Electro-Band Mittekill

Soundsammler zwischen Berlin und Belgrad

Die Band Mittekill
Die Band Mittekill © Mittekill/ anna.k.o.
Von Christoph Möller · 22.11.2016
Friedrich Greiling alias Mittekill bezeichnet sich als "elektronischer Bastler aus dem Hinterhof“. Mit dadaistischen Texten hat er in den vergangenen Jahren die Melancholie der Generation Y eingefangen. Sein neues Album "Die montierte Gesellschaft" entstand unterwegs.
Drei Stunden schon trommeln und grölen Kinder am Musiktaxi von Mittekill. Dann wird es dunkel. Ein Stück noch. Yusef singt einen Pop-Hit aus Syrien-
"Und nachdem es halt so laut war, hätten wir nicht damit gerechnet, dass die dann sowas Schönes, Leises aufsingen – und so toll! Das war dann unser Abschiedslied und da war dann auch allen klar, wir werden uns morgen nicht mehr wieder sehen, weil sie dann auf dem Weg über Ungarn nach Deutschland sein werden."
Es sind solche flüchtigen Begegnungen, die Friedrich Greiling alias Mittekill auf "Die montierte Gesellschaft" festhält. Morgen geht es schon weiter für Yusef, aber heute sind da diese lustigen Gestalten aus der deutschen Hauptstadt. Greiling – und sein Schlagzeuger Sven Ulber:
"Wir haben uns dann ein Taxi gebaut, also umgebaut und eingerichtet, womit wir von Berlin von Athen gefahren sind. Dann haben wir nach der Aufbruchsstimmung in Europa gefragt: Was versprichst du dir von der Zukunft und was ist überhaupt deine Aufbruchsstimmung in deinem Leben? Und wie könnte die klingen, wenn sie existiert?"

Songs in Bewegung

Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben. Migration als Musik. Greiling ist Theater-Musiker. Zusammen mit seiner mobilen Aufnahmetechnik reist er durchs Land. Die Songs auf dem Album sind aus Aufnahmen entstanden, die er in den letzten vier Jahren bei verschiedenen Performance- und Theaterprojekten mitgeschnitten hat. In Belgrad und Athen – aber auch in Freiburg Littenweiler. An der Römerhofschule, wo Geflüchtete Deutsch lernen. Die Schüler Milad, Seif und Mohamed singen ein basslastiges Loblied auf ihre Schule.
Die Songs selbst sind in Bewegung, als seien sie noch nicht ganz angekommen in ihrer endgültigen Form. Elektronische Beats treffen auf schiefe Piano-Melodien, Posaunen blasen den Marsch, alles klingt etwas schief und wackelig. So hört sie sich wohl an: Die neue montierte Gesellschaft.

Mittekill bezieht Position - uneitel und verspielt

"Das ist quasi eine ganz gute Metapher für das, was gerade passiert, und was für Ströme oder Richtungen sich in der Gesellschaft tun oder abtun. Und dass es musikalisch ein tierischer Clash ist, wo alles von außen und innen in Bewegung ist. Aber was man auch gut als Chance begreifen kann, daraus was Energetisches zu basteln."
Und das heißt bei Mittekill: Ganz uneitel und verspielt Position beziehen. Das ist politisch. Aber auch lustig. Wenn etwa typisch rechtspopulistische Floskeln mit rumpelnder Marschmusik unterlegt werden.
"Die montierte Gesellschaft" ist auch ein akustisches Zeitdokument. In Songs gegossene Beobachtung und kulturelles Archiv.
"Ich sehe Musik schon auch als eine Konservierung von Emotionen an. Insofern war mir das schon wichtig, dass es irgendwo erinnert wird. Gerade 2015 ist eine riesen Baustelle. Das geht mir schon lange an die Nieren – schon auch lange vorher, bevor diese ganze Flüchtlingsdebatte so instrumentalisiert wurde, und das Rechtspopulistische dadurch an Macht gewonnen hat."
Greiling ist ein sensibler Pop-Aktivist. Keiner, der großmäulig rumpöbelt, sondern bei Menschen, die wenig an der Gesellschaft teilhaben, einfach nachfragt, was sie beschäftigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie geflüchtet sind – oder nicht. Hauptsache, sie sind in Bewegung. Seine Musik ist ein Plädoyer, sich dem vermeintlich Fremden zu öffnen.
"Die Platte soll oder kann vielleicht als Beispiel auch genommen werden, wie etwas klingen kann, oder dass etwas funktionieren kann, wenn man sich einfach drauf einlässt, oder wenn man darauf zugeht. Und diese ganzen Berührungsängste einfach mal außen vor lässt. Man muss einfach miteinander sprechen, sich austauschen."

Manchmal ein wenig pädagogisch

Wenn Greiling nicht selbst singt, klingt das manchmal etwas pädagogisch, man hört: Die Sänger sind keine Songwriter, und jemand hat nachgeholfen. Auch die Gesellschaftskritik, die meist humorvoll und ironisch ist, lenkt manchmal von den sehr guten Kompositionen ab – so wackelig sie auch klingen. Trotzdem ist "Die montierte Gesellschaft" ein gelungenes Experiment. Greiling hat einen Sinn für abseitige Sounds und Geschichten. Ob Popmusik generell politischer wird – da ist er sich aber nicht ganz sicher.
"Popmusik ist einfach immer eng mit dem Zeitgeist verbunden. Und ich glaube, dieser Zeitgeist liegt so auf der Hand, es wird überall gespalten und balkanisiert. Also es wird, glaube ich, alles ein bisschen politischer werden. Oder eben es wird komplett ignoriert. Deswegen war es ein Anliegen: Hauptsache es wird realisiert, sowas wie diese Platte."