"El Kaida hat eigentlich nichts zu melden"
Eine optimistische Prognose stellt der in Berlin lehrende Experte Hamadi El-Aouni den revolutionären Umbrüchen in Libyen, Ägypten und Tunesien. Die islamistische Gefahr sei aufgebauscht worden.
Katrin Heise: Sowohl in Tunesien als auch in Ägypten galten radikale Islamisten immer als Gefahr. Nur die an der Macht befindlichen Despoten konnten schützen. Das wurde jedenfalls so von ihnen selbst wie auch vom sie unterstützenden Westen verbreitet. In Libyen beschuldigte vor einigen Tagen Gaddafi noch El Kaida, die Revolution angezettelt zu haben. Doch tatsächlich sieht es ja eher so aus, als könne El Kaida keinen Profit ziehen aus den revolutionären Umstürzen.
Ob diese Beobachtungen auch tatsächlich zutreffend sind, das kann uns der aus Tunesien stammende Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni erklären. Er arbeitet an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Wirtschaftswissenschaft mit den Schwerpunkten Umwälzungen in der arabischen Gesellschaft und dem politischen System und internationale Beziehungen. Schönen guten Tag, Herr El-Aouni!
Hamadi El-Aouni: Einen schönen guten Tag!
Heise: Schön, dass Sie unser Gast sind. Fangen wir mal mit der momentan doch sehr unübersichtlichen und auch am meisten beunruhigenden Situation an, nämlich der in Libyen. Welche Rolle spielen die Islamisten dort?
El-Aouni: Bisweilen noch eine Rolle, die eventuell kleiner sein wird, weil die Islamisten beziehungsweise die islamische Bewegung die einzig noch verbliebene Oppositionskraft in Libyen ist. Gaddafi hat das Land von jeglichen Opponenten in "gesäubert". Er hat sie entweder vertrieben oder verhaftet oder umbringen lassen. Die Islamisten – da sie als Moscheegänger als Sprache die Religion benutzen, konnte er sie nicht so voll und ganz ausmerzen beziehungsweise isolieren. Und deshalb waren sie die einzige organisierte Oppositionskraft in Libyen. Deshalb haben sie eine Rolle gespielt bei dieser Revolution, aber auf keinen Fall eine Anführer- oder Vorreiterrolle.
Heise: Wie konnte dann diese Beschuldigung … oder was hatte diese Beschuldigung Gaddafis für die Bedeutung El Kaidas, was hatte das eigentlich … was wollte er damit?
El-Aouni: Das war ein Versuch. Er hat immer mit diesem Schreckgespenst gespielt nach dem Motto, entweder ich oder die Islamisten. Und als es nicht mehr ging, benutzte er diese El-Kaida-Geschichte, wahrscheinlich erfunden, irgendwie ließ er wahrscheinlich irgendein Kommuniqué veröffentlichen, aber es ist nichts dahinter, es ist nichts dahinter. Denn das, was in Libyen, Tunesien und in Ägypten passiert, hat mit der Ideologie der Kaida überhaupt nichts zu tun.
Heise: Ja. Lassen Sie uns noch einen Moment bei Libyen verharren: Gaddafi, wie sehr er noch überhaupt an der Macht ist, ist ja sehr dahingestellt, der gesamte Osten des Landes ist ja eigentlich von ihm befreit, wenn man das so sagen will. Wie sehen Sie da das Agieren der Opposition, die ja doch so gar keine Chance hatte, sich eben überhaupt vorab zu bilden, aber jetzt muss man an die Macht, in dieses Machtvakuum einstoßen? Da gibt es ja durchaus auch Kämpfe so intern?
El-Aouni: Also es dürfte hier und dort kleinere Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts geben und da dürften die Islamisten auch eine kleine Rolle dabei spielen, weil sie unbedingt womöglich einen religionsgeprägten Staat haben wollen. Was denen aber nicht gelingen wird, weil sie keine Mehrheit dafür gewinnen würden. Aber Libyen hat genug Wissenschaftler, genug fähige Leute, und Libyen könnte es sogar als Tunesien über den Berg bringen. Denn sie haben innerhalb einer Woche einen provisorischen Nationalrat gründen können, was die Tunesier nach eineinhalb Monaten immer noch nicht geschafft haben. Und die sind allerdings beflügelt von, würde ich sagen, von einer Massenunterstützung. Also die Unterstützung der Massen in Libyen ist erheblich größer als in Tunesien oder auch in Ägypten außerhalb der Großstädte.
Heise: Jetzt ist dieser Übergangsrat, dieser nationale Übergangsrat ja vor allem in Bengasi ansässig. Aber repräsentiert er tatsächlich schon auch die Landesteile, die jetzt noch unter Gaddafi leiden?
El-Aouni: Richtig. Es gehören dazu sogar Leute aus Tripolis, aus der Hauptstadt, aus Zawiyah, aus Sabratha. Das ist ein regelrechter provisorischer Nationalrat, er soll für eine neue Verfassung sorgen, soll die Übergangsphase, also die Geschäfte realisieren beziehungsweise durchsetzen. Es ist eine Gruppe, eine breite Gruppe, in der sämtliche politische Schattierungen und Regionen vertreten sind.
Heise: Also eigentlich so, wie man es sich durchaus auch wünscht.
El-Aouni: So ist es. Also das ist wie eine Art Runder Tisch, aber schon in Dauerverhandlung oder in Dauergesprächen.
Heise: Wenn wir jetzt den Blick ein bisschen erweitern eben auch auf Tunesien und Ägypten: Sie haben gesagt, die Islamisten haben im Moment keine Chance. Warum eigentlich nicht? Wie stark war denn tatsächlich ihr Rückhalt in der Bevölkerung? Ich meine jetzt wirklich radikale Islamisten.
El-Aouni: Ja sie wurden aufgebauscht, bewusst aufgebauscht von den dortigen Diktatoren. Denn die dortigen Diktatoren haben mit zwei Trümpfen in Tunesien, Libyen und Ägypten hantiert: einmal die islamistische Gefahr nach dem Motto, die Fundis kommen und dann wird es schrecklich; und das Zweite ist die Migranten, also wenn wir die Grenzen nicht kontrollieren würden, dann werdet ihr also Millionen Afrikaner, da nach Europa …
Heise: … wie hier in Europa ja auch …
El-Aouni: … so ist es. Und damit haben sie gearbeitet und jetzt stellt sich heraus, dass weder das eine noch das andere gestimmt hat. Und deshalb sind sie jetzt nackt, wenn man so will. Und die Übergangsreform wird eine große Rolle spielen und ich glaube, dass alle drei es schaffen würden, wenn auch es in Ägypten etwas schwieriger sein dürfte schon aufgrund der geografischen Lage, der strategischen Bedeutung Ägyptens und auch der Interessen vom Ausland.
Heise: Islamisten spielen also zurzeit bei dem großen Umsturz im Nahen Osten gar keine große Rolle. Dazu im Deutschlandradio Kultur der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Hamadi El-Aouni. Herr Aouni, vor einigen Tagen meldete sich die Führungsspitze El Kaidas ja dann doch mal zu den Unruhen zu Wort und riet den Ägyptern zur Errichtung eines Gottesstaates. Haben Sie überhaupt eine Reaktion aus der Bevölkerung dazu registriert oder ist das völlig verpufft?
El-Aouni: Gar keine, gar keine, gar keine. Also die wurden nicht einmal ernsthaft zur Kenntnis genommen. Die Kaida hat in diesen drei Gesellschaften, gerade in diesen drei Gesellschaften, eigentlich nichts zu melden, denn es sind alle drei Staaten mit verschiedenen laizistischen Erfahrungen und politischen Phasen. Und gerade in Tunesien, da würden Sie … Also wenn gewählt wird, da wird diese salafistische Linie, also die Kaida-Linie, die würde nicht mal 0,0001 Prozent bekommen. Das Volk ist ganz anders orientiert und die Leute, wenn sie auch religiös sind, sind auf keinen Fall fundamentalistisch wie Saudi-Arabien, wie es in Saudi-Arabien der Fall ist.
Heise: Wie groß ist die Gefahr aber, wenn jetzt durch eine doch auch noch bevorstehende unruhige Zeit die ökonomischen Grundvoraussetzungen für die breite Bevölkerung nicht so optimal sind? Also kann nicht da dann doch also so ein … Das zeichnet sich ja auch beispielsweise in Tunesien ab, die Opposition ist sich nicht einig, man weiß im Moment nicht genau, wo das mit der Übergangsregierung hingeht … Können da Islamisten nicht dann doch aufgrund ihrer Organisationsstruktur reinstoßen?
El-Aouni: Also die Islamisten sind eine von mehreren politischen Bewegungen geworden. Die sind politisch, weniger religiös und mehr politisch geworden. Und sie sind in diesem, gerade in Tunesien in diesem Sammlungsrat von 24 Organisationen, politischer Parteienorganisationen, die jetzt die Errungenschaften der Revolution schützen wollen, die sind eine von 24. Und sie sind mit Sicherheit nicht das größte Gewicht. Und deshalb meine ich, dass … Auch wenn jetzt die Übergangsphase länger andauern sollte und dürfte, werden sie nicht davon profitieren können, weil …
Heise: … oder auch eine Unzufriedenheit länger andauert …
El-Aouni: … ja, die Unzufriedenheit, die wirkt wahrscheinlich gegen sich selbst. Und da ist etwas Neues entstanden in diesen drei Gesellschaften, etwas, was man früher nicht kannte. Ein Solidarisierungsgefühl miteinander. Die Leute sprechen miteinander, die Leute kollaborieren miteinander, diese jungen Leute kehren die Straßen, die organisieren den Verkehr. Das wäre vor fünf, sechs Monaten unvorstellbar gewesen. Und das gibt natürlich den Leuten Mut und sie sind solidarisch miteinander und das gibt denen auch Geduld. Also das heißt, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Übergangsphase werden nicht so schwierig und so schlimm sein, dass die Islamisten davon profitieren könnten.
Heise: Also Sie haben keine Angst vor dem Abflachen der Euphorie und dem dann doch Feststellen, mein Arbeitsplatz ist weg …
El-Aouni: Ich glaube eher das Gegenteil. Die Leute üben immer noch Druck aus, deshalb ist die erste Übergangsregierung weg, gestern ist die zweite Übergangsregierung, und die Leute wollen, dass das, wofür sie aufgestanden sind, und 200 Tote geopfert haben, dass diese Revolution … Die Errungenschaften sollen soziale, demokratische, freiheitliche, und es soll auf keinen Fall zu einem Präsidialregime führen, sondern zu einer Basis demokratisch-parlamentarischer Demokratie.
Heise: Wie kann Europa da helfen? Sollte Europa da überhaupt helfen?
El-Aouni: Also ich würde sagen, mit Modellen sich lieber heraushalten, aber wenn gefragt wird bei infrastrukturellen Schwierigkeiten, könnte da Europa einiges tun, beispielsweise die Öffnung ihrer Märkte.
Heise: Danke schön, Hamadi El-Aouni. Er beschäftigt sich an der Freien Universität Berlin mit Umwälzung in der arabischen Gesellschaft. Danke schön für Ihre Einschätzungen hier im "Radiofeuilleton"!
El-Aouni: Gern geschehen!
Ob diese Beobachtungen auch tatsächlich zutreffend sind, das kann uns der aus Tunesien stammende Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni erklären. Er arbeitet an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Wirtschaftswissenschaft mit den Schwerpunkten Umwälzungen in der arabischen Gesellschaft und dem politischen System und internationale Beziehungen. Schönen guten Tag, Herr El-Aouni!
Hamadi El-Aouni: Einen schönen guten Tag!
Heise: Schön, dass Sie unser Gast sind. Fangen wir mal mit der momentan doch sehr unübersichtlichen und auch am meisten beunruhigenden Situation an, nämlich der in Libyen. Welche Rolle spielen die Islamisten dort?
El-Aouni: Bisweilen noch eine Rolle, die eventuell kleiner sein wird, weil die Islamisten beziehungsweise die islamische Bewegung die einzig noch verbliebene Oppositionskraft in Libyen ist. Gaddafi hat das Land von jeglichen Opponenten in "gesäubert". Er hat sie entweder vertrieben oder verhaftet oder umbringen lassen. Die Islamisten – da sie als Moscheegänger als Sprache die Religion benutzen, konnte er sie nicht so voll und ganz ausmerzen beziehungsweise isolieren. Und deshalb waren sie die einzige organisierte Oppositionskraft in Libyen. Deshalb haben sie eine Rolle gespielt bei dieser Revolution, aber auf keinen Fall eine Anführer- oder Vorreiterrolle.
Heise: Wie konnte dann diese Beschuldigung … oder was hatte diese Beschuldigung Gaddafis für die Bedeutung El Kaidas, was hatte das eigentlich … was wollte er damit?
El-Aouni: Das war ein Versuch. Er hat immer mit diesem Schreckgespenst gespielt nach dem Motto, entweder ich oder die Islamisten. Und als es nicht mehr ging, benutzte er diese El-Kaida-Geschichte, wahrscheinlich erfunden, irgendwie ließ er wahrscheinlich irgendein Kommuniqué veröffentlichen, aber es ist nichts dahinter, es ist nichts dahinter. Denn das, was in Libyen, Tunesien und in Ägypten passiert, hat mit der Ideologie der Kaida überhaupt nichts zu tun.
Heise: Ja. Lassen Sie uns noch einen Moment bei Libyen verharren: Gaddafi, wie sehr er noch überhaupt an der Macht ist, ist ja sehr dahingestellt, der gesamte Osten des Landes ist ja eigentlich von ihm befreit, wenn man das so sagen will. Wie sehen Sie da das Agieren der Opposition, die ja doch so gar keine Chance hatte, sich eben überhaupt vorab zu bilden, aber jetzt muss man an die Macht, in dieses Machtvakuum einstoßen? Da gibt es ja durchaus auch Kämpfe so intern?
El-Aouni: Also es dürfte hier und dort kleinere Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts geben und da dürften die Islamisten auch eine kleine Rolle dabei spielen, weil sie unbedingt womöglich einen religionsgeprägten Staat haben wollen. Was denen aber nicht gelingen wird, weil sie keine Mehrheit dafür gewinnen würden. Aber Libyen hat genug Wissenschaftler, genug fähige Leute, und Libyen könnte es sogar als Tunesien über den Berg bringen. Denn sie haben innerhalb einer Woche einen provisorischen Nationalrat gründen können, was die Tunesier nach eineinhalb Monaten immer noch nicht geschafft haben. Und die sind allerdings beflügelt von, würde ich sagen, von einer Massenunterstützung. Also die Unterstützung der Massen in Libyen ist erheblich größer als in Tunesien oder auch in Ägypten außerhalb der Großstädte.
Heise: Jetzt ist dieser Übergangsrat, dieser nationale Übergangsrat ja vor allem in Bengasi ansässig. Aber repräsentiert er tatsächlich schon auch die Landesteile, die jetzt noch unter Gaddafi leiden?
El-Aouni: Richtig. Es gehören dazu sogar Leute aus Tripolis, aus der Hauptstadt, aus Zawiyah, aus Sabratha. Das ist ein regelrechter provisorischer Nationalrat, er soll für eine neue Verfassung sorgen, soll die Übergangsphase, also die Geschäfte realisieren beziehungsweise durchsetzen. Es ist eine Gruppe, eine breite Gruppe, in der sämtliche politische Schattierungen und Regionen vertreten sind.
Heise: Also eigentlich so, wie man es sich durchaus auch wünscht.
El-Aouni: So ist es. Also das ist wie eine Art Runder Tisch, aber schon in Dauerverhandlung oder in Dauergesprächen.
Heise: Wenn wir jetzt den Blick ein bisschen erweitern eben auch auf Tunesien und Ägypten: Sie haben gesagt, die Islamisten haben im Moment keine Chance. Warum eigentlich nicht? Wie stark war denn tatsächlich ihr Rückhalt in der Bevölkerung? Ich meine jetzt wirklich radikale Islamisten.
El-Aouni: Ja sie wurden aufgebauscht, bewusst aufgebauscht von den dortigen Diktatoren. Denn die dortigen Diktatoren haben mit zwei Trümpfen in Tunesien, Libyen und Ägypten hantiert: einmal die islamistische Gefahr nach dem Motto, die Fundis kommen und dann wird es schrecklich; und das Zweite ist die Migranten, also wenn wir die Grenzen nicht kontrollieren würden, dann werdet ihr also Millionen Afrikaner, da nach Europa …
Heise: … wie hier in Europa ja auch …
El-Aouni: … so ist es. Und damit haben sie gearbeitet und jetzt stellt sich heraus, dass weder das eine noch das andere gestimmt hat. Und deshalb sind sie jetzt nackt, wenn man so will. Und die Übergangsreform wird eine große Rolle spielen und ich glaube, dass alle drei es schaffen würden, wenn auch es in Ägypten etwas schwieriger sein dürfte schon aufgrund der geografischen Lage, der strategischen Bedeutung Ägyptens und auch der Interessen vom Ausland.
Heise: Islamisten spielen also zurzeit bei dem großen Umsturz im Nahen Osten gar keine große Rolle. Dazu im Deutschlandradio Kultur der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Hamadi El-Aouni. Herr Aouni, vor einigen Tagen meldete sich die Führungsspitze El Kaidas ja dann doch mal zu den Unruhen zu Wort und riet den Ägyptern zur Errichtung eines Gottesstaates. Haben Sie überhaupt eine Reaktion aus der Bevölkerung dazu registriert oder ist das völlig verpufft?
El-Aouni: Gar keine, gar keine, gar keine. Also die wurden nicht einmal ernsthaft zur Kenntnis genommen. Die Kaida hat in diesen drei Gesellschaften, gerade in diesen drei Gesellschaften, eigentlich nichts zu melden, denn es sind alle drei Staaten mit verschiedenen laizistischen Erfahrungen und politischen Phasen. Und gerade in Tunesien, da würden Sie … Also wenn gewählt wird, da wird diese salafistische Linie, also die Kaida-Linie, die würde nicht mal 0,0001 Prozent bekommen. Das Volk ist ganz anders orientiert und die Leute, wenn sie auch religiös sind, sind auf keinen Fall fundamentalistisch wie Saudi-Arabien, wie es in Saudi-Arabien der Fall ist.
Heise: Wie groß ist die Gefahr aber, wenn jetzt durch eine doch auch noch bevorstehende unruhige Zeit die ökonomischen Grundvoraussetzungen für die breite Bevölkerung nicht so optimal sind? Also kann nicht da dann doch also so ein … Das zeichnet sich ja auch beispielsweise in Tunesien ab, die Opposition ist sich nicht einig, man weiß im Moment nicht genau, wo das mit der Übergangsregierung hingeht … Können da Islamisten nicht dann doch aufgrund ihrer Organisationsstruktur reinstoßen?
El-Aouni: Also die Islamisten sind eine von mehreren politischen Bewegungen geworden. Die sind politisch, weniger religiös und mehr politisch geworden. Und sie sind in diesem, gerade in Tunesien in diesem Sammlungsrat von 24 Organisationen, politischer Parteienorganisationen, die jetzt die Errungenschaften der Revolution schützen wollen, die sind eine von 24. Und sie sind mit Sicherheit nicht das größte Gewicht. Und deshalb meine ich, dass … Auch wenn jetzt die Übergangsphase länger andauern sollte und dürfte, werden sie nicht davon profitieren können, weil …
Heise: … oder auch eine Unzufriedenheit länger andauert …
El-Aouni: … ja, die Unzufriedenheit, die wirkt wahrscheinlich gegen sich selbst. Und da ist etwas Neues entstanden in diesen drei Gesellschaften, etwas, was man früher nicht kannte. Ein Solidarisierungsgefühl miteinander. Die Leute sprechen miteinander, die Leute kollaborieren miteinander, diese jungen Leute kehren die Straßen, die organisieren den Verkehr. Das wäre vor fünf, sechs Monaten unvorstellbar gewesen. Und das gibt natürlich den Leuten Mut und sie sind solidarisch miteinander und das gibt denen auch Geduld. Also das heißt, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Übergangsphase werden nicht so schwierig und so schlimm sein, dass die Islamisten davon profitieren könnten.
Heise: Also Sie haben keine Angst vor dem Abflachen der Euphorie und dem dann doch Feststellen, mein Arbeitsplatz ist weg …
El-Aouni: Ich glaube eher das Gegenteil. Die Leute üben immer noch Druck aus, deshalb ist die erste Übergangsregierung weg, gestern ist die zweite Übergangsregierung, und die Leute wollen, dass das, wofür sie aufgestanden sind, und 200 Tote geopfert haben, dass diese Revolution … Die Errungenschaften sollen soziale, demokratische, freiheitliche, und es soll auf keinen Fall zu einem Präsidialregime führen, sondern zu einer Basis demokratisch-parlamentarischer Demokratie.
Heise: Wie kann Europa da helfen? Sollte Europa da überhaupt helfen?
El-Aouni: Also ich würde sagen, mit Modellen sich lieber heraushalten, aber wenn gefragt wird bei infrastrukturellen Schwierigkeiten, könnte da Europa einiges tun, beispielsweise die Öffnung ihrer Märkte.
Heise: Danke schön, Hamadi El-Aouni. Er beschäftigt sich an der Freien Universität Berlin mit Umwälzung in der arabischen Gesellschaft. Danke schön für Ihre Einschätzungen hier im "Radiofeuilleton"!
El-Aouni: Gern geschehen!