Elon Musks "Neuralink"

Viel Lärm um ein Hirngespinst?

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Nahaufnahme des Neuralink-Implantats in Elon Musks Hand.
Das Neuralink-Hirnimplantat misst nur 23 Millimeter und wird in den Schädelknochen eingesetzt. © AFP / Neuralink
Von Matthias Eckoldt · 10.09.2020
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Die Blinden sollen wieder sehen und die Lahmen wieder gehen können: Von Elon Musks Hirnimplantat "Neuralink" erwarten sich manche geradezu Wunderdinge. Doch Skeptiker bezweifeln, dass man das Gehirn auslesen kann wie ein elektronisches Gerät.
"Die Töne, die Sie hier hören, sind Real-Time-Signale aus Gertrudes Kopf. Das Neuralink ist verbunden mit Neuronen, es misst Signale aus ihrem Maul. Wann immer sie herumschnüffelt und gegen etwas stößt, kann es das Neuralink aufnehmen." So Tech-Milliardär Elon Musk.
Gertrude ist ein Schwein – genauer eine Sau. Und sie ist das weltweit erste Lebewesen, das jene Hirnschnittstelle mit sich herumträgt, die Elon Musk "Neuralink" nennt. Das Hirnimplantat misst nur 23 Millimeter, bei einer Dicke von gerade einmal 8 Millimetern. Und es wird nach Angaben der Firma in den Schädelknochen eingesetzt.
1.024 winzig kleine Elektroden führen ins Innere des Kopfes und legen sich auf die Oberfläche des Hirngewebes. Dort greifen sie die Impulse der Neuronen ab und sind in der Lage, selbst elektrische Impulse auszusenden. Die Kommunikation zwischen Computer oder Handy und dem Implantat erfolgt drahtlos.

"Guter Stand der Technik, aber nicht viel mehr"

Überprüfen kann man die Angaben von Elon Musk nicht, denn es handelt sich hier nicht um eine wissenschaftliche Publikation, sondern um eine privatwirtschaftliche Initiative, die ihr Know-how geheim hält. Sollten die Daten stimmen, ist mit dem Neuralink zumindest ein Achtungserfolg auf dem Gebiet der Hirn-Computer-Schnittstellen gelungen.
"Ich bin doch schon sehr beeindruckt, in welch kurzer Zeit es Neuralink geschafft hat, als Start-up-Company auf den Stand der Technik zu kommen", sagt Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Universität Freiburg. Er arbeitet selbst an der Kopplung technischer Systeme mit dem Zentralnervensystem.
"Die Sachen scheinen sauber gemacht zu sein. Es handelt sich um polymerbasierte Dünnfilm-Elektroden, eine hermetische Kapselung mit Elektronik drin und einen drahtlosen Link. Somit ist es glaubhaft, dass das Ganze arbeitet. Diesen Terminus 'Wir sind jetzt ganz weit vorne' muss ich ein bisschen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Der Kernbereich des ganzen Implantates ist aber guter Stand der Technik und ich glaube, nicht viel mehr."
Anwendung finden Hirn-Computer-Schnittstellen bereits seit Längerem in der medizinischen Forschung. Bei Parkinson-Patienten konnte schon Ende der 1990er-Jahre durch die Stimulation tiefer Hirnzentren eine Linderung ihres Leidens erreicht werden. Und etwa ebenso lange können Gelähmte mit derartigen Geräten durch reine Vorstellung Prothesen bewegen.
Auch Elon Musk schwebt im ersten Anwendungsschritt die Therapie von hirnbasierten Krankheiten vor. Von Gedächtnisstörungen und Blindheit über starke Schmerzen, Depression und Angstzuständen bis hin zu Schlaganfall und Drogenabhängigkeit reicht die Palette der Störungen, die durch das Implantat behoben werden sollen.
"Wie ein Fitbit in Ihrem Kopf mit feinen Drähten", so Musk.

Ein elektronisches Gerät, um elektronische Probleme zu lösen

Die Perspektive, die Elon Musk auf das Gehirn hat, könnte allerdings einer Umsetzung seiner ambitionierten Pläne im Wege stehen. Musks Allmachtsphantasien liegt die Annahme zugrunde, dass man es beim Hirn im Grunde mit einem elektronischen Gerät zu tun hat.
"Das Neuralink wird alle diese Probleme im Hirn lösen können", sagt er. "Das ist eine fundamentale Tatsache, die viele Menschen nicht verstehen. Die Neurone sind wie Drähte. Und du brauchst ein elektronisches Gerät, um ein elektronisches Problem zu lösen."
Schwein Gertrude im Stall.
Das Schwein Gertrude ist das weltweit erste Lebewesen, dem das Neuralink-Implantat eingesetzt wurde.© AFP / Neuralink
Sicher sprechen Neurone auf elektrische Impulse an und senden solche aus. Doch damit ist noch nichts darüber ausgesagt, wie das Gehirn funktioniert. Ganz sicher nicht einfach wie eines der elektronischen Geräte, mit denen das Silicon Valley die Welt überflutet. Bis heute haben die Neurowissenschaften noch nicht einmal im Ansatz eine einheitliche Theorie des Zusammenspiels der 86 Milliarden Neurone und der 10.000 Mal höheren Anzahl von Verbindungen zwischen ihnen.
Die Sprache – oder um es im IT-Slang zu sagen – der Code des Gehirns ist schlichtweg unbekannt. Wie es in seinen weit verzweigten Netzwerken Informationen verarbeitet, ist noch immer eines der größten Rätsel des Faches. Das Neuralink mag ein potentes Werkzeug sein, um dem Hirn beim Arbeiten zuzuhören. Aber um es verantwortungsbewusst zu bedienen, bräuchte man ein besseres Verständnis des Hirns und seiner Neurone, als wir es derzeit haben.
"Wenn ich das ganze Gehirn auslesen wollte, dann muss ich auch wissen, was die miteinander machen", sagt Thomas Stieglitz. "Wenn ich Ihnen ein Auto auseinandergeschraubt vor die Füße werfe und daneben noch einen Kanister Benzin, dann können Sie damit auch nirgendwo hinfahren."
"Die Frage steht dann im Raum: Kann man das Gehirn auslesen?" Pascal Fries erforscht als Direktor des Ernst-Strüngmann-Instituts für Neurowissenschaften die Verarbeitung von Informationen im Gehirn.
"Wenn man zum Beispiel von geeigneten Stellen im Gehirn ableitet, kann man heute schon sehr gut sagen, ob beispielsweise ein Mensch sich das eine Bild vorstellt oder das andere Bild. Aber das ist eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten. Damit kann ich natürlich nicht die reiche innere Repräsentation dieser Vorstellung auslesen. Wenn wir nicht wüssten, es geht um das eine oder das andere Bild, könnten wir nicht einfach sagen: Oh, er stellt sich das vor und das sieht so aus und da ist das im Vordergrund und das im Hintergrund und das links und das rechts. Das können wir heute noch nicht."

Bis zur digitalen Unsterblichkeit des Menschen

Elon Musk macht in seiner Youtube-Präsentation keinen Hehl daraus, worin der Zweck der Veranstaltung besteht. Es geht nicht um Wissenschaft, schon gar nicht um Grundlagenforschung, sondern um eine privatwirtschaftliche Werbeveranstaltung. Die Werbung für die Marke Elon Musk war dabei nur ein Teil der Übung. Explizit und offensiv warb Musk um Personal:
"Der Sinn dieser Präsentation besteht in der Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Wir brauchen Leute, die uns dabei helfen, das Neuralink zu perfektionieren, sich um die Versuchstiere zu kümmern, die Software zu schreiben, die Chips zu entwickeln und die Produktion zu organisieren. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich bei uns melden würden, um hier zu arbeiten. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass Sie keine Vorerfahrung mit der Arbeit am Gehirn benötigen."
Die medizinische Anwendung des Neuralinks soll nur der Anfang sein. Von der Ausweitung des Sehsinnes ins Infrarote und Ultraviolette oder von Video-Streaming direkt unter die Schädeldecke ist die Rede, ebenso wie von telepathischer Gedankenübertragung direkt von Gehirn zu Gehirn und von der Unsterblichkeit des Menschen durch das digitale Backup all seiner Erinnerungen und Gefühle. Angesichts dieser Science-Fiction-tauglichen Visionen drängt sich die Frage auf, ob das Implantat vielleicht schon im Hirn von Elon Musk agiert. Er lässt es offen:
"Es gibt nur eine winzige Narbe. Die wird von den Haaren verdeckt. Man kann es nicht sehen. Tatsächlich könnte ich ein Neuralink haben und Sie würden es nicht sehen. Vielleicht habe ich es ja."
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