Elektronische Schnitzeljagd

Von Alexandra Wrann |
Das Geocaching ist eine satellitengestützte Schatzsuche, an der jeder teilnehmen kann, der ein GPS-Handy und genug Freizeit hat. Vor neun Jahren erfand ein Amerikaner das Spiel - inzwischen ist es zu einem echten Freizeit-Trend geworden.
"Die Koordinaten lauten: 53 Grad, 33 Minuten und 121 Sekunden, das ist der Breitengrad und der Längengrad ist neun Grad, 59 Minuten und 838 Sekunden."

Bianca Stich beugt sich über ihr Handy, konzentriert blickt sie auf das Display und tippt die Zahlen ein.

Die 26-jährige Studentin steht mitten in der Hamburger Innenstadt auf dem Bürgersteig. Sonnenbrille, T-Shirt, hochgekrempelte Jeans, Flip-Flops. Nichts an der jungen Frau lässt erkennen, dass sie gerade auf Schatzsuche ist: Sie sucht einen Geocache. Das ist eine kleine Box, die jemand versteckt und dann die dazugehörigen Hinweise und Koordinaten ins Internet stellt. Was in der Box versteckt ist, weiß Bianca nicht. Wie weit und wie schwierig der Weg sein wird, auch nicht. Sie lädt sich die Daten aus dem Internet:

"Heute Vormittag hab ich auf der Seite www.geocaching.com mir einen Cache rausgesucht, da findet man 'ne Landkarte und kann halt schauen, wo welcher liegt. Da befindet sich 'ne Beschreibung im Internet, die Startkoordinaten und das weitere Vorgehen ist dort auch beschrieben."

Vier Seiten lang ist die Beschreibung, insgesamt sechs Stationen muss Bianca mithilfe der Satelliten-Koordinaten finden, an jeder muss sie ein Rätsel lösen, um so die Endkoordinaten für den Schatz herauszubekommen. Ihr GPS-Handy hat derweil die erste Route berechnet.

"Mein Telefon sagt, dass wir 200 Meter in südlicher Richtung gehen müssen."

Auf dem Handy-Display ist eine Karte zu sehen, auf der der Start- und der Zielpunkt markiert sind - entsprechend der Koordinaten. Bianca schaut erst auf ihre Uhr, dann zum Himmel. Es ist zwölf Uhr mittags, die Sonne hat ihren Höchststand erreicht. Die Geocacherin marschiert los, Richtung Sonne, also nach Süden und damit Richtung Mönckebergstraße, der Shopping-Meile Hamburgs.

"So, jetzt sehen wir auch auf meinem Display, dass wir fast geradeaus drauf zu gehen..."

Das erste Ziel ist fast erreicht - die Geocacherin zieht ihre Karte hervor und liest die zu lösende Aufgabe vor:

"In der Nähe ist eine männliche Statue, unter der Statue sind zwei Jahreszahlen angebracht. Bilde die zweistellige Quersumme von beiden Zahlen und addiere diese zu u und v."

Etwa 20 Meter entfernt, zwischen einem Cafe und einem Fastfood-Restaurant, ragt ein mannshoher Steinblock aus einem alten Brunnen in die Höhe. Am oberen Ende ist ein männlicher Kopf eingemeißelt, am Fuß des Steins sind zwei Jahreszahlen in eine Messingplatte eingraviert. Bianca zückt ihren Kugelschreiber, rechnet und notiert die beiden Ergebnisse - u und v. Die beiden Zahlen braucht sie später, um den Zielort des Schatzes zu bestimmen.

Die meisten dieser Schätze liegen, in Wäldern, auf Wiesen und an Seen. Allein in Deutschland sind es mehr als 100.000, einige davon sind sogar auf Schiffen versteckt oder an Orten, wo nur Kletterprofis oder Taucher hinkommen. Schätze mitten in der Stadt sind selten, doch nicht weniger abenteuerlich: Damit niemand den Cache klaut oder beschädigt, muss Bianca möglichst unbeobachtet bleiben - kein leichtes Unterfangen zwischen all den Passanten, Boutiquen und Cafes.

"Aber auch das ist ja ein kleiner Nervenkitzel, den zu heben ohne dass man bemerkt wird. Wobei man sich manchmal ein bisschen blöd vorkommt, wenn man hinter irgendeiner Regenrinne die ganze Zeit guckt und die Leute einen ein bisschen komisch angucken. Man wird auch durchaus manchmal angesprochen: Was machen Sie denn da? Suchen Sie was?"

Die Suche führt Bianca in westlicher Richtung über die Einkaufsstraße zum Hauptbahnhof. Links vom Haupteingang, neben einem Parkplatz, steht ein kleines, gläsernes Häuschen - der Eingang zur U-Bahn, ein Fahrstuhl fährt die Bahnfahrer hier in den Untergrund. Über der Fahrstuhltür, etwa auf zwei Metern Höhe, klebt ein kleiner Zettel, gerade einmal zwei Zentimeter breit. Zwei Zahlen stehen darauf, die letzen der zwölf gesuchten Ziffern.

"Noch kann ich nichts damit anfangen, ich schreib die erstmal auf, vielleicht kommt mir dann die Erleuchtung… 25…50…27… Das ist 'ne Telefonnummer! Vielleicht geht der Typ jetzt ans Telefon!"

Bianca wählt - am anderen Ende meldet sich eine Mailbox:

"Gratulation! Du oder ihr habt den Telefon-Joker gelöst, gut gemacht, toll, klasse! Die Koordinaten: N 53 ..."

Eifrig notiert Bianca die Ziel-Koordinaten. Als sie auflegt, leuchten ihre Augen, sie grinst über das ganze Gesicht.

"Ich glaub, das ist der Grund, warum es viele Geocacher zum Geocachen treibt - weil der Fund an sich immer wieder eine Offenbarung für einen ist, die immer wieder toll ist und faszinierend und man sich immer wieder darüber freut!"

Schnell macht sie sich auf den Weg zum Zielort - der liegt nur fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt. In einer kleinen Seitenstraße hält Bianca inne. Suchend schaut sie sich um. Ihr Blick fällt auf ein bronzefarbenes Büroschild, etwa auf Kopfhöhe, direkt neben einer Tiefgaragen-Einfahrt. Möglichst unauffällig schlendert Bianca daran vorbei, schaut genauer hin: Eine kleine Tupperdose klemmt hinter dem Schild, von weitem kaum sichtbar. Blitzschnell greift Bianca zu und geht weiter.

"Ja wir haben ihn gefunden - nach zwei Stunden und fünf Minuten."

In einem Hauseingang um die Ecke öffnet Bianca die Schatztruhe aus Plastik.

Allerlei Kleinkram kommt zum Vorschein: Ein Schlüsselband, ein Skatspiel, ein Gutschein für eine Dönerbude, ein Würfel - und das Wichtigste: das Logbuch. Bianca fischt das kleine schwarze Notizbuch aus der Dose, trägt ihren Namen, das Datum und die Uhrzeit ein.

"Jetzt leg ich noch was zum Tauschen rein, ich guck mal, was meine Handtasche so hergibt, da hab ich immer so kleine Schätze vergraben... Dieses Mal sind's Ohrringe und raus nehme ich das Skatspiel."

Bianca verschließt die Dose, klemmt sie sich unter den Arm und so unauffällig wie sie den Schatz hervorgeholt hat, bringt sie ihn wieder zurück an sein Versteck - für den nächsten Geocacher.