Else Weil – jüdische Ärzin, Literaturvorlage und erste Ehefrau von Kurt Tucholsky
Lange lag ihre Geschichte im Dunkeln, nicht einmal ein Foto war auffindbar – denn der Holocaust hat ihre Spuren verwischt. Aus Anlass des 75. Todestags ihres berühmten Ehemanns Kurt Tucholsky am 21. Dezember 2010 widmet sich nun eine Ausstellung im Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg dem Leben Else Weils.
„Was haben wir gemacht? Wir haben einer Frau, die vor ein paar Jahren nur noch ein Schatten gewesen war, wieder ein Gesicht und wieder eine Gestalt gegeben. Selbstverständlich haben wir das stellvertretend für die Millionen anderen Opfer des Völkermords, des Holocaust getan. Aber für unser Museum war eben diese Else Weil wichtig, weil sie die Claire des Rheinsberg-Büchleins war und später Tucholskys erste Ehefrau.“
Dicht gedrängt stehen die zahlreichen Besucher zwischen Vitrinen und Ausstellungstafeln in den engen Räumen des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums im Schloss Rheinsberg. Die Ausstellung über Else Weil, die der Museumsdirektor Peter Böthig hier präsentiert, ist für die Tucholsky-Forschung eine kleine Sensation. Ermöglicht hat sie ein Zufall, sagt Kuratorin Alexandra Brach:
„Der erste Ansatzpunkt von Else Weil war ein Eintrag in unserem Gästebuch von 1997. Dort hat eine Gabriele Weil einen Gruß hinterlassen ... und dass sie die Nichte von Else Weil gewesen wäre ...“
Seither steht das Tucholsky-Literaturmuseum mit der heute 80-Jährigen in Kontakt. Bei ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten nach London konnte Gabriele Weil wichtige Dokumente zur Familiengeschichte retten: Fotos, Zeugnisse, amtliche Papiere und Briefe, die nun ausgestellt sind. Ergänzt durch die akribischen Recherchen von Alexandra Brach und Sunhild Pflug in mehr als 25 Archiven weltweit entsteht vor dem Besucher das differenzierte Bild einer sogenannten Neuen Frau – geistig und materiell unabhängig, emanzipiert und offen.
Brach: „Else Weil wird beschreiben als nicht hübsch, aber anziehend. Insbesondere ihre Hände sollen sehr weiblich und erotisch gewesen sein.“
Pflug: „Sie muss doch eine sehr bezaubernde, reizende Frau gewesen sein, sehr klug, sehr humorvoll und das trifft sich wohl auch mit dem Temperament von Tucholsky.“
Brach: „Gerade in der Wilhelminischen Zeit, in der alles noch recht streng war, war Else Weil sehr selbstbewusst. Sie war eine der ersten Medizinstudentinnen in Preußen und auch eine von 90 Frauen, die 1917 ihre Approbation bekamen.“
Else Weil arbeitete als Ärztin unter anderem in der Geburtsabteilung der Berliner Charité und betrieb in ihrer Wohnung eine Praxis. Die ausgestellten Dokumente attestieren ihr großes medizinisches Wissen. Und sie beleuchten Else Weils Leben ganz unabhängig von Kurt Tucholsky, der sich bereits 1924 wieder von ihr scheiden ließ.
Böthig: „Wenn man sich vorstellt, dass sie aus einem jüdischen Elternhaus kam, wo noch in der Eltern- und Großelterngeneration Verwandten-Ehen und angebahnte Ehen üblich waren, hat sie sich enorme Rechte herausgenommen – auf Freizügigkeit, auf Selbstbestimmtheit, eigenes Leben ...“
Besonders gut belegt sind die jüdischen Wurzeln der Familie Weil. Als echte Rarität etwa gilt der Bürgerbrief der Stadt Prenzlau für Salomon Reis Krautheim aus dem Jahr 1824, den Urgroßvater Else Weils.
Brach: „Also auf ihrer Geburtsurkunde ist in der Spalte ‚Religion‘ „mosaisch“ vermerkt, das heißt, sie war jüdisch, allerdings kurz vor der Hochzeit mit Kurt Tucholsky 1920 ist ein Dokument erhalten, in dem Else Weil beim Gericht anfragt, über die Formalitäten aus dem Judentum auszutreten. Also Else Weil war sicherlich Jüdin, aber sie hat diesen Glauben nicht so intensiv gelebt.“
Als die Nationalsozialisten an die Macht gelangen, wird ihr die Zuschreibung als „Jüdin“ zum Verhängnis. Else Weil verliert ihre Approbation und darf nicht mehr praktizieren. 1938 flieht sie über Holland nach Paris, später nach Südfrankreich. Bewegende Briefe an ihren Bruder und Deportationslisten geben Aufschluss über ihr Ende im Spätsommer 1942:
Pflug: „Wir wissen von der einen Seite, dass sie wohl hätte fliehen können in die USA, dass die Papiere da waren, von der anderen Seite wissen wir, dass sie sich um ihren kranken Freund Friedrich Epstein gekümmert hat. ...Und sie war nun mal Ärztin und sie hat den Hippokratischen Eid, glaube ich, sehr ernst genommen. Dass sie eben deshalb geblieben ist und ihren Freund nicht im Stich gelassen hat.“
Böthig: „Wir haben die Liste. Wir wissen, dass sie am 2. September nach Drancy kam und am 9. September nach Auschwitz transportiert wurde. Wir wissen, dass diese Liste 1017 Menschen umfasst hat, unter denen über 100 Kinder waren. Dass dieser Transport am 11. September 1942 in Auschwitz ankam, dort einer Selektion unterzogen wurde, wie alle diese Transporte und vermutlich alle sofort umgekommen sind.“
Service:
Else Weil – Fragmente eines deutsch-jüdischen Lebensweges
Ausstellung vom 13. November 2010 bis 13. Februar 2011
Kurt-Tucholsky-Museum, Rheinsberg
Dienstag bis Sonntag 10:00 – 16:30 Uhr
an den Weihnachtsfeiertagen veränderte Öffnungszeiten
Dicht gedrängt stehen die zahlreichen Besucher zwischen Vitrinen und Ausstellungstafeln in den engen Räumen des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums im Schloss Rheinsberg. Die Ausstellung über Else Weil, die der Museumsdirektor Peter Böthig hier präsentiert, ist für die Tucholsky-Forschung eine kleine Sensation. Ermöglicht hat sie ein Zufall, sagt Kuratorin Alexandra Brach:
„Der erste Ansatzpunkt von Else Weil war ein Eintrag in unserem Gästebuch von 1997. Dort hat eine Gabriele Weil einen Gruß hinterlassen ... und dass sie die Nichte von Else Weil gewesen wäre ...“
Seither steht das Tucholsky-Literaturmuseum mit der heute 80-Jährigen in Kontakt. Bei ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten nach London konnte Gabriele Weil wichtige Dokumente zur Familiengeschichte retten: Fotos, Zeugnisse, amtliche Papiere und Briefe, die nun ausgestellt sind. Ergänzt durch die akribischen Recherchen von Alexandra Brach und Sunhild Pflug in mehr als 25 Archiven weltweit entsteht vor dem Besucher das differenzierte Bild einer sogenannten Neuen Frau – geistig und materiell unabhängig, emanzipiert und offen.
Brach: „Else Weil wird beschreiben als nicht hübsch, aber anziehend. Insbesondere ihre Hände sollen sehr weiblich und erotisch gewesen sein.“
Pflug: „Sie muss doch eine sehr bezaubernde, reizende Frau gewesen sein, sehr klug, sehr humorvoll und das trifft sich wohl auch mit dem Temperament von Tucholsky.“
Brach: „Gerade in der Wilhelminischen Zeit, in der alles noch recht streng war, war Else Weil sehr selbstbewusst. Sie war eine der ersten Medizinstudentinnen in Preußen und auch eine von 90 Frauen, die 1917 ihre Approbation bekamen.“
Else Weil arbeitete als Ärztin unter anderem in der Geburtsabteilung der Berliner Charité und betrieb in ihrer Wohnung eine Praxis. Die ausgestellten Dokumente attestieren ihr großes medizinisches Wissen. Und sie beleuchten Else Weils Leben ganz unabhängig von Kurt Tucholsky, der sich bereits 1924 wieder von ihr scheiden ließ.
Böthig: „Wenn man sich vorstellt, dass sie aus einem jüdischen Elternhaus kam, wo noch in der Eltern- und Großelterngeneration Verwandten-Ehen und angebahnte Ehen üblich waren, hat sie sich enorme Rechte herausgenommen – auf Freizügigkeit, auf Selbstbestimmtheit, eigenes Leben ...“
Besonders gut belegt sind die jüdischen Wurzeln der Familie Weil. Als echte Rarität etwa gilt der Bürgerbrief der Stadt Prenzlau für Salomon Reis Krautheim aus dem Jahr 1824, den Urgroßvater Else Weils.
Brach: „Also auf ihrer Geburtsurkunde ist in der Spalte ‚Religion‘ „mosaisch“ vermerkt, das heißt, sie war jüdisch, allerdings kurz vor der Hochzeit mit Kurt Tucholsky 1920 ist ein Dokument erhalten, in dem Else Weil beim Gericht anfragt, über die Formalitäten aus dem Judentum auszutreten. Also Else Weil war sicherlich Jüdin, aber sie hat diesen Glauben nicht so intensiv gelebt.“
Als die Nationalsozialisten an die Macht gelangen, wird ihr die Zuschreibung als „Jüdin“ zum Verhängnis. Else Weil verliert ihre Approbation und darf nicht mehr praktizieren. 1938 flieht sie über Holland nach Paris, später nach Südfrankreich. Bewegende Briefe an ihren Bruder und Deportationslisten geben Aufschluss über ihr Ende im Spätsommer 1942:
Pflug: „Wir wissen von der einen Seite, dass sie wohl hätte fliehen können in die USA, dass die Papiere da waren, von der anderen Seite wissen wir, dass sie sich um ihren kranken Freund Friedrich Epstein gekümmert hat. ...Und sie war nun mal Ärztin und sie hat den Hippokratischen Eid, glaube ich, sehr ernst genommen. Dass sie eben deshalb geblieben ist und ihren Freund nicht im Stich gelassen hat.“
Böthig: „Wir haben die Liste. Wir wissen, dass sie am 2. September nach Drancy kam und am 9. September nach Auschwitz transportiert wurde. Wir wissen, dass diese Liste 1017 Menschen umfasst hat, unter denen über 100 Kinder waren. Dass dieser Transport am 11. September 1942 in Auschwitz ankam, dort einer Selektion unterzogen wurde, wie alle diese Transporte und vermutlich alle sofort umgekommen sind.“
Service:
Else Weil – Fragmente eines deutsch-jüdischen Lebensweges
Ausstellung vom 13. November 2010 bis 13. Februar 2011
Kurt-Tucholsky-Museum, Rheinsberg
Dienstag bis Sonntag 10:00 – 16:30 Uhr
an den Weihnachtsfeiertagen veränderte Öffnungszeiten