Eli Schleifer bildet Kantorinnen und Kantoren aus

Die Worte zum Leuchten bringen

09:56 Minuten
Eli Schleifer steht vor einem Bücherregal.
Eli Schleifer aus Jerusalem ist am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam für die Kantoren-Ausbildung zuständig. © Deutschlandradio / Jan Tengeler
Von Wolfram Nagel · 12.04.2019
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Jüdische Kantoren sind in erster Linie Vorbeter – die auch gut singen können müssen. Eli Schleifer bildet in Jerusalem und in Potsdam junge Menschen für diese Funktion aus. Dabei liegt ihm die Überlieferung der Tradition besonders am Herzen.
Musik erleuchtet die Wörter, sagt Eli Schleifer. Schnell kommt er im Gespräch auf seine Vorstellungen von jüdischer Sakralmusik zu sprechen. Je nach Tages- und Jahreszeit ändern sich die Melodien. Deshalb klinge beispielsweise der Kaddisch sehr unterschiedlich.
Ein Lob Gottes, das in jedem jüdischen Gottesdienst mehrmals vorkommt, erklärt er: "Der Kaddisch, wenn man zum Beispiel 'jidgadal we jidkadasch' singt, ist das 'Hohes Fest'. Aber wenn man singt 'jitgadal we jidkadash shemei rabba' ist das Freitagabend im liturgischen Kalender, und das muss man können."
Eli Schleifer kennt die jüdische Musiktradition ganz verschiedener Epochen: "Es ist mir sehr wichtig, die Kantorentradition zu überliefern. Wenn ich die Kantoren erziehe, müssen sie die verschiedenen Aspekte von jüdischer Tradition verstehen."

Mitglied der kleinen Reformgemeinde Har El

Wochentags ist Eli Schleifer fast immer in seinem Institut zu finden, im liberalen Hebrew Union College jenseits der Jerusalemer Altstadtmauer. Sein Büro ist winzig, vollgestopft mit Büchern. Früher war er Institutsdirektor. Die Studenten bildet er noch im Ruhestand aus: "Das ist meine Schwachheit sozusagen. Ich unterrichte gerne. Junge Studenten machen mich jung."
Eli Schleifer ist Mitglied der kleinen Reformgemeinde Har El, Gottesberg. Dort lehrte schon Schalom Ben-Chorin. Der Religionsphilosoph ist in Deutschland bekannter gewesen als in Israel. Har El bekommt keinerlei staatliche Förderung. Reformgemeinden werden in Israel behandelt wie abtrünnige Kleingruppen.
Staat und Orhodoxie arbeiten dagegen an vielen Stellen zusammen. Orthodoxe Rabbinatsgerichte übernehmen quasi-staatliche Aufgaben wie Eheschließungen und Scheidungen. Eli ärgert sich über deren Allmacht, die bis ins Privatleben reicht: "Natürlich ist das ein Skandal, wie die Orthodoxie herrscht. Man sagt von den Israelis, von den säkularen Israelis, I say it in English: 'The Synagogue they will never go to is orthodox.' Das ist leider sehr schwierig für die Reformer und die konservativen Synagogen hier."

Der Ur-Ur-Großvater kam aus Lemberg

Er selbst stamme aus einer sehr religiösen Familie, erzählt Eli. Sein Ur-Ur-Großvater ist bereits 1835 aus Lemberg nach Palästina ausgewandert.
"Der war ein Schächter und er war hier, also in Jerusalem. Erst hat man in der Altstadt gewohnt und dann, um 1890 oder so, sind sie in die Neustadt gezogen in die Manahe Jehuda-Gegend, wo der Markt ist. Dort haben sie gewohnt, mein Großvater und mein Vater sind dort geboren, meine Familie ist in die Raschistraße gezogen. Und ich bin in der Raschistraße geboren. Raschistrasse ist nicht weit von Mea Shearim. Dort bin ich geboren."
Heute ist die Gegend in der Jerusalemer Neustadt ultraorthodox. Ein Vorfahr sei Pflasterer im Straßenbau gewesen, ein anderer Goldschmied und sein Vater Buchbinder, zählt Eli die Berufe auf. "Und ich bin ein Musiker", sagt er und lacht.
Bereits mit fünf Jahren hat er in einem Synagogal-Chor gesungen, angeleitet von einem bedeutenden Lehrer: "Sein Name war Salman Rivlin. Er war Pädagoge von vielen Kantoren. Und so habe ich angefangen. Ich bin 1939 geboren. 1944 habe ich gesungen."

Strenges Torastudium schon als Kind

Vom dritten bis zum zehnten Lebensjahr besuchte Eli eine Jeschiwa, eine Talmudschule. Der Unterricht war streng auf das Torastudium ausgerichtet. Und die Lehrer lehnten den Staat Israel ab. Gar nicht so selten in der Ultraorthodoxie.
"Die Jeschiwa war sehr antizionistisch", erzählt Eli Schleifer. "Und ich habe gesehen, wie die neue Stadt geboren war. Und da habe ich gesagt, nicht mehr in die Jeschiwa. Da bin ich in eine andere Schule gegangen." Um ganz normal Abitur in der Jerusalemer Neustadt zu machen - in unruhigen Zeiten.
Den Befreiungskrieg nach der Staatsgründung 1948 hat Eli in etwa so erlebt, wie ihn Amoz Oz in seinem Buch "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" beschrieben hat.
"Amos Oz hat in unserer Gegend gelebt, fünf Minuten von meinem Haus, er war auch mein Kollege in der Elementarschule. Sein Vater war ein sehr gelehrter Mann. Er kommt aus einer ganz anderen Familie als ich. Der hat es ganz gut geschrieben, aber ich habe ein bisschen Kritik an diesem Buch, weil, ich war dort. Er hat das zu stark romantisiert. Literarisch ist das sehr schön. Als Literatur." Eli Schleifer lacht.
Es sei tatsächlich sehr gefährlich gewesen in Jerusalem. Immer wieder hat das jordanische Militär israelisches Gebiet beschossen, bis zum Sechstagekrieg im Juni 1967. Die Befreiung der Heiligen Stätten sei wirklich ein großer Sieg gewesen, sagt Eli, doch für ihn verbunden mit Angst.
"Ich habe mich gefürchtet vor der israelischen Arroganz. Dann hab ich zu meinen Freunden gesagt. Wir haben große Probleme mit diesem Sieg, das ist nicht so gut wie es aussieht. Und so war es."

Promotion über katholische Kirchenmusik

Unmittelbar nach dem Sechstagekrieg Ging Eli Schleifer nach Chicago, um dort zu studieren und am Ende seine Doktorarbeit zu schreiben. Kein jüdisches, sondern ein christliches Thema: "Koloniale Kirchenmusik in Mexiko vom 16. bis 18. Jahrhundert".
"Ich weiß ganz viel von katholischer Kirchenmusik", sagt er, "auch von diesem Stil, Renaissance und Barock, spanischer Musik."
Erst 1976 sei er nach Israel zurückgekommen, um sich dann vor allem mit jüdischer Sakralmusik seit dem Mittelalter zu befassen. Sein Sohn Doron Schleifer sei dieser Tradition gefolgt, sagt Eli und ruft auf dem Laptop eine Datei auf, wie der Countertenor bei einem Konzert in Deutschland mittelalterlich-jüdische Lieder singt.
Auch er selbst hat liturgische Melodien komponiert, erzählt Eli. Als Beispiel singt er eine Passage des Schlussgebets "Aleinu le shabeach" vor: "Es ist an uns, den Herrn zu preisen". Er komponiere immer nach der Wortbedeutung. Gott, der den Himmel spannt, und die Erde gründet. Für Himmel wähle er hohe, für Erde tiefe Töne. In den USA und auch in manchen deutschen Gemeinden wird die Melodie gesungen, so am Geiger Kolleg, manchmal auch in der Synagoge Pestalozzistrasse in Berlin.
"Gewöhnlich singt man 'She hu note shamaim'. Und ich hasse das, weil das eine Kindermelodie ist. Auf Hebräisch ist das ein Gesang über eine Maus, die sich vor einer Katze fürchtet. Und das geht nicht mit den großen Wörtern von 'She hu note shamaim wjoset aretz'. Und die Musik erleuchtet sozusagen die Wörter."

Ein Kämpfer für gute Melodien

Gegen zu einfache Melodien hat der Musiker etwas. Doch in jüdischen Gemeinden sind Popmelodien sehr beliebt. Weil sie so eingängig sind. Eliyahu Schleifer sieht es als seine Mission an, die künftigen Vorbeter von guter Musik zu überzeugen, ob traditionell oder modern, in Jerusalem genauso wie in Potsdam oder Berlin:
"Es ist sehr wichtig, besonders heute, weil, heute ist die Tradition nicht ein hohes Niveau, weil populäre Musik herrscht, Popmusik. Und in der Synagoge wollen sie Popmusik hören. So muss man etwas tun. Die Erziehung von Kantoren ist also sehr, sehr wichtig."
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