Eitelkeit, Geldgier und Unbildung

Von Rolf Schneider · 26.06.2009
Das Düsseldorfer Schauspielhaus spielt eine Dramatisierung von Thomas Manns Tausende von Seiten umfassender Romantetralogie "Joseph und seine Brüder". Sie ist nicht das einzige Thomas-Mann-Theaterprojekt, das zurzeit auf deutschsprachigen Bühnen läuft.
Man hat auch die Romane "Buddenbrooks" und "Doktor Faustus" dramatisiert. Thomas Mann ist außerdem nicht der einzige Romancier, dem eine Transposition ins deutsche Schauspielwesen widerfährt. Da gibt es etwa den Russen Fjodor Dostojewski, der wiederholt mit seinen Romanen allein im Spielplan der Berliner Volksbühne vertreten war.

Manche Bücher erlebten gleich mehrere Dramatisierungen, wozu etwa die "Gefährlichen Liebschaften" von Choderlos de Laclos gehören oder Theodor Fontanes "Effie Briest". Zu den noch lebenden Autoren, deren Romanbüchern eine Theaterfassung widerfuhr, zählt der Franzose Michel Houllebecq. Einigermaßen pikant wird es im Falle Maxim Billers, dessen Roman "Esra" als Buch verboten ist, doch in Gestalt eines Schauspiels ungehindert konsumiert werden darf. Fast ebenso pikant geht es in Leipzig zu, wo ein veritabler Essay, der Autor heißt Dietmar Dath, als szenisches Ereignis aufbereitet worden ist.

Doch nicht bloß Erzählbücher werden von unseren Bühnen theatralisiert, auch Spielfilme. Man hat Produktionen von Ingmar Bergman, Rainer Werner Fassbinder, Stanley Kubrick bearbeitet und auf die Szene gehoben, ein Ende ist noch längst nicht abzusehen. Hier darf man fragen, wodurch diese Konjunktur, die vorzüglich ein Phänomen der deutschen Theaterwelt ist, denn eigentlich bewegt wird.

Verfügen wir nicht über eine dramatische Weltliteratur, in der sich sämtliche Themen, Motive, Probleme finden, die auch die zur Dramatisierung bestimmten Romane und Filme enthalten? Existiert nicht außerdem eine reichhaltige Bühnenliteratur junger lebender Autoren deutscher Zunge, die, wenn man denn unbedingt etwas Zeitgenössischen spielen möchte, sich da anbieten? Die Gründe für die genannte Theatermode können also nicht Spielplannot oder Stoffmangel sein. Die wahren Gründe sind vielmehr: Eitelkeit und Geldgier.

Die Eitelkeit, ein zumal im Künstlermilieu und da zumal auf dem Theater verbreitetes Phänomen, erstrebt eine größtmögliche Beachtung für das, was man tut. Uraufführungen bescheren außergewöhnliche Beachtung. Überregionale Kritiker reisen an. Bei bewährten Vorlagen verringert sich zudem das Risiko einer Totalpleite, da Inhalt und Botschaften jedenfalls unumstritten sind.

Kommt hinzu, dass die Mehrzahl der Dramatisierungen durch Regisseure erfolgt, die anschließend auch die Produktion vornehmen. Damit winken zusätzliche Tantiemen. Das Verfahren ist ähnlich wie bei deutschen Shakespeare-Aufführungen, wo auch jeder zweite Inszenator zuvor sich seine deutschsprachige Fassung selber herstellte, wiewohl es von Wieland und Baudissin bis Erich Fried und Thomas Brasch deren doch schon die Menge gab und gibt. Irgendwas davon hätte man immer inszenieren können. Das hätte dann allerdings keine Tantiemen erbracht oder jedenfalls keine für den Regisseur.

Dieses Ding indessen ist ausgereizt. Derzeit spielt man nicht mehr so viel Shakespeare. Seine Texte, wie immer man sie fasst, setzen ein bisschen historisches Bewusstsein voraus, das in die Zeiten vor Adolf Hitler zurückreicht, und das ist weitestgehend abhanden gekommen. Also greift man lieber zu Roman und Spielfilm.

Das zeitgenössische Theaterleben ist damit ein getreuliches Spiegelbild unseres zeitgenössischen Lebens. Er bedient dessen Vorzugseigenschaften Eitelkeit, Geldgier und Unbildung.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Schriftstellerkollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Rolf Schneider schreibt gegenwärtig für eine Reihe angesehener Zeitungen und äußert sich insbesondere zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen.
Rolf Schneider, Schriftsteller und Publizist
Rolf Schneider© Therese Schneider