EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm

"Es gibt 70 Millionen Flüchtlinge, Europa muss seinen Teil beitragen"

11:33 Minuten
Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm bei seiner Rede beim Johannistag 2019 in der Franzoesischen Friedrichstadtkirche in Berlin | Verwendung weltweit
Menschen in Seenot nicht zu helfen, verletze alles, wofür das Christentum stehe, sagt der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm. © Jens Krick/Flashpic / picture alliance
Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Nicole Dittmer · 28.06.2019
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Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten zur Seenotrettung und Aufnahme von Flüchtlingen auf. Viele Städte in Europa hätten längst ihre Aufnahmebereitschaft erklärt, betont er.
Seenotretter wie die Besatzung der Seawatch-3 retten auf hoher See Menschenleben - und sehen sich dafür mit Strafandrohung konfrontiert. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), findet es "unerträglich, was da in den letzten zwei Wochen passiert".
Es verletze alles, wofür das Christentum stehe. Es könne nicht sein, "dass diejenigen jetzt kriminalisiert werden, die Menschen retten, anstatt dass sich die rechtfertigen müssen, die die Rettung verhindern".
Die Staaten Europas müssten wieder Menschen aus Seenot retten - wie einst bei der inzwischen eingestellten Operation "Sophia".

Der Rücken der Schwächsten

"Im Moment gibt es keine organisierte Seenotrettung. Die zivilen Seenotrettungs-Organisationen sind die einzigen, die es überhaupt noch machen. Das kann nicht sein. Die Staaten haben die Aufgabe, beides zu tun: Wege zu finden, dass Menschen eben nicht den Schlepperbanden ausgeliefert werden, und gleichzeitig auch zu retten."
Es gebe 70 Millionen Flüchtlinge auf der Welt, "und Europa muss seinen Teil beitragen". Wenn bestimmte Länder nicht mitmachten, dürfe das nicht dazu führen, dass Europa nichts tue. Dann müssten Länder wie Deutschland vorangehen. Die Handlungsunfähigkeit Europas dürfe nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden.
Niemand könne sich darauf berufen, es gebe zu wenig Bereitschaft. Viele Kommunen wie etwa Palermo seien sehr wohl bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, allein in Deutschland seien es 60 Städte. Nun müsse "schlicht und einfach die Voraussetzung geschaffen werden durch einen geregelten Verteilmechanismus, dass die vorhandene Aufnahmebereitschaft abgerufen wird". Das erfordere unter anderem eine Reform des Dublin-Systems, das derzeit nicht funktinioniere, so Bedford-Strohm.

Jemanden ertrinken zu lassen, löst keine Probleme

Das Argument von Gegnern, mit der Seenotrettung unterstütze man das Geschäftsmodell von Schleppern, lässt Bedford-Strohm nicht gelten. "Diese Probleme kann man nicht dadurch lösen, dass man Menschen einfach ertrinken lässt."
Ebenfalls keine Lösung sei es, aufgegriffene Menschen nach Libyen zurückzubringen. Dort drohten sie in Lager zu kommen, "die man nur als Konzentrationslager bezeichnen kann, die allen humanitären Standards Europas widersprechen".
Man müsse die Menschen in ihren Herkunftsländern mit Information gegen die Versprechungen der Schlepper wappnen - und "Voraussetzungen schaffen, dass die Menschen dort eine Perspektive haben". Außerdem brauche es legale Wege nach Europa, für die man nicht sein Leben aufs Spiel setzen müsse.

Ein EKD-Schiff für die Seenotrettung?

Europa und seine Mitgliedsstaaten müssten jetzt Flage zeigen für die Werte, auf die sie gegründet seien: Menschenwürde, Recht auf Leben, Pflicht zur Rettung aus der Not. Die Abschottungspolitik von Populisten und ihre Zwecke, die dem Christentum "komplett entgegenstehen", müsse man als solche entlarven, sagte Bedford-Strohm.
Ebenfalls in der Pflicht sieht der EKD-Ratsvorsitzende die Zivilgesellschaft - und die Kirche.
Auf dem jüngst zu Ende gegangenen Kirchentag kam eine Resolution zustande, die von der EKD ein eigenes Seenotrettungsschiff fordert. Der Ratsvorsitzende sagt, das würde in wichtigen Gremien beraten: "Die Offenheit gegenüber dieser Resolution ist groß."
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