Elegant und prall und rund

Von Anette Schneider · 15.01.2012
Der Schwede Anders Zorn gilt bis heute als der bedeutendste Künstler seines Landes. Er befreite die schwedische Malerei vom akademischen Muff des 19. Jahrhunderts und porträtierte die internationale High Society. Jetzt erinnert eine Retrospektive in Lübeck an Zorn.
1905 malte sich der wuchtig-korpulente Anders Zorn in einem fahlgelben, zotteligen Wolfspelz vor fahlgelbem Hintergrund. Auf dem Kopf trägt er einen Hut, dessen schmale Krempe sein verlebtes Gesicht leicht verschattet. Müde scheint er in sich hineinzuhorchen, was an Kreativität noch in ihm ist. Denn obwohl der Maler erst 45 Jahre alt war, begann er bereits, sich künstlerisch zu wiederholen.

Vor dieser Zeit aber liegen ein ungewöhnliches Frühwerk sowie eine unvergleichliche Karriere als Porträtmaler der internationalen High-Society, erklärt Kuratorin Anna-Carola Krausse.

"Seinen Ruhm hat er dann wirklich als Porträtmaler erlebt, weil er mit seiner sehr frischen Malerei einen neuen Ton in die repräsentative Porträtmalerei gebracht hat, und es ist richtig Mode geworden, sich von Zorn malen zu lassen. Wer ein Zorn-Porträt von sich hatte, hatte auch die Visitenkarte an der Wand, dass er ein aufgeschlossener Geist ist."

Diese Entwicklung führt die thematisch und chronologisch gegliederte Ausstellung eindrucksvoll vor: Zorn, der 1860 in einfachen Verhältnissen im ländlichen Schweden geboren wurde und bereits mit 15 Jahren die Kunstakademie in Stockholm besuchte, eckte dort angesichts der verstaubten Kunstvorstellungen schnell an. Er ging nach England, lebte danach viele Jahre in Paris, bereiste Nordafrika, Lateinamerika und die USA, bis er Ende der 90er-Jahre wieder ins ländliche Schweden zog, wo er 1920 starb.

Die Ausstellung eröffnet mit frühen Aquarellen, die Zorns Bruch mit der schwedischen Akademiemalerei verdeutlichen: Auf großem Format zeigt er einen lichtdurchfluteten Salon, in dem sich zwei Mädchen als Japanerinnen verkleiden. Ganz ihrem Spiel hingegeben, trägt eine schon einen Kimono, während die andere ihr noch mit langen Nadeln die Haare aufsteckt. Zorn zeigt die Gesichter detailgetreu, während er das helle Interieur eher flüchtig festhält.

"Japonismus ist ein Thema in der Zeit. Er macht daraus aber nichts Stilisiertes, sondern das ist ganz lebensnah und trotzdem unheimlich exquisit. Und diese Mischung aus Eleganz und Raffinement, sophisticated-Malerei und doch mitten im Leben - das zeichnet auch viele seiner Porträts aus."

Gleichzeitig entstanden locker getuschte Landschaften und lichte Bildnisse von Bauern und Fischern bei der Arbeit. Je ein ganzer Raum sind Zorns kräftigen Frauenakten in freier Natur gewidmet und seinen Wasser-Bildern.

Motive und Malweise waren für die 80er-Jahre neu. Auch die Bildkompositionen mit Anschnitten und Ausschnitten waren ungewöhnlich. Doch gab es hier Vorbilder:

"Er ist insofern vom Impressionismus beeinflusst gewesen, als dass er bestimmte Gestaltungsmodi übernommen hat, was wir so als impressionistisch verstehen: Einen momenthaften Bildausschnitt, der fast wie ein Schnappschuss wirkt, einen ganz lockeren Pinselstrich, wo der Pinselstrich als solcher sichtbar ist. Nur was Zorn nicht hat, ist die Auflösung in die Flächigkeit. Zorn bleibt prall und rund: Warum die Welt flach malen, wenn sie doch rund ist?"

Und warum in die Tiefe dringen, wenn es die schöne Oberfläche auch tat? Schon in den 90er-Jahren in Paris interessierte Zorn sich nicht mehr für die künstlerische Avantgarde. Er wechselte von der Aquarellmalerei zur höher stehenden Ölmalerei und hielt mit ihr fortan die schöne Oberfläche fest: Er porträtierte die Schönen und Reichen, die sein handwerkliches Können ebenso schätzten wie das leicht Gefällige seiner Malerei. In Lübeck sieht man die Damen und Herren, wie sie sich lässig-mondän auf Sofas räkeln, während Zorn ihre luxuriöse Kleidung kostbar schimmern oder im Licht verfließen lässt. Selbst in die USA wurde der Maler geladen, wo er Banker und Präsidenten porträtierte. Und nach Russland, betont Anna-Carola Krausse.

"Er ist dort hofiert worden, hat dort ein Bankett ausgerichtet bekommen von Ilja Repin und den Kollegen, und in der russischen Sprache gibt es sogar einen Stilbegriff für die Art und Weise, wie Zorn malt, da spricht man nämlich von 'Zornismus'. "

Die Ausstellung schließt mit dem Selbstbildnis im Wolfspelz. Drumherum hängen glatte, routiniert gemalte Bauernszenen, die das Landleben als heile Welt preisen. Zorn malte sie im und nach dem Ersten Weltkrieg, als hierzulande der kritische Realismus entstand.

So führt die Retrospektive vor, wie ein anfänglich unkonventioneller Maler angepasst und konservativ wurde. Völlig legitim gab Zorn der öffentlichen Anerkennung und der damit verbundenen materiellen Sicherheit den Vorzug vor einem weiterhin wirklichkeitsbezogenen Blick, doch genau deshalb wurde er hierzulande auch vergessen: Bereits 1905 reagierten einige junge aufmüpfige Künstler empört auf die Pläne des Seniors Max Liebermann, dem Schweden eine große Einzelausstellung auszurichten: Die Zeit für solch eine verstaubte Malerei, erklärten die Expressionisten damals, sei endgültig vorbei.