Elektronischer Verkehrsfunk

Von Carolin Pirich · 15.09.2008
Den ganzen Tag Staumeldungen vorlesen? Das will man keinem Menschen zumuten. Inzwischen gibt es Software, die das übernimmt. Beim Westdeutschen Rundfunk gibt es VeRa - das VerkehrsRadio. Hier werden Verkehrsnachrichten von einem Computer gesprochen, nonstop und in voller Länge. Auch der Bayerische Rundfunk bietet über DAB einen 24-Stunden Verkehrsmeldungs-Service an, vorgetragen von einer fast menschlichen Stimme.
"Verkehrsmeldungen nonstop - Ein Digitalradioservice des Bayerischen Rundfunks. Es folgen Gefahrenmeldungen. Vorsicht auf der A93 Holledau-Regensburg in beiden Richtungen: Gefahr durch Personen auf der Fahrbahn."

Eine sanfte, kühle Stimme ist das, die hier Staumeldungen vorträgt. Aber da sitzt keine Frau hinter dem Mikrophon. Es gibt auch kein Mikrophon. Sondern es die synthetische Stimme einer Computersoftware.

"Das Gute ist, dass man unabhängig ist von einer menschlichen Leistungskraft."

Das ist Barbara Malisch, die Chefsprecherin vom Bayerischen Rundfunk. Obwohl sie eigentlich sonst Sprecherinnen und Sprecher aus Fleisch und Blut für Nachrichten oder künstlerische Stücke einteilt, hat sie sich auch für einen Computer als Sprecher stark gemacht.

"Sie können den 24 Stunden einsetzen, immer mit denselben Dingen beschäftigen, er ist in der Lage, standardisierte Sätze ganz vernünftig vorzulesen."

Eine Software verwandelt den geschriebenen Text in einen gesprochenen. Praktisch für einen Service im Digitalen Radio DAB, der den ganzen Tag lang ausschließlich Verkehrsmeldungen sendet. Allerdings will auch die Computerstimme ein bisschen verwöhnt werden, und zwar mit möglichst simplen Sätzen.
Die Polizei schickt eine Verkehrsmeldung in die Nachrichtenredaktion. Dort formuliert ein Mensch die Meldung neu - in Sätze nach immer demselben Schema.

"Standardisierte Sätze sind, wenn sie immer mit dem Namen der Autobahn anfangen, A8, dann die Richtung angeben, dann immer die Anschlussstellen, und dass man nicht abwechselt in der Syntax, sondern dass der Satzaufbau und die gebrauchten Wörter immer dieselben sind."

Denn ungewöhnlichere Wörter oder eine komplizierte Satzstellung können die Computerstimme leicht verwirren.
"Es gibt Gefahrenmeldungen, die man mit einem standardisierten Text nicht erfassen kann. Wir sprechen dann von einem Freitext, wo zum Beispiel auf der Autobahn ein Auspuffteil, ein Reifenteil oder, wie neulich, ein Bett liegen, selbst das kann passieren … Und zum Beispiel das Wort circa kommt sehr oft vor, weil Sie ja nicht wissen, wie lang ein Stau ist, und dieses ca. erkennt er nicht, da sagt er dann 'ka' und kein Mensch weiß, was das heißen soll."

Alles eine Frage der Zeit, meint Elisabeth Bauer der Münchner Firma Linguatec, bis man der Software mit dem Namen Voicereader beigebracht hat, auch Abkürzungen zu erkennen. Sie hat die Software mitentwickelt

"Zuerst wurden ganz viele Aufnahmen von professionellen Sprechern gemacht, diese Aufnahmen wurden als Tonmaterial in kleinste phonetische Einheiten zerschnitten, zum Beispiel in Silber, ei oder au, das können auch ganze Wörter sein, wie 'auf das'. Und aufgrund dieser kleinen phonetischen Einheiten werden dann gesprochene Texte erzeugt. Der geschriebene Text ist die Rezeptanleitung für den gesprochenen Text.

Michael Joseph Jackson - Vom Wunderkind zum King of Pop. Er kam am 29. August 1958 in Gary, Indiana, als siebtes von insgesamt neun Kindern des Stahlarbeiters Joe Jackson und der Verkäuferin Catherine zur Welt."

Die englische Aussprache gehört zwar noch nicht zum Lautrepertoire der Voicereader-Stimme, aber dennoch: auch der Brockhaus nutzt das Programm für seine neuste Ausgabe, den Brockhaus multimedial Premium 2008. Dort finden sich nicht nur Bilder oder Musik wie etwa vom King of Pop Michael Jackson. Sondern man kann sich den Lexikonartikel von der Computerstimme vorlesen lassen und ihn als MP3 überallhin mitnehmen - auf dem Weg zur Arbeit, in die Schule oder zum Joggen.

"Über Jahrhunderte wurde Wissen mündlich überliefert, von Erzählern an Zuhörer, die ihrerseits wieder zu Erzählern wurden. In unserer multimedialen Medienwelt ist die Fähigkeit zu konzentriertem Zuhören allmählich verloren gegangen."

Auch Texte aus dem Internet kann man sich von der Computerstimme des Voicereader vorlesen lassen, wie hier auf der Seite zuhoeren.at. Auf einen kleinen Lautsprecher klicken, und die Stimme liest die ganze Seite vor.

Sollte da vielleicht die Radiojournalistin, die ihre Texte ja bislang selbst vorträgt, nicht langsam mal ins Grübeln kommen? Wird man sie vielleicht bald nicht mehr brauchen, weil eine sympathische Computerstimme jeden Text meistert?

Barbara Malisch, Chefsprecherin vom Bayerischen Rundfunk, kann beruhigen: Selbst diese sanfte, synthetische Stimme kann nach einer Zeit eine recht ermüdende Wirkung haben.

"Der Nachteil bei einem längeren gesprochenen Text wäre eine schreckliche Eintönigkeit, wo keine Interpretation stattfinden kann, wo keine Melodiebögen stattfinden, wo möglicherweise Atempausen an völlig falschen Stellen gesetzt sind, also eine Sprechmelodie, die die menschliche Stimme ja ausmacht, würde sie nicht erreichen können."

Dass der Computer Texte interpretieren oder gar das Atmen lernt, das könnte noch eine ganze Weile dauern … Aber menschlicher, das soll die synthetische Stimme schon bald werden, sagt Computerlinguistin Elisabeth Bauer.

"Da ist die Idee, dass man das noch ein bisschen menschenähnlicher macht, indem man Geräusche einbauen kann, dass die Stimme mal lacht, mal hüstelt. Dass es das Ganze emphatischer, emotionaler macht."

Bis dahin noch darf die Radiojournalistin selbst ihre Texte vorlesen. Noch.