Eklatante Grauzone der Kunstgeschichte

Von Ludger Fittkau · 20.04.2013
Erst das Grau macht die anderen Farben bunt: Auch wenn es manchem nicht bewusst ist, die Farbe Grau wird in der Kunst vielfach eingesetzt. Auf einer gemeinsamen Tagung haben nun Wissenschaftler der Uni Mainz und der TU Berlin beraten, wo und wie - vor allem von Künstlern - die Farbe eingesetzt wird.
Die Farbe Grau fristet in der Forschung über Kunst bisher ein Schattendasein und steckt gewissermaßen in der historischen Grauzone. Das muss sich ändern, fordert Gregor Wedekind. Der Mainzer Kunsthistoriker war Mit-Organisator einer umfassenden wissenschaftlichen Tagung zur bisher weitgehend unbeachteten Schlüsselrolle von Grautönen in der Kunst - vom Mittelalter bis zu Gerhard Richter und Cy Twombly:

"Ja tatsächlich ist das Anliegen unserer Tagung durchaus, einen großen kunsthistorischen Bogen zu schlagen, um einen kulturellen Zusammenhang zu zeigen. Also die Phänomene, die sich im 20. Jahrhundert zeigen wo die Farbe Grau sich im Wesentlichen mit der Reflektion über Abstraktion zu tun hat und an diesem Punkt die Selbst- Reflektion der Malerei betreiben mit dieser Farbe und anhand dieser Farbe. Das ist ein Phänomen, dessen Ursprünge und Anfänge wir tatsächlich schon im 14. Jahrhundert anfangen zu beobachten. Und insofern sind uns auch der Zusammenhang und der Bogen wichtig."

Magdalena Bushart: "Und in Grau zu malen und nicht die farbige Realität abzubilden, sondern eine eigene Kunstrealität zu schaffen, das ist als Thema unheimlich spannend."

Unterstreicht auch Magdalena Bushart vom Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin, Mitveranstalterin der Mainzer Tagung zur "Farbe Grau".

Der reflektierte Einsatz von Grautönen als Kontrastpunkt zu farbenfroh ausgemalten biblischen Mythen findet sich etwa beim frühen Romantiker Philipp Otto Runge an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.

Aus dem grauen See Genezareth zieht Jesus in rotem Gewand und blauem Umhang seinen Jünger Petrus, der in den Fluten zu versinken droht. Der linke Fuß des Petrus entwächst geradezu der grauen Gischt. Er scheint wie vom selben Stoff. Das graue Meer, aus dem Jesus seinen Anhänger heraus zieht ist der Ausgangspunkt eines religiösen Erweckungserlebnisses, das der pietistisch geprägte Maler Philipp Otto Runge theatralisch ins Bild setzt.

Sein Gemälde "Petrus auf dem Meer" aus den Jahren1806/1807 dient der Hamburger Kunsthistorikerin Saskia Pütz als Beleg dafür, dass Runge die Farbe Grau sehr bewusst und reflektiert einsetzt. Grau steht in Runges Farbenlehre, die er in einer globusähnlichen systematischen "Farbenkugel" ausgearbeitet hat, als Ausgangspunkt des Farbspektrums:

"Es ist wirklich so eine Art Null-Punkt. Es wird zwar einerseits als Tod bezeichnet von Runge, aber anderseits ist es auch der Moment, aus dem heraus Farbe und, wenn man so will, das Individuelle wieder entstehen kann. Es wäre so eine Art Null-Punkt. Davon abgesetzt ist ja noch mal das Schwarz als eine Art Finsternis, als Böses, das ist ja noch mal eine ganz andere Dimension."

Ebenso wie das Licht, der göttliche Funken, der in Runges Gemälde durch einen leuchtenden Himmelskörper symbolisiert wird, dessen Schein aufs graue Meer fällt.

Der frühe Romantiker Philipp Otto Runge steht mit seiner reflektierten Anwendung der Farbe Grau bereits in einer langen Kette des bewussten Grau-Einsatzes in der Malerei. Vor allem dann, wenn es um die gezielte Herstellung von Uneindeutigkeit geht.

Grau ist spätestes seit der frühen Neuzeit immer wieder eine Lieblingsfarbe jener Maler, die ganz bewusst Indifferenz und Unbestimmtheit thematisieren. Das ist ein Ergebnis der Mainzer Tagung zur "Farbe Grau". Das Grau könne dabei sogar helfen, unterschiedliche Kunsttechniken zu verschmelzen, vor allem wenn monochrom, also mit hellen oder dunkleren Tonwerten einer einzigen Farbe gearbeitet wird:

"Weil man das Gefühl hat, das dieses Grau wie eine Art Schmelzpunkt von allen möglichen technischen Verfahren funktionieren kann. Also man kann in dem Grau, in der Grisaille die Druckgrafik aufheben, die Zeichnung aufheben, die Fayencekunst aufheben, all diese Künste, die auch mit Monochromien arbeiten und das fand ich absolut spannend."

Umso erstaunlicher, dass diese zentralen Funktionen der Farbe Grau in der Kunst bisher kaum systematisch erforscht wurden. Dies machte die Mainzer Tagung deutlich. Gregor Wedekind vom gastgebenden Institut für Kunstgeschichte der Uni Mainz fordert, dass sich die Kunsthistoriker nun endlich dem Grau zuwenden, das zulange als "Mausgrau" abgetan wurde:

"Ganz besonders spannend bei dieser Farbe ist, das sie eben eine Nicht-Farbe ist und eine Farbe. Das sie eine Abwesenheit darstellt, eine Negation. Und gleichzeitig eine Qualität, eine Anwesenheit, eine Fülle und das sie ein Modus sein kann oder eine Seinsform. Und dieses permanente Changieren, also das Umschlagen, was dieser Farbe quasi wesenhaft ist, das ist eben etwas, was sie in diesem Sinne zu diesen Reflektionsleistungen und auch zu diesen intermedialen Transferleistungen geradezu prädestiniert und deswegen in der abendländischen Kunstgeschichte tatsächlich diesen ungeheuren Stellenwert hat, der kunsthistorisch überhaupt noch nicht richtig sichtbar ist. ( ... ) Da ist noch sehr viel Arbeit zu leisten."

Eine Arbeit, die mit der Mainzer Tagung zur "Farbe Grau" und mit der geplanten Publikation dazu ein großes Stück weitergekommen ist. Eine eklatante Grauzone der Kunstgeschichte klärt sich langsam auf.
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