Elaine Sturtevant

Die Crazy Cat ihrer Generation

Die Künstlerin Elaine Sturtevant posiert am 04.06.2011 in Venedig bei der Eröffnung der 54.Kunstbiennale Venedig vor der Preisverleihung für die Fotografen.
Elaine Sturtevant bei der Eröffnung der 54. Kunstbiennale in Venedig © Felix Hörhager, dpa picture-alliance
Von Rudolf Schmitz  · 31.10.2014
Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zeigt das grafische Werk Elaine Sturtevants - einschließlich 80 bisher noch nicht veröffentlichter Zeichnungen. Für Kurator Mario Kramer war die Künstlerin ein Augenöffner.
Empfangen wird man von dem Plakat, das Joseph Beuys mit Fliegerweste, Filzhut und Umhängetasche zeigt. Wie er auf den Betrachter zumarschiert. Doch ein zweiter Blick zeigt: Das ist das Gesicht einer Frau. Elaine Sturtevant erlaubt sich einen ihrer Scherze, wird zum Double des deutschen Schamanenkünstlers.
Mario Kramer: "Aber dass sie 67 bereits in ihrem eigenen Atelier in das Kostüm von Beuys schlüpft, und die Aktionen von Beuys noch mal nachmacht und es auch filmt, das finde ich schon sehr erstaunlich. Dass sie so jemand wie Beuys zu so einem frühen Zeitpunkt wahrnimmt und den dann rezipiert und wiederholt".
Für Mario Kramer, Kurator des Frankfurter Museums, war Elaine Sturtevant ein Augenöffner. Als sie vor zehn Jahren im gesamten Museum für Moderne Kunst ausgestellt wurde, galt das als Sensation und als Seiltanz fürs Museum. Denn alle Pop-Art Stücke waren von ihr, kein Unterschied mehr zwischen Original und Replik. Das Museum als Hüter der Originalität schien in Frage gestellt. Und jetzt mehr als Hundert ihrer Zeichnungen. Aus fünf Jahrzehnten. Sie begann damit 1964, lernte ihre Freunde Jasper Johns oder Andy Warhol aufs genaueste zu kopieren, und hatte sogar eine erste Ausstellung mit ihren Werken. Aber für die damalige Kunstwelt kam das alles viel zu früh.
"Es gibt ein wunderbares Zitat von Leo Castelli, zu dem Zeitpunkt sicher einer der wichtigsten Galeristen in New York, der gesagt hat 'Oh, it was an incredible idea she had'. Aber letztendlich konnte er sie nicht in sein Galerieprogramm aufnehmen, weil er genau zu dem Zeitpunkt seinen Sammlern Warhol, Lichtstein, Rauschenberg und Jasper Johns verkauft hat. Wie hätte er das den Sammlern erklären sollen? 1964,65 ... Also, soweit ist es dann auch nicht gegangen. Und sie saß zwischen allen Stühlen letztendlich ..."
Natürlich gibt es einen großen Ahnvater für die künstlerische Idee von Elaine Sturtevant. Er lebte damals noch und begeisterte auch die Generation der Pop Künstler.
"Aber die Idee, der konzeptuelle Gedanke, stammt natürlich von Duchamp, das hat sie sehr stark reflektiert. Ihre ganze Generation nimmt natürlich Duchamp wahr, der lebt zu dem Zeitpunkt noch. Wenn Warhol die Suppendose bildwürdig werden lässt, ist das auch eine Duchampsche Geste, aber was Elaine Sturtevant macht, ist noch mal der nächste Twist: Es ist das Kunstwerk nach dem Kunstwerk nach dem Kunstwerk. Und nicht mehr nach dem Alltagsgegenstand. Sie nimmt sozusagen das originale Werk von Warhol als Readymade".
Eine begnadete Fälscherin von Unterschriften
Wenn man Elaine Sturtevants Zeichnungen der 60er-Jahre, die sogenannten Composit Drawings, sieht, ist es erstaunlich, wie täuschend ähnlich sie die Handschrift von Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Roy Lichstenstein, Tom Wesselman oder Jasper Johns zu kopieren versteht. Da ist einerseits eine große Nähe zu diesen männlichen Pop-Künstlern, aber andererseits kommt da auch etwas Unverwechselbares hinzu: die Kombination der Motive. Da finden Roy Lichtensteins "Hot Dog" und die "Nackte" von Tom Wesselman zueinander, da sieht man Andy Warhols "Flowers" und zugleich den ausgestreckten Zeigefinger, wie ihn Lichtenstein zur vielfach reproduzierten Bildikone machte.
"Elaine Sturtevant kommt zwar in unserer jüngeren Kunstgeschichte weder in den großen Publikationen zur Pop Art noch in den großen Publikationen zur Concept Art vor. Aber sie ist eigentlich der Schlüssel für beide Kunstrichtungen, weil sie wie kaum jemand anders Pop Art und Concept Art auf eine unglaublich intelligente Weise miteinander verbunden hat".
In den Siebziger Jahren gönnt sich Elaine Sturtevant eine zehnjährige Pause, wohl auch enttäuscht von ihrem ausbleibenden Erfolg. Sie zieht ihre zwei Töchter auf und behauptet, sie hätte in der ganzen Zeit vor allem Tennis gespielt. Doch dann, in den 80er-Jahren, widmet sie sich der neuen Generation der männlichen Starkünstler, Keith Haring oder Robert Gober.
Eine Comicfigur, die die ganze Zeichnungsausstellung im Frankfurter Museum für Moderne Kunst durchzieht, ist Crazy Cat, eine geschlechtslose, anarchische Katze, die alles tut, um bloß nicht ins Schema zu passen.
"Das ist ein sehr berühmtes Comic, das sie da zitiert, von George Herriman, was in den 40er-, 50er-Jahren in Amerika sehr berühmt war und was sie wohl sehr gern gelesen hat. Aber ich glaube, sie hat sich in besonderer Weise mit dieser Figur der Crazy Cat identifiziert, es ist so ein wunderbares Katz-und-Maus-Spiel in diesen Comics, und Crazy Cat ist eine sehr schillernde Figur, so ein bisschen frei von jeder Moral, und vielleicht war Elaine Sturtevant sozusagen die Crazy Cat ihrer Generation".
Was man hier in Frankfurt sieht, ist mehr als die Überraschung oder Schönheit der Wiederholung. Elaine Sturtevant ist die ungekrönte Königin der Konzeptkunst. Und das zu sehen und zu begreifen, macht großen Spaß.
Sturtevant Drawings Double Reversal Vom 1. November 2014 bis zum 1. Februar 2015
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