El Salvador und Oscar Romero

Der Hingerichtete wird zum Heiligen

26:07 Minuten
Ein Graffiti zeigt Oscar Romeros vor einem Radio.
Graffiti in Oscar Romeros Geburtsort Ciudad Barrios. Der mutige Erzbischof von San Salvador liebte das Radio. © Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Von Anne-Katrin Mellmann · 11.10.2018
Audio herunterladen
Für viele Salvadorianer geht ein Herzenswunsch in Erfüllung: Oscar Romero wird heiliggesprochen. Der Geistliche setzte sich für die Armen ein, kritisierte die Oligarchen und Militärs des zentralamerikanischen Landes. Dafür bezahlte er mit seinem Leben.
24. März 1980: Rein zufällig zeichnet ein Journalist den Ton der letzten Messe des Erzbischofs von San Salvador auf. In der Kapelle der Armenklinik Divina Providencia spricht Monseñor Oscar Romero - wie so oft zuvor - von Frieden und Gerechtigkeit. Beides gibt es nicht im El Salvador dieser Zeit. Die überwiegend arme Bevölkerung des kleinen mittelamerikanischen Landes wird von einem brutalen Militärregime unterdrückt. Romero gilt Oligarchen und Militärs als Kommunist, weil er für die Armen und Entrechteten kämpft und die Missstände öffentlich anprangert. Der Gefahr, in der er deshalb lebt, ist er sich bewusst.

Er steht am Altar und sieht seinen Mörder

Doch auch an diesem Abend steht die Tür zur Kapelle sperrangelweit offen. Das nutzt der Auftragsmörder, den das Militärregime zu dem unliebsamen Erzbischof geschickt hat. Der Gottesmann sieht wahrscheinlich das Auto, sieht seinen Mörder, als er seine letzten Worte spricht, Hostie und Messkelch hebt.
Ein Mann sitzt in der Kapelle in San Salvador, in der Erzbischof Romero erschossen wurde.
In dieser Kapelle wurde der Erzbischof Romero erschossen.© Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Nur einmal drückt der Scharfschütze ab, seine Kugel Kaliber 25 trifft Romero mitten in die Brust. Die weiße Soutane färbt sich rot. Blutüberströmt bricht der Erzbischof von San Salvador vor dem Altar tot zusammen.

Romero war wie ein Nachrichtenmagazin

38 Jahre später zeigt Kardinal Gregorio Rosa Chávez den Tatort. Ihm sei damals sofort klar gewesen, dass die Schergen des Militärregimes für den Tod seines Freundes verantwortlich waren. Niemand im Land habe daran gezweifelt. Spätere Ermittlungen bewiesen es. Romero war wie ein unabhängiges Nachrichtenmagazin.
"Die Bauern waren in den Medien nur Thema, wenn sie etwas verbrochen hatten. In den Zeitungen hatten sie keine Stimme, genauso wenig wie die linken Bewegungen oder Gewerkschaften. So begann Romero in den Sonntagsmessen zu erzählen, was im Land geschah, von den Menschenrechtsverletzungen. Er wurde sehr konkret und äußerte klar seine Meinung."
"Das Militärregime war verantwortlich für diesen Mord" - Romeros Freund Kardinal Gregorio Rosa Chávez.
"Das Militärregime war verantwortlich für diesen Mord" - Romeros Freund Kardinal Gregorio Rosa Chávez.© Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Sein Mut machte ihn zum Märtyrer, als Heiliger wurde er in Lateinamerika schon lange vor der Heiligsprechung durch den Vatikan verehrt. In El Salvador ist Romero Nationalheld und Identifikationsfigur. Schwerkranke beten in der Kapelle, in der er erschossen wurde. Nebenan, in seiner bescheidenen Wohnung, die heute Museum ist, betrachten Pilger Bett und Bücherschrank und das blutdurchtränkte Messgewand.
Seine Wohnung ist heute ein Museum - der Schreibtisch von Oscar Romero mit dem Aufnahmegerät. (Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko)
Seine Wohnung ist heute ein Museum - der Schreibtisch von Oscar Romero mit dem Aufnahmegerät. © Anne-Katrin Mellmann
Seinen Tod habe Romero kommen sehen, ist sich Kardinal Gregorio Rosa Chávez sicher:
"Ich habe mir immer Notizen gemacht, wenn ich seine Predigten hörte, und später mit ihm darüber gesprochen. Als er am 23. März rief "stoppt die Repression", wusste ich: Das ist sein Todesurteil. Am nächsten Tag haben sie ihn ermordet. Er ahnte, dass das irgendwann geschehen würde. Seine Furcht war, wie er sterben könnte: bei einem simulierten Unfall, vor seinem Haus im Kugelhagel eines Maschinengewehres. Er starb am Altar, in dem Moment als er die Hostie in die Höhe hielt."

"Im Namen Gottes: Hört auf mit der Repression"

Die Predigt vom 23. März 1980, einen Tag vor dem tödlichen Schuss, ging in die el-salvadorianische Geschichte ein. Fast zwei Stunden lang hatte Romero das Militärregime kritisiert, die Gräueltaten der Armee benannt, er berichtete von den ermordeten und verschwundenen Bauern. Schließlich forderte er die Soldaten zum Ungehorsam auf.
"Denkt an die Worte Gottes: Du sollst nicht töten! Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der gegen die Gebote Gottes verstößt. Die Zeit ist gekommen, auf eurer Gewissen zu hören und nicht den Befehlen der Sünde zu folgen. Im Namen Gottes und im Namen unseres gequälten Volkes, dessen Klagen jeden Tag lauter zum Himmel schreien, beschwöre ich euch, bitte ich euch, befehle ich euch, im Namen Gottes: Hört auf mit der Repression!"
Verehrer des ermordeten Erzbischofs Romero tragen ein Porträt von ihm durch die Straßen.
Romero war ein schonungsloser Kritiker von sozialer Ungerechtigkeit und Bandenkriminalität in seinem Land.© picture-alliance / Oscar Rivera
Die Original-Tonaufnahmen von Oscar Romero bewahrt die Romero-Stiftung in der Hauptstadt San Salvador auf. Chefin Marisa Martínez hört sich die letzte Messe an, während sie in einer gerade erschienen Biografie des ermordeten Erzbischofs blättert. Früher war ihr Nachname D’Aubuisson. Ausgerechnet. Ihr Bruder Roberto D’Aubuisson war Urheber des Mordkomplotts gegen Romero. Das ergab eine unabhängige Untersuchung der Vereinten Nationen.
Marisa Martínez, Chefin der Romero-Stiftung, verehrt Romero im Gegensatz zu ihrem Bruder Roberto, der  den Mord an dem Erzbischof organisierte.
Marisa Martínez, Chefin der Romero-Stiftung, verehrt Romero im Gegensatz zu ihrem Bruder Roberto, der den Mord an dem Erzbischof organisierte.© Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Die 70-jährige mit großen braunen Augen und nachdenklichem Blick erzählt ungern von ihrem Bruder. Er starb 1992 an Krebs, wenige Tage nach Ende des zwölf Jahre dauernden Bürgerkriegs. In den 80er-Jahren hatte er die Todesschwadronen befehligt und die rechte ARENA-Partei gegründet. Ein Riss ging durch die Familie D‘Aubuisson: Roberto hasste Oscar Romero, Marisa war glühende Verehrerin. Sie war erst 18, als Romero ermordet wurde, Anhängerin der Befreiungstheologie, der Kirche für die Armen. Als Romero 1977 zum Erzbischof ernannt wurde, habe sie ihn eher für einen Mann der Oligarchie gehalten. Im Laufe seiner Amtszeit kam er den Befreiungstheologen jedoch inhaltlich immer näher:
"Auf dem Land war die Armut extrem. Es gab es keine Schulen, die Bauern waren Analphabeten. Wir fingen an, alles was geschah, im Licht des Glaubens und der Evangelien zu betrachten und die Armen zu fragen: Ist es das, was Gott für euch will? Dass ihr arm und bescheiden seid, dass ihr den Kopf gesenkt haltet, ohne Rechte? Monseñor Romero hatte dafür starke Worte: 'Wenn jemand behauptet, die Armut sei von Gott gewollt, dann ist das Gotteslästerung.'"

Katholische Priester galten als verdächtig

1979 war Oscar Romero für den Friedensnobelpreis im Gespräch. Aber auch das schützte ihn nicht. In El Salvador galten katholische Priester in dieser Zeit als verdächtig. Marisa Martínez Bruder Roberto D’Aubuisson prägte den Ausspruch, der sogar auf Autos klebte: "Tue etwas Gutes für dein Vaterland: Töte einen Priester." Passend zur Rhetorik des Kalten Krieges wurden die Geistlichen als Kommunisten bezeichnet.
Dabei wussten wir damals gar nicht, was Kommunismus bedeutet, erzählt der Bauer José Mejilla in Chalatenango, einem Städtchen in den Kaffeebergen El Salvadors.
"Romero war wie Jesus" - José Mejillas in Chalatenangohat hat seine Söhne im Bürgerkrieg verloren. Sie wurden entführt und nach Italien verkauft.
"Romero war wie Jesus" - José Mejillas hat seine Söhne im Bürgerkrieg verloren. Sie wurden entführt und nach Italien verkauft.© Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Der kleine alte Mann erinnert sich an die 70er-Jahre auf dem Land: Konflikte mit den Großgrundbesitzern verschärften sich, weil das Einkommen extrem ungleich verteilt war. Einer Handvoll Familien gehörte das ganze Land – so wie auch heute noch. Damals hätten die Hungerlöhne nicht einmal für Grundnahrungsmittel gereicht.

"Romeros Tod war Öl ins Feuer"

José Mejilla hebt seine großen faltigen Hände: Auch wenn es wie ein Kampf von David gegen Goliath gewesen sei, hätten die Bauern begonnen, sich zu organisieren – unterstützt von Monseñor Romero:
"Monseñor Romero ist für mich der einzige Bischof, der wirklich so gehandelt hat, wie Jesus in seiner Zeit. Als Repräsentant der katholischen Kirche hat er sich am stärksten für die Armen und für uns Bauern eingesetzt. In El Salvador wurden auch andere Priester ermordet, aber es war Monseñor Romero, der sich hinstellte und öffentlich - hier im Land und auf der ganzen Welt - die Missstände benannte."
Eine Frau besucht das Grab von Erzbischof Romero in San Salvador.
Erzbischof Romero wird in seiner Heimat längst als Heiliger verehrt.© picture alliance / dpa / Roberto Escobar
Romeros Ermordung sei ein Wendepunkt gewesen. Die Stimmung im Land habe sich extrem verändert und die Gewalt zugenommen:
"El Salvador ist ein sehr kleines Land, aber wir mussten gegen zwei Mächte kämpfen: gegen die Regierung und ihre Armee und gegen die USA, die mit ihren Waffenlieferungen und Militärberatern alles bestimmte. Die Herrschenden dachten, dass mit dem Tod von Monseñor Romero alles enden würde. Aber genau das Gegenteil ist passiert. Sein Tod war Öl ins Feuer. Anstatt Angst zu haben, kämpften wir noch entschlossener gegen das Regime. Monseñor starb im März 1980 und am Ende desselben Jahres griffen viele zu den Waffen, um sich zu verteidigen."
Der Bürgerkrieg brach aus. José ging in die dschungelbewachsenen Berge und schloss sich der Guerilla an. Seine beiden kleinen Söhne, die bei seiner Mutter geblieben waren, wurden entführt und nach Italien verkauft, wie er später herausfand. Das war eine gängige Praxis der Militärs. Oft töteten sie Guerilleros, entführten deren Kinder und verkauften sie in die ganze Welt.

Keine Aufarbeitung des Bürgerkriegs

Die Militärjunta erstickte jeden Widerstand mit brutaler Gewalt. Sogar auf der Trauerfeier für den Erzbischof verübten Sicherheitskräfte ein Massaker vor der Kathedrale mitten in der Hauptstadt. Scharfschützen metzelten mindestens 40 Menschen nieder. In der Massenpanik wurden einige totgetrampelt.
Heute gibt es an der Kathedrale keinen Hinweis, der an die Toten des Massakers erinnert. Eine Gedenkkultur für die Opfer von Diktatur und Bürgerkrieg hat sich im Land nicht entwickelt, auch nicht unter der FMLN-Regierung, die aus der Guerilla hervorgegangen ist und die seit 2009 an der Macht ist. Eine Aufarbeitung der Verbrechen des Bürgerkriegs fand nicht statt. Ein Amnestiegesetz stoppte jeglichen Versuch. Nichts erinnert an die mindestens 70.000, die ihr Leben verloren. Im ganzen Land klaffen die Wunden.
Heldenverehrung in Farbe - Romero-Graffiti in Ciudad Barrios.
Heldenverehrung in Farbe - Romero-Graffiti in Ciudad Barrios.© Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
In den Geburtsort von Oscar Romero, die hügelige Kleinstadt Ciudad Barrios, führt seit Kurzem eine spirituelle Pilgerroute: Hier tat man sich schwer mit der Erinnerung an den mutigen Erzbischof, bis dessen Seligsprechung 2015 Pilger anlockte. An Romeros 100. Geburtstag im Jahr 2017 platzte Ciudad Barrios schon aus allen Nähten.

Die Heiligsprechung als Botschaft

Padre David Torres war Anfang 20, als sein Vorbild ermordet wurde. Seinetwegen wurde er Priester. Die Heiligsprechung durch die Kirche habe eine ganz klare Botschaft für El Salvador:
"Damit ruft sie zur Versöhnung auf. Monseñor Romero wollte, dass wir uns als Brüder und Schwestern, Kinder eines einzigen Gottes, betrachten. Deswegen wird er immer ein Symbol der Versöhnung sein. Ob die Wunden heilen, hängt jedoch nicht davon ab, ob man an die Botschaft Romeros glaubt, sondern davon, ob die Wahrheit ans Licht kommt. Es muss klar gesagt werden, wer hinter dem Mord an Monseñor Romero stand. Noch heute gibt es Politiker, die diese Wahrheit als Gerücht abtun."
Im Gemeindehaus, funkt ein junges Radiokollektiv die Botschaft Romeros in die Welt hinaus: das "Radio Católica Monseñor Romero".
Junge Radiofrau in Ciudad Barrios: Moderatorin Gabriela ist bekennender Romero-Fan.
Moderatorin Gabriela ist bekennender Romero-Fan.© Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Die Anfang 20-jährige Gabriela liest aus den Predigten und Tagebüchern ihres Idols, spielt Originaltöne ab. Nie werde ihr dabei langweilig. Romeros Texte seien aktuell. Immer noch seien Ungerechtigkeit und Ungleichheit sehr ausgeprägt in El Salvador, die Auswirkungen des Bürgerkriegs spürbar. Ein heiliggesprochener Romero könne versöhnen helfen, meint die junge Moderatorin:
"In unserem Land sind Angst und Bitterkeit nach all den Jahren immer noch da. Ich glaube aber ganz fest, dass Monseñor Romero unsere verletzten Herzen heilen wird."

Ohne diesen Papst wäre das nicht möglich

Kardinal Gregorio Rosa Chávez meint, die Kirche und ihre Vertreter in El Salvador seien heute nicht auf der Höhe Romeros. Er hat die Heiligsprechung seines Freundes schon 1994 mit auf den Weg gebracht. Ohne den argentinischen Papst Franziskus wäre sie nicht möglich gewesen, meint der Kardinal:
"Erzbischof Romero wollte eine Kirche im Geiste der lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Medellin 1968: eine arme Kirche, unabhängig von den wirtschaftlich, politisch oder militärisch Mächtigen. Auch Papst Franziskus will eine Kirche für die Armen. Für ihn ist Romero ein Vorbild und wie Romero sagt auch der Papst: Ohne einen Wandel, ohne soziale Gerechtigkeit, wird die Gewalt nie enden. Fast überall auf der Welt erleben wir einen Rechtsruck. Die Menschen wurden von Revolutionen enttäuscht und sehen, dass ihr Traum von einer besseren Welt nicht verwirklicht wurde. Wie können wir wieder träumen?"
Träumen von Wundern oder von einer besseren Welt, wie sie Oscar Romero wollte? Romero war weit mehr als ein Erzbischof. Das brutale Militärregime machte ihn zum Menschenrechtsanwalt, die extreme Ungleichheit und Armut zum Aktivisten, der sich von der Oligarchie emanzipierte, die ihn eingesetzt hatte. Im Laufe seiner Amtszeit näherte er sich der Befreiungstheologie immer mehr an.
"Wenn sie mich töten, werde ich im Volk El Salvadors auferstehen", ahnte er. Als Heiliger wird er unsterblich.
Mehr zum Thema