Eldorado für Kunstdiebe

Von Thomas Migge · 12.08.2013
Italien ist reich an Kulturgütern, doch für einen effektiven Schutz fehlt dem Land das Geld. Die Folge: Museen, Kirchen oder antike Anlagen werden regelrecht geplündert.
"Als Lokalpolitikerin bleibt mir nichts anders übrig als die Öffentlichkeit dazu aufzufordern, gegen diesen gravierenden Mangel als Wachpersonal zu protestieren. Es geht hier um unsere Kulturgüter, die uns allen gehören und die von immensem Wert für unsere Identität sind!"

Monica Picca ist Politikerin in Ostia. Die kleine Hafenstadt bei Rom besitzt mit dem archäologischen Park Ostia Antica neben Pompeji in Süditalien eine der am besten erhaltenen Stadtanlagen der römischen Antike. Doch seit einiger Zeit wird geklaut wie nie zuvor: Reste von Wandmalereien und Fußbodenmosaiken werden nachts entfernt. Die Videokameras in Ostia Antica sind alt und funktionieren nicht mehr. Geld für neue Anlagen gibt es nicht. Weder bei der Stadtverwaltung noch im Kulturministerium. Die Direktion des archäologischen Parks ist verzweifelt. Das gleiche gilt für Pompeji und Herkulaneum, weiß der römische Journalist Fabio Isman, spezialisiert auf das Thema Kunstdiebstahl:

"Kunstdiebe gehören wohl zu den ältesten Berufsgruppen der Welt. In Italien ist das ein ganz besonders endemisches Phänomen geworden, das seit einiger Zeit fast schon industrielle Ausmaße angenommen hat."

Seit erst die Berlusconi-Regierungen und dann auch die Regierung von Mario Monti das Budget des Kulturministeriums drastisch gekürzt haben – von einer Aufstockung der Finanzmittel unter dem amtierenden linken Kulturminister Massimo Bray ist nach ersten positiven Versprechungen jetzt keine Rede mehr – können italienische Kulturgüter nicht mehr systematisch und umfassend geschützt werden. Das Ministerium verfügt über ein Gesamtbudget von zirka 0,2 Prozent des Regierungshaushalts. Etwas mehr als eine Milliarde Euro. Davon müssen etwa 60 Prozent für laufende Personalkosten ausgegeben werden. Mit dem verschwindend geringen Rest an Finanzmitteln lässt sich nur ein kleiner Teil der Kulturgüter restaurieren, pflegen und vor Dieben schützen – und das in einem Land, in dem sich ungefähr 65 Prozent aller Weltkulturgüter befinden.

Italien besitzt, weltweit einmalig, eine Sondereinheit der Carabinieri, mit Sitz in Rom, die sich ausschließlich auf Kunstdiebstahl spezialisiert hat. Carmine Elefante ist Kunsthistoriker und Kapitän der Sondereinheit:

"Wenn wir Kunst wieder finden und den Medien präsentieren, dann sind das Momente großer Freude. Wir haben alle Hände voll zu tun, gestohlene Objekte ausfindig zu machen. Zwischen 1970 und Ende Juli 2013 konnten wir zirka 690.500 gestohlene Kunstwerke in Italien und auch im Ausland ausfindig machen. Dabei handelt es sich seit einiger Zeit immer öfter um sakrale Kunst."

Diebstahl auf Bestellung
Wie der jüngste Bericht der Sondereinheit der Carabinieri gegen Kunstdiebstahl nachweist, sind vor allem Italiens Gotteshäuser zum bevorzugten Ziel von Kunstdieben geworden. Gestohlen werden aus Kirchen nicht nur Vasen und silberne Kerzenleuchter des 18. Jahrhunderts, sondern alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Darunter auch berühmte Kunstwerke, wie zum Beispiel eine Kreuzigung des Barockmalers Mattia Preti aus der Kirche der Immacolata Concezione in Torre Annunziata bei Neapel. Nach 23 Jahren kehrte Ende März dieses Gemälde, dank der Kunstcarabinieri, wieder in die Kirche zurück. Pfarrer Don Pasquale:

"Wir sind sehr glücklich über diese Rückgabe an uns. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Gotteshäuser im Großraum Neapel werden seit einigen Jahren regelrecht geplündert. Vor allem mit Hilfe der Camorra, der lokalen Mafia. Sie klaut oftmals auf Bestellung italienischer und ausländischer Galeristen und Privatsammler. Die Rückgabe des Bildes von Mattia Preti ist allerdings ein Hoffnungsschimmer, für uns und die ganze Stadt."

1,1 Millionen Kunstwerke verschwunden
Der in den vergangenen Jahren international für Aufsehen sorgende Prozess um den Fall gestohlener antiker Skulpturen und Tonvasen aus Süditalien, die über die Schweiz an verschiedene Museen, darunter das Getty in Los Angelos, verkauft wurden, ist nur ein Einzelfall. In dem meisten Fällen kann gestohlene Kunst nicht mehr wieder gefunden werden. Die Datenbank der Kunst-Carabinieri spricht eine klare Sprache: Rund 1,1 Millionen Kunstwerke aus Italien sind immer noch verschwunden. Den Experten zufolge ist das Hauptproblem heute eine professionell arbeitende Mafia. Die Bosse dieser Kunstmafia bestechen nicht selten unterbezahltes Aufsichtspersonal in Museen und archäologischen Parks und, wie dank verschiedener polizeilicher Ermittlungen bestätigt wird, auch katholische Geistliche, um an bestimmte Objekte zu gelangen.

Einer der Hauptgründe, weshalb in Italien der Kunstdiebstahl nicht wirksam bekämpft werden kann, sei auch die Rechtssprechung, klagt der prominente Kunsthistoriker Salvatore Settis, mehrere Jahre lang Berater des Kulturministers:

"In unserer Verfassung ist vom Schutz unserer Kunst und der Bestrafung von Kunstdieben keine Rede. Auch unsere Rechtssprechung ist in diesem Punkt mangelhaft. Wer nicht gerade in flagranti erwischt wird, braucht nicht viel zu fürchten. Hier müssen scharfe Haftstrafen her, um dem ausufernden Phänomen des Kunstdiebstahls beizukommen. Aber keiner unserer Politiker kümmert sich um dieses Problem."

Mit dramatischen Folgen. Angesichts des politischen Desinteresses an einer nationalen Kulturpolitik, des fast schon skandalösen Mangels an Finanzmitteln für das Kulturministerium und einer laschen Rechtssprechung gegen Kunstdiebstahl ist Italien immer noch und nach wie vor das europäische Eldorado für Kunstdiebe. Die immer noch katastrophale Lage der italienischen Finanzen wird an dieser Situation auch so schnell nichts ändern. Sehr zur Freude jener gut betuchten Sammler, die in Italien klauen lassen.