine Griezmann. Wer holt den Pokal: der Portugiese oder der Franzose?
Meine EURO-Reisen nach Frankreich sind schön gewesen. Insgesamt fünf Tage in Toulouse, Paris, Lyon und Marseille, die ich nie vergessen werde. Stimmungsvolle und friedliche Fans. Hochklassige und packende Spiele. Das hat Spaß gemacht. Wieder zu Hause freue ich mich nun auf das Finale ab 21 Uhr in Paris.

Ronaldo gegen Griezmann?

Die 7 hat Cristiano Ronaldo wie fast alles an sich vermarket. Kommt auch Antoine Griezmann auf den Trichter wenn er Europameister wird? Wahrscheinlich nicht, dafür ist der 25-Jährige trotz aller zur Schau getragenen Eitelkeit - zuweilen ein streng gegelter Seitenscheitel und ein Schnurrbart, dann doch nicht der Typ. Ein auf den ersten Blick angenehmer und zurückhaltender Zeitgenosse, der weiß was er kann, darum aber keinen Zirkus macht. Anders als viele seiner Landsleute die den gesamten Auftritt der Équipe Tricolore bei dieser Europameisterschaft schnell auf die Griezmann-Show reduzieren. Was im Zeitalter der medialen Personalisierung und Vereinfachung jedoch kein Wunder ist.

Frankreich ist nicht nur Griezmann

Torhüter Hugo Lloris hat in jedem Spiel seinen besonderen Wert für die Mannschaft mit starken Reflexen und Paraden bestätigt. Die Vierer-Abwehrkette hat Übungsleiter Didier Deschamps nach der Gelbsperre für Innenverteidiger Adil Rami im Viertelfinale umstellen müssen. Für ihn ist gegen Island der erst 22-Jährige Samuel Umtiti, für mich der herrlichste Name dieser EM neben dem Isländer Sigthórsson, zu seinem Länderspiel-Debüt gekommen. Und das hat er in den Augen von Deschamps offenbar so gut gemacht, dass er im Halbfinale gegen Deutschland erneut auf dem Platz gestanden hat. Das erfahrene Defensiv-Trio mit den Außenstützen Bacary Sagna und Patrice Evra, sowie der Innensäule Laurent Koscielny hat Umtiti wie einen Sohn in seine Reihe mit aufgenommen. Von den beiden Achtern Blaise Matuidi und Paul Pogba ist Matuidi für mich bislang der Auffälligere. Pogba, von dem Viele gedacht haben, er könne der Spieler dieser EURO werden, auch ich übrigens, hat es bisher an Beständigkeit vermissen lassen. Zuletzt gibt es allerdings eine leichte Tendenz nach oben. Vielleicht ja auch deshalb, weil er um die besondere Verbindung von Les Bleus mit seinem Noch-Arbeitgeber Juventus Turin weiß.

Die Geschichte mit Juve und den Franzosen

Michel Platini beim ersten Europameisterschaftstriumpf 1984. Zinedine Zidane beim ersten Weltmeistertitel 1998. Beide Male spielten die Dirigenten der französischen Nationalmannschaft beim italienischen Rekordmeister. Das könnte auch bei einem möglichen dritten Titelgewinn vor heimischer Kulisse so sein. Ja wenn Paul Pogba im Endspiel nur ein einziges Mal das Niveau erreicht, dass er bereits desöfteren für Juve gezeigt hat. Die Erfolgsgeschichte der Grande Nation bei Turnieren zu Hause ist eben auch eine Geschichte der Alten Dame. Nach der 15. Europameisterschaft könnte sie um ein weiteres Kapitel reicher sein. Einfach nur eine schöne Randgeschichte oder Schicksal?

Vorne sind die Blauen vielseitig

Auf den Flügeln sind die Eindrücke sehr unterschiedlich. Der Kompaktere, nicht unbedingt Komplettere, ist Moussa Sissoko über Rechts. Über die linke Seite kommt Dimitri Payet. Der Torgefährlichere, dafür aber nachlässiger in der Rückwärtsbewegung. Der Mann mit der sehenswerten Schusstechnik der beim europäischen Championat bereits dreimal getroffen hat. Genauso wie die Spitze Olivier Giroud. Seine Spezialität: das Kopfballspiel - stark wie ein Schuss. Noch erfolgreicher ist nur noch sein Kollege im Sturm. Der eingangs hinlänglich gewürdigte Antoine Griezmann. Mit sechs Treffern ist er auf dem besten Weg erfolgreichster Torschütze des Heimturniers zu werden.

Ronaldo könnte noch gleichziehen

Was bei drei Toren allerdings unwahrscheinlich ist. Eher wird Cristiano mit den Portugiesen heute Abend erstmals Europameister. Der EM-Finalist von 2004 ist in seiner Spielweise variabler als die Franzosen. Er ist auf allen Positionen mit extrem ballsicheren Akteuren besetzt. Keiner ist bei dieser Europameisterschaft besser aufgestellt. Das gilt auch für die meist sichere Verteidigung um den 33-Jährigen Abwehrchef Pepe. An seiner Seite der ebenfalls erfahrene José Fonte und auf den Außenpositionen die deutlich Jüngeren Cedric Ricardo sowie Raphael Guerreiro. Dieses Schloss haben in den K.O.-Spielen bislang nur einmal die Polen geknackt. Bereits dreimal hat Po-Po-Portugal bei dieser EM zu Null gespielt. Dazu kommt das Aufgebot von Fernando Santos agiert mit einem gewissen Zynismus. Nach dem Motto: "Lass` doch mal den Gegner kommen und zeigen, was er drauf hat. Wir werden schon eine Antwort finden." Zwar steht momentan keine Goldene Generation auf dem Platz, wie einst mit Figo, Pinto, Sousa, Gomes, um nur einige zu nennen, aber der aktuelle Jahrgang ist heiß endlich einen großen Titel zu gewinnen. Was in mehreren Anläufen nicht gelungen ist, soll nun vollendet werden, und die Chancen dafür stehen gut. Denn mit Fernando Santos haben sie einen Trainer, der getreu dem portugiesischen Sprichwort "Wer keinen Hund hat, muss mit der Katze auf die Jagd gehen", das Optimale aus seinen Profis herausgeholt hat. Aber erst mit der Krönung von Paris würde Portugal wirklich zu den ganz Großen des europäischen Fußballs gehören.