EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm

"Eine Revolution des Mitgefühls wie 2015"

10:17 Minuten
Eine leere Kirche. Die Sitzreihen sind mit einem Hinweis abgesperrt.
Ostern 2020 wird anders sein: Die Kirchen bleiben leer. © Unsplash / Anna Gru
Moderation: Liane von Billerbeck · 09.04.2020
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Der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ist zuversichtlich, dass es auch virtuell gelingen kann, die Botschaft von Karfreitag und Ostern in die Herzen der Menschen zu tragen. Er hofft auf eine baldige Lockerung der Kontaktsperre, vor allem bei Beerdigungen.
Liane von Billerbeck: Leere, das ist wohl das Wort, das diese Tage am besten bezeichnet, Leere und Stille. Muss ja nicht immer das Schlimmste sein, aber viele Christen empfinden gerade diese Leere teilweise als besonders schmerzlich. In Rom wird der Papst den Katholiken den Segen spenden, und es wird leer sein, wie Lisa Weiß beschreibt:
"Der Petersplatz ist abgesperrt. Die einzigen Besucher am Trevi-Brunnen sind da ein paar Tauben, und auf der Piazza Navona wächst das Gras zwischen dem Kopfsteinpflaster hervor. Es ist ein Rom, wie man es sonst nie zu Gesicht bekommt. Die Straßen sind menschenleer, die Rollläden der Restaurants heruntergelassen, und das kurz vor Ostern, genau dann, wenn die Stadt normalerweise voller Touristen ist.
Auch das Osterfest wird in diesem Jahr im Vatikan anders begangen als normalerweise. Die Abendmahlsmesse wird zwar wie immer am Gründonnerstag gefeiert, die Fußwaschung fällt aber aus. Der Kreuzweg findet nicht mit zehntausenden Menschen am Colosseum statt, sondern auf dem Petersplatz.
Die Ostermesse wird in den Petersdom verlegt, der Papst feiert sie nicht einmal am großen Papstaltar, sondern weiter hinten an einem kleineren. Gläubige sind nicht zugelassen wegen des Infektionsschutzes. Sie können die Osterfeierlichkeiten aber über Radio, Fernsehen oder im Internet verfolgen."

 Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. 
Der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm versucht seine Gläubigen derzeit virtuell mitzunehmen. © picture-alliance/dpa/Christoph Soeder
Billerbeck: Ostern 2020, ein Fest im Ausnahmezustand. Leere Kirchen, keine Ostergottesdienste wie gewohnt, auch bei den Protestanten ist das nicht anders. Wie kann das wichtigste christliche Fest unter diesen Umständen begangen werden, das will ich jetzt wissen im Gespräch mit dem Ratspräsidenten der evangelischen Kirche Deutschlands. Sportliche und kulturelle Veranstaltungen, die werden dieser Tage einfach verschoben, bei christlichen Feiertagen, wie Karfreitag und Ostern geht das nicht. Haben Sie darüber mal nachgedacht?
Bedford-Strohm: Ja, selbstverständlich. Wir leben ja mit den Kirchen als Christen, und ich kann mich in meiner eigenen Biografie nicht erinnern, dass ich es so bewusst gelebt habe wie jetzt in diesen Wochen, denn die Passionszeit, in der gedenken wir ja des Leidens und Sterbens Jesu Christi. Jesus hat Angst gehabt im Garten Gethsemane: "Vater, mach, dass dieser Kelch an mir vorübergeht." Er hat am Kreuz geschrien: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen."
Es sind ja genau die Erfahrungen, die die Menschen jetzt machen, dass sie einfach nicht mehr weiterwissen, dass sie einsam sind, dass sie nicht wissen, was soll jetzt werden mit meinem Arbeitsplatz, dass vielleicht das Geschäft zusammenbricht, was man sich lange aufgebaut hat, oder dann in den Intensivstationen, Menschen, die mit dem Tod ringen oder Angehörige, die kaum Abschied nehmen können von denen, die sterben.
Das sind ja alles Erfahrungen, Passionserfahrungen, die binden uns zusammen mit dieser Geschichte von Jesus, der gelitten hat. Deswegen werden wir auch das Osterfest nicht feiern über die Köpfe hinweg all derer, die jetzt leiden, sondern der Karfreitag, der kommt vor Ostern, und wir feiern Ostern im Bewusstsein des Leidens vieler Menschen, auch heute.

Hohe Einschaltquoten und viele Zugriffe

Billerbeck: In die Kirchen sollen ja die Gläubigen in diesem Jahr nicht gehen, stattdessen gibt es die Kirche von zu Hause, also via Internet. Wie funktioniert das?
Bedford-Strohm: Wir haben in der Tat eine ganze Internetseite "www.kirchevonzuhause.de" etabliert, wo ganz viel gesammelt wird, was man jetzt in dieser Situation machen kann. Es werden sicher eine ganz besondere Rolle spielen die Formate, die wir schon kennen, die aber jetzt eine ganz neue Beachtung finden, also Radio- und Fernsehgottesdienste. Ich werde selber beide Formen auch im Gottesdienst halten, und da sind die Einschaltquoten in die Höhe geschnellt.
Wir haben aber zusätzlich auch noch Livestream-Gottesdienste aus bestimmten Kirchen, sodass auch Gemeindeglieder in manchen Kirchen ihren eigenen Pfarrer, ihre eigene Pfarrerin sehen können. Ich habe das selber immer wieder erlebt, wie sehr der Geist uns auch über solche Distanzen verbindet. Ich spüre, dass wir eine Gemeinschaft sind derer, die da Gottesdienst feiern.
Deswegen bin ich zuversichtlich, dass in diesen Formaten es auch gelingen wird, dass die kraftvolle Botschaft von Karfreitag und dann Ostern die Herzen der Menschen erreicht. Wer nicht digital oder per Fernseher verbunden ist, kann auch eine Hausandacht feiern. Wir haben da kleine Liturgien, wo man eine Kerze anzünden kann, das Gesangbuch danebenlegen kann und dann einfach einen biblischen Text in sein Herz einlassen kann.
 Der Berliner Dom, aufgenommen während der Corona Krise. 
Auch der Berliner Dom lädt die Gläubigen zu Ostern nicht zum gemeinsamen Gottesdienst ein. © picture-alliance/dpa/Michael Kappeler
Billerbeck: Ich habe es von vielen Pfarrern gehört, die jetzt zum ersten Mal solche Gottesdienste aufzeichnen vor einer leeren Kirche, und Sie werden heute Vormittag Ihre Predigt für den Ostersonntag im Berliner Dom aufzeichnen. Ist das auch für Sie eine Premiere, das Predigen ohne Publikum?
Bedford-Strohm: Ja, ich habe es jetzt schon in einem Radiogottesdienst in diesen Wochen selber erlebt. Da habe ich das Ganze stark so empfunden, dass ich die Menschen, die ich dann auch innerlich vor mir gehabt habe, die waren Teil der Gemeinschaft, in der ich mich da gefühlt habe. Insofern habe ich das als weniger merkwürdig empfunden, als es auf den ersten Blick wirkt.
Wenn ich jetzt meine Predigt in der Münchener Matthäuskirche, meiner Bischofskirche aufzeichne, die wird dann in den Gottesdienst, in den Berliner Dom hinein gezeigt. Da werde ich das nutzen, um den Berlinern im Dom, wo ich oft predige, meine Bischofskirche zu zeigen – in meinem Rücken, wenn ich da predige, wird eine Auferstehungsszene sein.
Deswegen kann ich das, was ich da in München vor Ort sichtbar machen kann, erstmals im Berliner Dom den Menschen, vor denen ich sonst predige, zeigen. Ich mache jetzt einfach eine Chance daraus und ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir alle miteinander die Kraft von Ostern auch auf diese Weise spüren werden.

Hoffnung auf Lockerung bei Beerdigungen

Billerbeck: Besondere seelsorgerliche Betreuung brauchen ja vor allem die, deren Angehörige durch das Virus verstorben sind. Wie kommen Sie da in diesen Tagen Ihrer seelsorgerlichen Pflicht, Ihren Aufgaben nach, wie sehen denn Beerdigungen aus in diesen Corona-Zeiten? Das ist ja besonders kompliziert.
Bedford-Strohm: Das ist in der Tag der Punkt, der für mich in all diesen Sachen am allerschmerzlichsten ist. Man kann für vieles Lösungen finden, aber ich finde es absolut grauenhaft, wenn Menschen einen lieben Menschen verlieren, und dann ist die Zahl derjenigen, die zur Beerdigung überhaupt kommen dürfen, selbst im Freien, auf etwa zehn, höchstens 15 Leute in der Regel begrenzt. Das heißt, dass vielleicht auch enge Freunde nicht dabei sein können, wenn ein Mensch zu Grabe getragen wird. Das finde ich richtig hart.
Da werbe ich auch dafür, so früh wie möglich da Lockerungen hinzukriegen. Wir versuchen das Beste draus zu machen. Die Seelsorger sollen in der Regel zu den Menschen gelassen werden, die sterben, um Sterbende begleiten zu können. Das ist uns ein besonders wichtiges Anliegen, und da stoßen wir auch auf sehr viel Offenheit.
Es hängt ab von den Leitungen in den Altenheimen und von denen, die natürlich alles tun wollen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das ist eine schwere Abwägung, aber man kann da mit Schutzkleidung arbeiten und wirklich versuchen, wo immer möglich, notfalls auch nur per Telefon oder per Tablet, was einem Menschen gereicht wird, mit einem Videobild, die Menschen so gut wie möglich in dieser Situation zu begleiten.

Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer

Billerbeck: Der heutige 9. April ist nicht nur Gründonnerstag. Es ist auch der Tag, an dem nicht nur Christen an einen Menschen denken, der am 9. April 1945 von den Nazis ermordet wurde. Sie wissen sofort, wen ich meine: Dietrich Bonhoeffer. Was bedeutet der Ihnen gerade in diesen Tagen?
Bedford-Strohm: Der ist mir ganz besonders wichtig. Ich mache jeden Morgen ein Morgenvideo, direkt nach dem Aufstehen gehe ich in den Englischen Garten, und da habe ich gestern Dietrich Bonhoeffers gedacht. Ich stelle es dann sofort auf meine Facebook-Seite ins Internet.
Da habe ich zitiert dieses Glaubensbekenntnis Dietrich Bonhoeffers, was vielleicht noch nie so kraftvoll war wie jetzt: "Ich glaube, dass Gott auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen kann und will." Später heißt es dann: "Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben wird, wie wir brauchen, aber er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst in der Zukunft überwunden sein." Das ist der Wortlaut dieses Glaubensbekenntnisses. Ich glaube, jeder spürt, welche Kraft das in diesen Tagen hat.
Billerbeck: In diesen Tagen merken wir auch, dass weniger die Technik wichtig ist, obwohl wir sie brauchen für die ganzen Kontakte, sondern wir brauchen Menschen. Das wird vielen klar. Was wird sich dadurch nach der Krise für unsere Gesellschaft geändert haben?

Revolution des Mitgefühls

Bedford-Strohm: Das hängt natürlich von uns ab. Das ist jetzt eine Bewährungsprobe. Ich sage jetzt schon immer wieder, lasst uns daran denken, was wir jetzt erleben, wenn wir hoffentlich die Krise überwunden haben. Dazu gehört auch, dass wir bewusster leben, dass wir bestimmte Dinge nicht mehr für so selbstverständlich nehmen, wie wir sie vielleicht vorher gesehen haben. Es heißt auch, dass wir aufeinander achten.
Ich erlebe das wirklich an vielen Orten, das ist ein bisschen so etwas wie eine Revolution des Mitgefühls, wie 2015, als es um Flüchtlinge ging. Menschen kümmern sich umeinander, man findet Zettel in den Häusern, wo draufsteht, wer braucht Hilfe, ich bin bereit dazu, hier ist die Telefonnummer. Oder ein Zettel im Fahrstuhl, hat mir mein Friseur erzählt, da stand drauf, ich brauche Hilfe, ich gebe, ich helfe gerne, zwei Spalten, und da haben sich die Leute eingetragen.
Das ist einfach wirklich eine sehr berührende Entwicklung. Viele Menschen hier in unserem Land spüren den Wert von sozialen Beziehungen und den Wert einer solidarischen Gesellschaft. Deswegen hoffe ich, dass auch im Hinblick auf die Menschen, deren wirtschaftliche Existenz wegzubrechen droht, dass wir wirklich auch nach der Krise solidarisch sind, insbesondere die, denen es besonders gutgeht wie ich. Wir müssen wirklich auch materiell bereit sein, die Lasten dieser Krise mit allen anderen zusammen zu tragen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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