Eleganz trifft auf Kraft

Von Susanne von Schenck |
Anfang September wird in Iffezheim bei Baden-Baden ein Jubiläum gefeiert: Seit 150 Jahren galoppieren dann Vollblüter auf der elegantesten der deutschen Rennbahnen und auch der mit den höchsten Preisgeldern. Seit etwa 200 Jahren schon wird das Galopprennen in Deutschland gepflegt. Mit 60 bis 70 km/h donnern sie dem Ziel entgegen: Vollblutpferde. Schon mancher Laie ist nach ihnen süchtig geworden.
"Es ist eine Faszination, die damit zusammenhängt, dass Rennpferde der Rasse Vollblut mit einem Jockey mit großer Geschwindigkeit auch für Geld läuft … Der Galoppsport ist aus vielen Blickwinkeln zu sehen und man sagt nicht umsonst, es ist der Sport der Kumpel und Könige."

"Hut und Pferderrennen – das Pferderennen war ein Amüsement vom Adel."

"Für mich ist das Pferd das eleganteste Wesen überhaupt. Ich kann mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen … Die Pferde hier sind trainiert, dünn, und für mich hat das mit Erotik zu tun."

Das weite Grün der Rennbahn, elegant gekleidete Herren, Damen mit ausgefallenen Hüten, Jockeys, deren Trikots in den Farben der Rennställe leuchten und vor allem schlanke Vollblutpferde - so hatten die Impressionisten Eduard Manet und Edgar Degas im 19. Jahrhundert das bunte Treiben auf der Rennbahn in ihren Gemälden festgehalten. Zu Manets und Degas’ Zeiten war das aus England importierte und in Paris zunehmend beliebte Freizeitvergnügen eine Facette der "vie modérne", des zeitgenössischen, modernen Lebens. Auch heute, wo Fußball, Radsport oder Tennis dominieren, ist ein sonniger Nachmittag auf der Rennbahn ein besonderes emotionales Erlebnis.

Vor 150 Jahren wurde die wohl eleganteste und internationalste Rennbahn Deutschlands gebaut: in Baden-Baden Iffezheim. Sommerhauptstadt Europas nannte sich Baden-Baden damals – die Jahre in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Glanzzeit des Ortes.

Im Winter nach Paris, im Sommer nach Baden-Baden, beschloss damals eine illustre und mondäne Gesellschaft und tourte vergnügt durch die Lande. Denn Baden-Baden bot Zerstreuungen aller Art.

Zwei Männern sind der Aufstieg des Ortes zum mondänen Weltbad und die Rennbahn zu verdanken: dem Spielbankpächter Jacques Benazet und seinem Sohn Edouard. Die beiden Franzosen bescherten der Stadt glanzvolle Jahre und Pariser Flair. Nachdem sie schon das Casino und ein Theater betrieben, hielten sie, als zusätzlichen Magneten für die feine Gesellschaft, nach einem flachen großen Gelände vor den Toren der Stadt Ausschau – um dort eine Rennbahn zu errichten. 150 Jahre ist das her. Und weil es damals keine geeigneten deutschen Vollblüter gab, wurden die Galopprennen kurzerhand international ausgerichtet.

England war damals und ist auch heute das Mekka des modernen Galoppsports. Dort wurde 1722 das englische Vollblut aus der Taufe gehoben – eine Kreuzung dreier arabischer Hengste mit Stuten der englischen Landrasse. Seitdem lässt sich fast jedes Vollblutpferd auf die Hengste Byerley Turk, Darley Arabian und Goldophin Arabian zurückführen, die um 1700 nach England eingeführt worden waren. Sie sind die Vorfahren von mindestens 80 Prozent aller Vollblüter der Welt. Nur Pferde, deren Abstammung auf das seit 1793 geführte Zuchtbuch zurückgehen, dürfen sich Vollblut nennen und am Galoppsport teilnehmen.

Diese hochgezüchteten Tiere, für viele Pferdekenner die schönsten Geschöpfe überhaupt, sind nicht allzu groß, schmal gebaut, sehr muskulös und außerordentlich schnell. Auf der Zielgeraden können sie eine Geschwindigkeit von bis zu 70 km/h erreichen.

In England wurden in der Regierungszeit von Georg III. die ersten "klassischen Rennen" ins Leben gerufen. Es war der Earl of Derby, ein feierfreudiger Mann, der mit Freunden in einer Kneipe das erste Einsatzrennen plante – über eine Entfernung von zwei Meilen. Dieses Rennen für dreijährige Vollblüter, später nach dem englischen Grafen "Derby" benannt, wurde am 4. Mai 1780 gestartet. Bis heute, so Gerhard Schöningh, in London lebender Fondsmanager, der kürzlich die Rennbahn Berlin-Hoppegarten gekauft hat, ist dieser Sport in Vereinigten Königreich fest verankert.

"Der Rennsport in England (ist eben viel tiefer verwurzelt), hat eine um mindestens hundert Jahre längere Tradition. Das Medieninteresse am Rennsport ist viel, viel größer, in jeder englischen Tageszeitung haben Sie zwei Seiten Rennsport pro Tag, Sie haben sämtliche Rennprogramme aller Bahnen, die veranstalten. Im Fernsehen haben Sie ein ganz anderes Interesse, Sie haben viele Life Veranstaltungen, dann haben Sie Ereignisse, Rennfestivals wie Royal Ascot, das Grand National oder das Epsom Derby – das sind schon Sportereignisse der Superlative, wo ein Großteil der Bevölkerung ein kleines bis sehr großes Interesse dran hat."

Bis die Idee des Rennens – die Qualitäts- und Leistungskontrolle der Tiere und damit der Zucht - dann auf dem europäischen Kontinent ankam, vergingen allerdings noch einige Jahrzehnte.

Etwa 40 Rennbahnen gibt es heute in Deutschland. In Hamburg und Düsseldorf finden die wichtigsten deutschen Galopprennen statt, und das internationalste wird in Baden-Baden-Iffezheim ausgetragen. Die größte deutsche Rennbahn liegt in Berlin-Hoppegarten und die älteste in Bad Doberan.

Dort fand das erste deutsche Rennen nach festen Regeln statt. Neu war die Kombination von Zucht und Sport unter Beachtung des englischen Vollbluts. Von der Volksfeststimmung, die heute die Renntage vielfach dominiert, war anfangs in Doberan – damals noch kein Badeort - wenig zu spüren. Vor allem der Hochadel traf sich im Sommer auf der charmanten Rennbahn in Ostseenähe. Klaus Gönsche, sportlicher Leiter des "Ostseemeetings".

"Dort hat am 10 August 1822 das allererste Rennen in Deutschland stattgefunden. Gewonnen hat eine Stute namens Pamina aus dem Stall der Grafen von Biel."

Mit wenigen Unterbrechungen, bedingt durch den Ersten Weltkrieg und später die Weltwirtschaftskrise, fanden in Doberan Galopprennen statt – bis 1939: Dann wurde das Rennbahngelände zum Ausweichflugplatz der deutschen Luftwaffe. Gleich nach dem Krieg versuchten die sowjetischen Besatzer, die unterbrochene Tradition des Rennes wieder aufleben zu lassen. Aber während eines besonders bitteren Winters verheizten sie die hölzernen Tribünenteile. Das war das Aus für die Doberaner Rennbahn.

"Diese Rennbahn hat viele Jahre dann während der DDR-Phase praktisch brach gelegen, die ist unterschiedlich genutzt worden, da haben Motorradrennen stattgefunden, unmittelbar nach dem Krieg hat man die Tribüne verfeuert und 1993 haben sieben mutige Leute diese Rennbahn wieder begründet, und das Ostseemeeting in Bad Doberan ist mit allen Problemen heute wieder eine etablierte Veranstaltung."

Gut 800 km südlichwestlich von Bad Doberan befindet sich die Rennbahn von Baden-Baden-Iffezheim. Während des Meetings, wie die Rennen im Fachjargon heißen, ist auf dem Rennplatzgelände neben Wettschaltern, Würstchenbuden und Champagnerständen auch eine kleine Zeltstadt aufgebaut. Tücher und Bücher, Souvenirs und Reitartikel werden dort angeboten. Und Hüte. Denn Galoppsport und Hut gehören zusammen wie Topf und Deckel. In Deutschland würden Hüte allerdings viel zu selten getragen, bedauert eine Besucherin:

"Ich find eigentlich einen Hut sehr schön – es ist die einzige Gelegenheit, um bei uns einen Hut zu tragen: das Pferderennen. Wenn überhaupt. Ansonsten gibt es keine Gelegenheit. Das ist sehr schade."

Die Modelle, die Olivier Mauge ausgestellt hat, sind vom Feinsten: Kreationen mit bunten Blumengestecken, naturfarbene Quadrate mit schwarzem Tüll, extravagante Strohhüte. Die Preise liegen zwischen 80 und 1800 Euro.
Olivier Maugé betreibt in der Baden-Badener Innenstadt ein Hutgeschäft. Für Kunden, die von weither zu den Rennen anreisen, lagert er die Hutmodelle auch mal übers Jahr ein:

"Hut und Pferderrennen – das Pferderennen war ein Amüsement vom Adel, das darf man nicht vergessen. Wir feiern dieses Jahr die 150-jährigen Galopprennen in Baden-Baden, gegründet von Benazet, der ja auch Baden-Baden wieder erweckt hat, weil zu der Zeit das Spiel in Frankreich verboten war, kam der ganze Adel nach Baden-Baden, hat Baden-Baden zur Sommerhauptstadt gemacht. Und dann wurde das Casino gegründet, die Rennbahn gegründet. Bis zu unserem Jahrhundert war ja der Hut normal."

Diese Rennbahn in Iffezheim entwickelte sich bald zu einem großen Anziehungspunkt. Bis zu Eduard Benazets Tod 1867 waren die Galopprennen außerordentlich beliebt. Die Pferde wurden damals mit der Bahn transportiert. So kam auch die legendäre Stute Kincsem nach Baden-Baden, die als bisher einziges Pferd dreimal den begehrten "Großen Preis von Baden" gewann. Auch in Doberan lief sie sehr erfolgreich. Nach Kincsem, so Elke Krampe, die seit 30 Jahren die Gäste auf der Rennbahn betreut, ist auch eine der eleganten Tribünen in Baden-Baden benannt:

"Kincsem war ein österreichisches Pferd von einem fürstlichen Besitzer, kam mit dem Zug hierher, immer nur in Begleitung ihrer Katze, immer nur mit mitgebrachten eigenem Hafer und Heu und auch Wasser. Denn anderes fraß diese Dame nicht. Eines Tages, oh Schreck hatten die Pfleger das Wasser vergessen. Kincsem verweigerte sämtliche Wasseraufnahme, man bekam schon große Befürchtungen, dass sie dieses Mal bestimmt nicht den großen Preis von Baden gewinnen würde, aber die Burschen ließen nicht nach und sie entdeckten hinter in dem berühmten Kappellenberg in dem kleinen Wäldchen eine Quelle, die auch heute Kincsem-Quelle heißt, und die Stute gewann wieder. Und sie bekam dann von ihrem Besitzer eine Blume ans Ohr gesteckt."

Mit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der Schließung der Spielbank wäre das so erfolgreich gestartete Unternehmen Iffezheim beinahe wieder beendet worden. Es hatte keine Finanzgrundlage mehr. Aber der Internationale Club, 1872 gegründet, konnte das vorzeitige Aus von Iffezheim verhindern. Die Gründung fällt nicht zufällig mit der gesetzlich bewirkten Schließung der Spielbank zusammen – der Club ersetzte sie bald als illustren Treffpunkt. Immer mischte der Adel mit, und auch heute ist ein Adliger Präsident des Internationalen Clubs: Bernhard Prinz von Baden:

"Baden-Baden hat Glück gehabt, dass es eine relativ kontinuierliche Entwicklung hat nehmen können. Baden-Baden war immer eins der renommierten Rennbahnen, hat nicht das Schicksal von Hoppegarten erlitten und hat relativ schnell nach dem Zweiten Weltkrieg wieder anfangen können und hat ne schnelle Entwicklung gehabt, und ist sehr gut in der Region eingebettet, so dass es heute mit Abstand die erfolgreichste Rennbahn in Deutschland ist."

Auch wenn die Baden-Badener Galopprennen führend in Deutschland sind und ein großes Publikum anlocken, so sind sie im internationalen Vergleich jedoch unbedeutend. Die englischen und französischen sind wesentlich bekannter und die Preisgelder höher. Ganz zu schweigen von asiatischen Rennbahnen. In Hongkong beispielsweise, so Bernhard Prinz von Baden, wird an einem einzigen Renntag soviel umgesetzt wie in Baden-Baden in einem ganzen Jahr.

"Die Menschen sind wettaffin, die haben Spaß daran. Oder nehmen Sie die Pferderennen im arabischen Raum. Das sind einfach Pferdemenschen von ihrem Naturell her. Das liegt nicht in der deutschen Mentalität."

Ähnlich wie in den Spielcasinos lassen die Deutschen längst nicht mehr soviel Geld beim Pferderennen wie früher. Nicht das weniger gewettet würde: Der gesamte Glücksspielmarkt in Deutschland mit geschätzten 20 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ist riesig. Mehr und mehr Wetter haben ihr Spiel allerdings ins Internet verlagert: Es ist bequemer und sie bleiben anonym. Nachteilig für die Rennvereine ist auch, dass die Buchmacher, die Wettbüros außerhalb der Rennbahnen betreiben, nicht genug an die Vereine zurückführen. Bei denen bleibt oft nur noch so wenig hängen, dass viele um ihre Existenz fürchten.

Denn sinkende Wetteinnahmen bedeuten niedrigere Preisgelder. In den vergangenen Jahren sind letztere von 17 Millionen Euro auf 15 Millionen zurückgegangen. Engelbert Halm, Geschäftführer des Direktoriums für Vollblutzucht, dem Dachverband aller im Rennsport Organisierten, hofft, aus diesem Dilemma herauszukommen. Mit einer Strukturreform will er dem krisengeschüttelten Galoppsport wieder auf die Beine helfen:

"Ich denke, dass in den letzten zehn Jahren auch eine Veränderung auch im Freizeitverhalten und Sportverhalten der Menschen stattgefunden hat. Diesem muss der Rennsport Rechnung tragen. Das heißt, wir müssen deutlich professioneller werden im Ablauf unserer Organisation. Wir müssen uns wieder darstellen draußen, wir müssen unsere Leistungsfähigkeit zeigen, einmal im sportlichen Bereich und einmal im Eventbereich. Das Freizeitverhalten der Menschen hat sich geändert, die Ansprüche sind größer geworden, andere Sportarten haben hier immense Arbeit geleitstet, haben sich verändert, haben sich professioneller aufgestellt und das sind natürlich auch Anforderungen, die an den Rennsport zu richten sind."

In Iffezheim, wenige hundert Meter vom Baden-Badener Renngelände entfernt, sitzt Werner Hefter am Telefon und versucht, einen Jockey für ein Pferd aus seinem Stall zu finden.
Werner Hefter ist Trainer und war früher selbst Jockey. Der gebürtige Rheinländer, ein kräftiger Mann von Mitte 50, wog allerdings bald zuviel und konnte den Beruf nicht mehr ausüben. Denn mehr als 55 Kilo darf ein Jockey nicht auf die Waage bringen – dieses Gewicht zu halten, ist für viele ein Problem.

"Es gibt ja Jockeys, die haben überhaupt keine Gewichtsprobleme. Dann gibt’s Jockeys, die sitzen jeden Tag in der Sauna, die müssen eigentlich immer ein oder zwei Kilo machen. Also, das ist schon ein hartes Geschäft, auch für die Reiter. Wir haben vier, fünf Spitzenjockeys, die immer gut beschäftigt sind, die verdienen auch Geld, aber für die anderen ist es schon ein hartes Brot, allein wenn man von der Ernährung her, dass sie immer ihr Gewicht halten, die müssen fit sein. Das sind auch Hochleistungssportler. Die sitzen nicht nur nachmittags mal auf dem Pferd, die müssen richtig Sport betreiben, Krafttraining machen, alles, damit sie nachmittags fit sind für die Pferde."

40 Vollblüter stehen in Werner Hefters Stall. Die Boxen sind im Rechteck um einen hübschen Innenhof angelegt, in dessen Mitte zwei große Kastanienbäume stehen. Sehr früh, mit drei, manchmal schon mit zwei Jahren, werden die Tiere in die Rennen geschickt und theoretisch laufen sie, bis sie fünfzehn Jahre alt sind. Aber die meisten hören früher auf und werden für die Zucht verwendet. Und die ist in Deutschland exzellent. Nur Vollblüter, die gesund und schnell genug sind, werden zur Weiterzucht verwendet – die Rennen sind daher eine systematische Leistungsprüfung.

Zwischen 1000 und 1500 Euro zahlt der Besitzer eines Rennpferdes monatlich für Unterhalt und Training seines Pferdes – und hofft natürlich, dass das Tier die Unkosten wieder "einläuft". Das wird aber immer schwieriger. Von der Krise, die den Rennsport ergriffen hat, ist auch Werner Hefter betroffen.

"Bei uns werden die Rennpreise kleiner, die Kosten werden höher. Wenn ich allein denke, was die Futterkosten die letzten Jahre gestiegen sind, die muss ein Trainer ja auch irgendwie weitergeben. Ein Trainer kann das nicht finanzieren. Aber wenn die Rennpreise fallen, dann ist das für die Besitzer natürlich auch schwierig zu sagen, wir kaufen uns ein Pferd. Wir haben speziell in Iffezheim den Vorteil: Wir sind in der Nähe zu Frankreich und wir gehen mit unseren Pferden sehr viel nach Frankreich rüber, weil da die Rennpreise sehr viel höher sind, dass man da die Besitzer noch mit zufrieden stellen kann."

Zehn Jahre nach der Gründung der Baden-Badener Rennbahn entstand in Berlin-Hoppegarten die größte Rennbahn Deutschlands. Am 17. Mai 1868 bestieg König Wilhelm I. mit seinem Gefolge, darunter Reichskanzler Otto von Bismarck, einen Sonderzug, und fuhr von Berlin ins Märkische. Im Osten der Stadt sollten zwölf Vollblüter zum "Großen Preis von Hoppegarten" starten.

Der Berliner Verein für Pferderennen hatte zwei Jahre zuvor ein Gelände für den Bau einer neuen Rennbahn gesucht. Denn die Berliner waren mehr und mehr vom Galoppsport fasziniert, und die bestehende Rennbahn am Tempelhofer Exerzierplatz genügte den technischen und repräsentativen Ansprüchen nicht mehr.

Allerdings mussten die Berliner für ihr Vergnügen eine kleine Reise zurücklegen. Denn Hoppegarten, so Arthur Boelhlke, Geschäftsführer des Rennvereins Hoppegarten, lag ungefähr 30 Kilometer vor den Toren der Stadt.

"Es musste natürlich ein Zubringer sein, der die tausende von Berlinern hierher gebracht hat, das war der sogenannte schwarze Zug, der setzte immer am schlesischen Bahnhof, heute Ostbahnhof, ein und fuhr dann nur nach Hoppegarten, das heißt, es gab hier sechs Gleise, so dass hier sechs dieser Züge sofort hier halten konnten und dann auch gleich der Massen, die nach Hoppegarten kamen, sich entledigen konnte."

Hoppegarten, einst Anbaugebiet für Hopfen, entwickelte sich zur wichtigsten deutschen Rennbahn. Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs das Gelände auf fünf Bahnen an, auf dem 780 Hektar großen Areal standen bis zu 1500 Pferde in den Ställen – heute sind es nur 150. Die Rennbahn Berlin-Hoppegarten wurde bald zum Zentrum des gesellschaftlich politischen Lebens der Stadt und zog häufig bis zu 40.000 Besucher an.

"Berlin hatte in den 20er und 30er Jahren vier Galopp- und zwei Trabrennbahnen. Die größte Rennbahn war immer Hoppegarten, die die ganzen großen klassischen Rennen hatte. Dann gab es die Grunewaldrennbahn, die hatte eine Lage näher am Zentrum, war toll gelegen, war eine prachtvoll ausgebaute Rennbahn, und wir hatten Karlshorst nur für die Hindernispferde, und jede dieser Bahnen hatte 20 Renntage im Jahr. Und dann hatten wir noch Straußberg als kleinere Bahn. Was leider geschah: Grunewald wurde von Hitler dazu auserkoren, der Standort fürs Olympiastadion zu sein und fiel dann weg. Die drei restlichen Bahnen, Hoppegarten, Karlshorst und Straußberg waren im Osten, und die Westberliner haben seit zwei Generationen mit diesem Sport kaum Berührung gehabt. Erst fiel die beste Bahn im Grunewald weg, und dann durch die deutsche Teilung war es ab 1961 wahnsinnig schwer, für Westberliner, hier rauszukommen."

Gerhard Schöningh, der 46-jährige Besitzer der Rennbahn Hoppegarten, ist selbst ein Pferdenarr. Er möchte die Rennbahn wieder zu dem machen, was sie einmal war: ein Magnet.

"Berlin war historisch nicht nur Hauptstadt, sondern auch Hauptstadt dieses Sports. Es wurden in den 30er Jahren 40 Prozent der Rennpferde Deutschlands in Hoppegarten trainiert. Alle großen Rennen waren hier vor Ort. Das ist in zwei Generationen verlorengegangen. Ich glaube, dass wir ein sehr großes Potenzial haben, gerade, wenn wir eine attraktive Bahn mit einem attraktiven Angebot auf den Tribünen haben, einfach Neubesitzer aus Berlin-Brandenburg hier für den Sport zu begeistern."

Bis dahin muss allerdings noch viel renoviert werden. Denn im Spätherbst 1944 wurden Teile der Gebäude zu einer Rüstungsfabrik umfunktioniert und bald darauf durch Luftangriffe stark beschädigt. Kurz vor Kriegsende ritten die Jockeys über 100 Vollblutpferde nach Schleswig-Holstein. Nach dem Krieg herrschte in Hoppegarten Pferdemangel.

Wenige Jahre später ging die Rennbahn in den Volkseigenen Rennbetrieb Hoppegarten über und später übernahm der VEB Vollblutrennbahnen mit Sitz in Hoppegarten die Leitung aller Rennbahnen in der DDR. Arthur Boehlke hat das alles miterlebt.

"Wir waren natürlich eine Sportart, die hoch subventioniert wurde, was wir heute an Sponsoren suchen müssen, war damals der Staat. Der Staat hatte immer sehr viel Geld zu Verfügung gestellt, damit überhaupt die Rennen stattfinden konnten. Der Staat wollte, dass die Rennen durchgeführt wurden, aber an der Zucht war er nicht sonderlich beteiligt. Die Rennen selbst wurden aber unterhalten, und zwar das meistens für die Rennbahnen Halle, Leipzig, Magdeburg, Dresden und Hoppegarten mit rund 13 Millionen Ostmark jährlich."

Erika Mäder denkt gerne an ihre Anfangszeit in Hoppegarten zurück. Die resolute Frau mit dem Kurzhaarschnitt ist mit Pferden groß geworden – in der Nähe von Dresden. Mitte der 60er-Jahre wurde sie als eines der ersten Mädchen in der DDR zum Jockey ausgebildet.

"Es war eine Traumzeit, zu diesem Zeitpunkt lernen zu können. Ich war das einzige Mädchen in dem Stall, es waren ca. 15 Männer angestellt, ich war so was wie das Nesthäckchen. Es war in der DDR erlaubt, in der BRD durfte man diesen Beruf erst ab1973 lernen. Ich war damals das vierte Mädchen, das lernen durfte, es ist ja eigentlich ein Männerberuf, aber es ist für die Frauen immer mehr geöffnet worden, und heute ist der Rennsport ohne Frauen überhaupt nicht machbar."

Trotzdem ist der Galoppsport nach wie vor von Männern dominiert. Denn letztlich, so Erika Mäder, unterliegen die Frauen in der Schlussphase des Rennens meistens den Männern, weil sie weniger Kraft haben. Die knapp 60-Jährige hat auch schon mehrere Unfälle gehabt.

"Ich hatte schon sehr viele spektakuläre Unfälle. Alle Reiter, alle, die mit Rennpferden arbeiten, haben irgendwann schwere Unfälle gehabt, und manchmal ist man froh, dass man noch auf beiden Füßen durchs Leben gehen kann."

In Hoppegarten wurde im Turnus von ungefähr fünf Jahren das Internationale Meeting der Vollblutpferde sozialistischer Länder veranstaltet. Aber der Galoppsport führte in der DDR ein exotisches Nischendasein, im Renn- und Zuchtbetrieb sackte das Niveau ab.

"Wir haben das damals nicht so empfunden, dass unsere Pferde so schlecht waren wie es nach Öffnung der Grenze rauskam, weil die Pferde nur untereinander liefen, die Deckhengste wurden rar, und dann wurden Hengste aus der Sowjetunion, aus Polen, aus der Tschechoslowakei eingeführt, und es war alles verstaatlicht, es gab vielleicht noch ein oder zwei Privatbesitzer, die noch Pferde hatten, es gab keine Staatspferde mehr vom Staat zu kaufen. Mein Bruder war Besitzertrainer, er konnte keine Rennpferde mehr kaufen, nur noch Reitpferde, die durften keine Rennen laufen. Es war schon eine schwere Zeit für Privatbesitzer, weil die zwar nicht enteignet wurden, aber keine Startmöglichkeit für ihre Pferde bekamen, und das Niveau der Pferde war schlecht, ab 1970 wurde das Niveau immer schlechter."

Weil sie in der DDR im Rennsport keine berufliche Zukunft sah, wollte Erika Mäder das Land verlassen. Wegen versuchter Republikflucht musste sie aber ein Jahr ins Gefängnis. Dann wurde sie freigekauft und kam 1975 in den Westen. Heute trainiert sie mit ihrem Mann Vollblüter in einem großen Rennstall bei Krefeld.

"Das war eine Wahnsinnsatmosphäre, es war sehr emotional, weil es eben viele Legenden aus dem Sport gab, die teilweise in Hoppegarten geboren waren oder hier aufgewachsen waren, hier ihre Lehre gemacht haben, hier nach vielen, vielen Jahren zum ersten Mal wieder zurückkamen. Es gab auch immer ein Rieseninteresse von westdeutschen Leuten aus dem Sport, die von Hoppegarten immer gehört hatten, aber es noch nie gesehen hatten. Es war damals so, dass Sie zwei Währungen am Totalisator wetten konnten. Es gab einen Osttoto und Westtoto, es gab hier Massenbesuch mit über 40.000 Zuschauern und das war ein sehr, sehr schöner sonniger Tag und ein großes Erlebnis."

Gerhardt Schöningh war dabei, als im März 1990 in Hoppegarten das erste deutsch-deutsche Rennen stattfand. Die ostdeutschen Pferde waren allerdings alles andere als konkurrenzfähig. Die traditionsreiche Bahn war bald in Finanznöten. Anfangs unterstand sie der Treuhand, bis sie nach langem Hin und Her an einen privaten Investor, eben Gerhardt Schöningh, verkauft wurde.

Beim Galoppsport geht es längst nicht mehr nur um die Ehre. Hier spielt das Geld – Preisgelder, Wetterlöse - eine große Rolle. So ungeniert zeigt sich die Verbindung von Sport und Geld nur bei wenigen Sportarten.

Über 180 Jahre nach dem ersten Vollblutrennen in Deutschland plagen den Sport der "Kumpel und der Könige" große finanzielle Sorgen. Die Kosten sind gestiegen, die Rennpreise nicht. Da kann sich so mancher das Hobby Rennpferde einfach nicht mehr leisten.

Dennoch: der Galoppsport kann zur Sucht werden, für die Jockeys nach Geschwindigkeit, für die Besucher nach dem schnellen Geld beim Wetten, für die Pferdebesitzer nach dem Besitz des besten Vollbluts. Vor allem macht ein Nachmittag auf der Rennbahn klar: Beim Pferderennen trifft Eleganz auf Kraft. Und das übt eine große Faszination aus.