Elektro

Musik als Farben und Geschmack

Makapuu Beach Park bei Honolulu auf der Insel Oahu
Aquamarinblaues Wasser: Dort wähnte sich einer von Cutlers Kritikern © dpa / picture alliance / Uwe Anspach
Von Tobias Feld · 01.08.2014
Er sieht Klänge als Formen und Farben, sagt der Musiker Matt Cutler alias Lone. Auch bei seinen Kritikern spielt die Synästhesie eine Rolle. Mit seinem neuen Album knüpft Cutler an die goldenen Jahre der elektronischen Musik Anfang der 90er an - und wird als Zukunft des Genres gehandelt.
"Träume haben eine immense Bedeutung für mich und dienen mir als große Inspirationsquelle.Ich träumte etwa von einem Energieball, der auf die Erde niedergeht und eine Stadt wie New York flutet. Da ich solche Träume jedoch nur unzureichend in Worte fassen kann, versuche ich sie mithilfe der Musik auszudrücken. Träume faszinieren mich mehr als alles andere",
sagt Matt Cutler, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Lone. Mit seinem Phantasma erinnert der 33-jährige Brite an jene unbekümmerte Epoche des Chicagoer Klubs "Warehouse", in der Ende der 1970er-Jahre Disco, Funk und Soul zu etwas bis dahin Unerhörtem verschmolzen. Den üblichen ästhetischen und popmusikalischen Codes misst Cutler denn auch keine Bedeutung zu. So entstand unter der Regie des schottischen Künstlers Tom Scholefield mit "Aurora Northern Quarter" eines der hinreißendsten Skatervideos seit Airs "All i Need" oder Sonic Youths "100%"; typischerweise ein Motiv der Hip-Hop-, Hardcore- oder Punk-Kultur.
Scholefield setzt einen tiefenentspannten Matt Cutler in Szene, dessen Tag sich unter der gleißenden Sonne Lissabons irgendwo zwischen Schallplattenladen, Skater-Park und Costa do Estoril verliert. Tatsächlich kultiviert er auf seinem nunmehr fünften Album die Leichtigkeit des Seins. Als Inspiration hätten ihm Künstler wie die Sonnenschein-Hip-Hopper Gang Star oder die sagenumwobene House-Erscheinung Theo Parrish gedient. Nonchalant versöhnt der Brite nun auf "Reality Testing" wieder diese beiden Welten.
In einem aquamarin leuchtenden Wasser
Cutler hätte eine unnachahmliche Handschrift entwickelt, schwärmt der britische Musikproduzent Stephen Wilkinson alias Bibio, die ihn im Zeitalter von Myspace und unzähliger Underground-Labels aus der Masse heraustreten lasse. Seine Musik lasse einem Farben vor Augen erscheinen und Geschmäcker auf der Zunge entstehen, selbst wenn man dieses synästhetische Talent bislang gar nicht besessen habe.
Als er seine Musik zum ersten Mal für sich entdeckte, erinnert sich Wilkinson, hätte er sich in einem aquamarin leuchtenden Wasser wiedergefunden, eine salzige Brise umwehte sein Nase und in der Luft lag der Geruch von Seegräsern. Sind Sie, Matt, ein Großmeister der Synästhesie?
"Ich weiß nicht, ob ich ein Großmeister der Synästhesie bin. Ich sehe definitiv Klänge in Gestalt von Formen, Farben und Maserungen. Das geschieht bei mir automatisch zu jeder Zeit. Es macht das Musikmachen enorm einfacher, wenn man es sich vorstellen kann."
Cutler dient nicht allein seiner Heimatstadt als Aushängeschild
Die britische Musikzeitschrift New Musical Express feiert Cutlers Hybrid ebenso, wie die Tageszeitung "The Guardian" oder der Sender BBC. Bereits im Februar diesen Jahres gewann er für sein Stück "Airglow Fires" den renommierten "Worldwide Award 2014" des britischen DJ, Labelbetreibers und Musikpioniers Gilles Peterson.
Unterdessen dient er nicht allein seiner Heimatstadt Manchester in Form von Werbeclips und Dokumentationen als Aushängeschild. Mit seinem auf dem bahnbrechenden britischen Label R & S erschienen Album knüpft Cutler an jene goldenen Jahre elektronischer Musik an, die Anfang der 90er-Jahre von Künstlern wie Aphex Twin, Carl Craig oder Juan Atkins geprägt wurden. Im Jahre 1997, zur Hochzeit der Berliner Loveparade, fragte der Moderator Erich Böhme in seiner Sat. 1-Sendung "Talk im Turm", was die Zukunft der elektronischen Musik noch bescheren könne. "Eine Musik", orakelte eine Raverin, "die man spüren kann". Vielleicht beginnt diese Zukunft dank Lone und seinem Album "Reality Testing" genau jetzt.