Elefantenköpfe und ausrangierte Maschinenteile

Von Anette Schneider · 24.08.2006
Der Bildhauer Johannes Brus geht seit dreißig Jahren einen ganz eigenen Weg. Er arbeitet gegenständlich und figürlich, was bei deutschen Künstlern eher selten ist. Der Kunstprofessor der Kunsthochschule Braunschweig hat große Arbeiten für den öffentlichen Raum entworfen. Viele seiner Arbeiten erzählen vom Ende einer Industrieregion. Einen Überblick über sein Werk zeigt ab Sonntag das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen.
Der erste Raum ist versperrt. Versperrt von fünf überlebensgroßen Figuren aus Gips, die betont lässig auf dem Boden hocken. Drängt man sich an ihnen vorbei, erkennt man, das sie so lässig gar nicht sind, wie sie gern wirken würden: Einer hat grimmige Mundwinkel, ein anderer einen maskenartigen Blick, ein dritter ein goldenes Ohr.
"5 Bildhauer" heißt die Arbeit, die in diesem Jahr entstand, und sie wirkt wie eine Komprimierung all dessen, was Johannes Brus in 30 Jahren gegen die Trends von abstrakter Bildhauerei, von concept-art und minimial-art, von Installationen geschaffen hat: Die 5 Figuren, die so selbstverständlich erscheinen wollen, es aber nicht tun, scheinen eben dadurch daran zu erinnern, wie unüblich Menschendarstellungen in der Bildhauerei des 21. Jahrhunderts geworden sind. In dem grauen Ton der Terrakotta-Armee verweisen sie gleichzeitig auf die uralten Traditionen figürlicher Kunst und geben damit der Ausstellung ihren Titel:
"Die Schatten der Bildhauer".

Johannes Brus: "Schatten sind ja platonische Schatten, möglicherweise. Da hab ich eben doch auch sehr lange gebraucht, bis ich gesagt habe, ich realisiere die Arbeit jetzt, weil diese langen Schatten aus dieser Tradition doch immer sehr schwer zu überwinden sind und ich mir sehr viel Gedanken drüber gemacht habe: Kann ich die Arbeit überhaupt realisieren, weil in dem Bereich ist alles schon so abgegrast.

Und dann hat es ja auch gerade mit der figürlichen Skulptur in dieser unglückseligen Vergangenheit, die das hat und die missbraucht wurde, das war für mich am Anfang ein großes Problem. Und dann mit so einem Motiv wie der sitzenden Figur, die Jahrtausende immer wieder realisiert wurde, dann noch mal eine wirklich notwendige Formulierung für mich selbst zu finden, das war für mich die Schwierigkeit. Und dann hab ich mir gesagt, ich muss es auf jeden Fall ausprobieren, und wenn es nicht hinhaut, dann ist die Arbeit halt für'n Schrotthaufen."

Seit 30 Jahren arbeitet Johannes Brus als Bildhauer. Seit 30 Jahren tut er dies figürlich und gegenständlich, denkt und arbeitet also gegen den Mainstream. Vor allem zu Beginn seiner Laufbahn war das nicht leicht: 1942 in Gelsenkirchen geboren, studierte Brus zwischen 1964 und 1971 an der Kunstakademie Düsseldorf. Er lernte bei dem gegenständlich arbeitenden Bildhauer Karl Bobek, erlebte in der Nachbarklasse Joseph Beuys mit einem völlig anderen Kunstbegriff , war, als er 1971 die Akademie verließ, ratlos und flüchtete erst einmal in die Fotografie.

"Das war eine leichtfertige Geschichte. Es war ironisch, man machte Witze und fotografierte sich gegenseitig und dann hat sich das daraus überhaupt ein neuer Zugang zur Kunst entwickelt, wo ich das alles hinter mir gelassen habe, was ich an der Akademie gelernt hab so in den ersten Semestern."

1976 entsteht die erste große bildhauerische Arbeit. "3 mal Amerika". In Fotografien hatte Brus bereits vorher indianische Motive gezeigt, etwa ein schwebendes Pferd oder einen Raubvogel, Versatzstücke nordamerikanischer Indianerkultur, die durch Unschärfen und Doppelbelichtungen wie Traumgesichter untergegangener Kulturen wirkten.

In "3 mal Amerika" nun konfrontiert er die Zeichen der Ureinwohner, ein hier blaues Pferd und einen Raubvogel mit einem Wolkenkratzer. Alt und neu, Natur und Zivilisation stehen sich unversöhnlich gegenüber. Eine Idee, die sich fortan durch sein Werk ziehen wird.

So auch in seiner ersten Arbeit für den öffentlichen Raum: Sie entsteht 1986 für den Platz vor einem Essener Arbeitsamt und ist nun zu Teilen in Bremen zu sehen: klobig-kraftvoll gearbeitete große Raubvogel-, Nashorn-, oder Elefantenköpfe aus Beton stehen neben Abgüssen von Teilen industrieller Großmaschinen, die die Tierformen aufzunehmen scheinen. Momente bedrohter Natur neben Versatzstücken einer untergehenden Industriekultur, platziert vor einem Arbeitsamt.

"Da hab ich mir sehr Gedanken drüber gemacht, was kann man überhaupt vor einem Arbeitsamt verantworten, ja? Das sind die ausrangierten Maschinenteile, die haben natürlich auch mit dem Strukturwandel da zu tun. Dann die Maschinenteile, die lagen in meinem Atelier herum, die hab ich zwei Jahre lang immer so mit einem Seitenblick wahrgenommen, und dann kam das mit dem Auftrag und dann dachte ich: Das ist es. Das ist halt mit den Tieren genauso, die sind auch arbeitslos, Pferde werden ja heute nicht mehr als Arbeitstiere benötigt, und Elefanten werden in Parks gehalten und den Touristen noch gezeigt, also das mit dem Untergang, das ist schon nicht von der Hand zu weisen."

Noch einen Schritt weiter geht Brus in der monumentalen Arbeit, die er im Jahr 2000 in einer leeren Werkshalle der Zeche Zollverein in Essen zeigt, und aus der Teile, sowie ein Modell, nun in Bremen zu sehen sind: Ein riesiger, aus Gummi und Polyester gefertigter Elefantenkopf wird konfrontiert mit eine Kokille, einem gewaltigen Eisengefäß, in dem man früher Stahl formte. Drumherum: industrielle Fehlgüsse, zerschlagene Elefantenköpfe.

Die Skulpturen wirken wie archäologische Objekte der Naturgeschichte und eines untergegangenen Industriezeitalters. Sie erzählen vom Ende einer ganzen Industrieregion.

Gerade mit diesen Arbeiten und den Assoziationen, die sie ermöglichen macht die Ausstellung deutlich, welch einsamen Weg der Braunschweiger Kunstprofessor Johannes Brus seit 30 Jahren geht, der zwar einst nach dem Studium beschloss, nicht figürlich zu arbeiten, der dann aber merkte, dass sich über die herrschende Wirklichkeit noch immer am besten gegenständlich berichten lässt.

Service: Ausstellung "Die Schatten der Bildhauer" im Gerhard Marcks Haus, Bremen vom 27. August bis zum 12. November 2006