Elektronenbeize für Saatgut

Von Peter Kaiser |
Saatgut zu beizen ist notwendig, damit es nicht verdirbt, bevor es ausgesät wird. Bisher wird es chemisch gebeizt, was eine große Belastung für die Natur ist. Die Elektronenbeize ist wesentlich schonender und stark im Kommen. Allerdings - ganz ersetzen wird sie die Chemiekeule wahrscheinlich nie.
Vor den haushohen Getreidesilos der Nordkorn AG in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern ist ein LKW auf zwei Böcken aufgebockt. Das weißgraue Fahrzeug erinnert etwas an eine mobile Blutspendestation des DRK. Doch das Innenleben des Fahrzeugs ist komplexer.

"Im mittleren Bereich befinden sich zwei Hochleistungsgeneratoren, die den Strom erzeugen für die beiden Elektronenstrahler, dort durchfließt das Saatgut den Behandlungsraum."

Der Behandlungsraum im mittleren Bereich des LKW ist eigentlich nur eine 1,40 große Kammer, die man nicht betreten kann.

Stündlich rauschen über ein Förderband hier bis zu 30 Tonnen Saatgut an einer glühend heißen Kathode vorbei. Die unter Hochspannung stehende Kathode schleudert währenddessen Elektronen von sich, die innerhalb von wenigen Millisekunden bis zur äußeren Schale des vorbeiströmenden Saatgutes eindringen. Alle Saatgut-Krankheitserreger wie Pilzsporen, Viren oder Bakterien, die am Korn haften, werden so von der Elektronenergie zerstört. Das behandelte Korn ist keimfrei für die spätere Aussaat von Getreide und Hülsenfrüchten, sagt Carsten Bast, Leiter der Saatgutproduktion hier in Güstrow.

"Schwerpunktmäßig wird es im gesamten Bereich Getreide eingesetzt, sprich Weizen, Gerste, tritikale Roggen, aber auch durchaus anwendbar für Leguminosen, oder auch für Sonderkulturen zum Beispiel wenn es um Gemüsesaatgut geht."

Die im Fachjargon genannte "Elektronenbeize" ist kein wirklich neues Verfahren. Früher verwendete Beizmittel enthielten Quecksilber, das zwar wirksam das Saatgut vor Krankheitserregern schützte, sich aber im Boden und in den Pflanzen anreicherte. 1982 wurde darum die Quecksilberbeize in der Bundesrepublik verboten. Alternativ kamen Pestizide, Insektizide und Fungizide zum Einsatz.

Im Nachbarstaat DDR kam man auf eine andere Idee. 1983 schlug der bekannte deutsche Erfinder Manfred von Ardenne vor, Saatgut mit niederenergetischen Elektronen zu beschießen. Und zwar so, sagt Marga Jahn vom Julius-Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Berlin-Kleinmachnow, dass…

"...Sie das Saatgut in den äußeren Schichten treffen, und die dort angelagerten Schadorganismen abtöten. Die Elektronen dürfen nicht ins Innere des Saatguts gelangen, weil sie dort den Embryo schädigen würden."

Und damit die Keimfähigkeit verhindern.

Bis heute wurden auf über 300.000 Hektar Anbaufläche elektronenbehandeltes Saatgut zur Aussaat gebracht. Samenkornkrankheiten wie Weizensteinbrand, Blatt- und Spelzenbräune oder Roggenstängelbrand wurden dabei zuverlässig verhindert. Überflüssiges Saatgut kann, im Gegensatz zum chemisch gebeizten, bedenkenlos an Tiere verfüttert werden. Einen großen Vorteil für die Umwelt hat das Ganze auch, sagt Carsten Bast.

"Wir setzen ja überhaupt keine Pflanzenschutzmittel in dieser Behandlungsmethode ein, so dass in dem Sinne ein natürlich sauberes Korn wieder in den Boden gelangt. Das ist ja auch ein wesentlicher Vorteil dieses Verfahrens, dass man beispielsweise keine gesetzlichen Auflagen seitens Pflanzenschutz einhalten muss, keine Abstandsregelung zu Gewässern und so weiter und so fort, so dass man ein sauberes Korn in den Boden bringt."

Trotz dieser Vorteile, so Michael Lohse, Pressesprecher des Bundesverbandes Deutscher Bauern in Berlin, wird die Elektronenbeize nur eine Ergänzung zur Chemie-Beize bleiben.

"Wir haben uns damit auseinandergesetzt, weil es eine umwelt- und anwenderfreundliche Alternative ist, was von den Landwirten auch so geschätzt wird. Es ist natürlich nicht für alles möglich. Wir haben nur samenbürtige Erreger, wir haben nicht Viren und Erreger, die müssen nach wie vor mit anderen Mitteln bekämpft werden, das heißt mit chemischen Beizen. Man braucht von der Technik her, das ist modernste innovative Technik, die auch teuer ist, natürlich einen entsprechenden Durchsatz, das ist nichts für Kleinanlagen."

Seitdem in Güstrow 2010 mit dem Verfahren begonnen wurde, hat sich das Aufkommen von Elektronensaatgut verachtfacht. Das wird noch mehr werden, auch in anderen Anwendungsbereichen, wenn in wenigen Wochen in Güstrow die weltweit größte Anlage für dieses Verfahren ihre Arbeit aufnimmt.

"Es gibt Versuche, diese Sache auch weltweit einzusetzen. Dieses Verfahren hat ja einen weiteren Vorteil, es geht nicht nur um die Keimfreimachung von Saatgut im klassischen Sinne, sondern durchaus auch um die Sterilmachung aller rieselfähigen Güter. So dass man auch durchaus auch nachdenken kann, dieses Verfahren beispielsweise einzusetzen, wenn es darum geht, Futtermittel keimfrei zu machen."